Das Video sorgte für Aufsehen. Dilan S. postete es im Februar vorigen Jahres aus dem Krankenhaus. Die 17-Jährige brach, während sie sprach, immer wieder in Tränen aus. Sie sei in einer Straßenbahn als „Drecksausländerin“ beschimpft und geschlagen worden. Niemand habe ihr geholfen, obwohl sie um Hilfe gefleht habe.
Dilan S. reagierte mit dem Video auf eine Falschmeldung der Polizei, die zunächst mitgeteilt hatte, die Jugendliche habe in der Tram keine Maske getragen. Deswegen sei es zum Streit mit sechs Erwachsenen und womöglich zu rassistischen Beleidigungen gekommen. Die Medien übernahmen die Meldung, auch die Berliner Zeitung. Später, als die türkischstämmige Schülerin sich mit dem Video an die Öffentlichkeit gewandt hatte, räumte die Polizei ihren Fehler ein. Dilan S. habe sehr wohl einen Mund-Nasen-Schutz getragen, hieß es nun.
Am Montag kommt die Abiturientin mit ihren Eltern ins Kriminalgericht Moabit. Dort soll die Verhandlung des Amtsgerichts Tiergarten stattfinden, vor dem sich drei Männer und drei Frauen wegen Beleidigung, Bedrohung, gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung verantworten müssen.
Die 24 bis 52 Jahre alten Angeklagten sollen Dilan S. am 5. Februar vorigen Jahres in einer Straßenbahn der Linie 4 in Prenzlauer Berg rassistisch beleidigt und nach dem Verlassen der Tram an der Greifswalder Straße angegriffen und verletzt haben.
Der Andrang bei dem Prozess ist groß, nicht jeder schafft es in den Saal. Es gibt lediglich 20 Plätze für Besucher. Richterin Marieluis Brinkmann verkündet, dass einer der Angeklagten, der 44-jährige Heiko S., fehle. Er habe sich coronabedingt krankgemeldet. Nun müsse überlegt werden, wie das Verfahren weitergeführt werden solle.
Richterin lässt Nebenklägerin zu, nicht aber Anwalt
Noch vor der Beratung beantragen die Anwälte von Dilan S., die Schülerin als Nebenklägerin zuzulassen. Doch das gefällt den Angeklagten nicht. So sagt etwa Jennifer M., die mit 24 Jahren jüngste Angeklagte, sie lehne das Ansinnen ab. „Die hat sich schon genug in der Presse geäußert und uns genug damit geschädigt“, sagt die Frau, die ohne Anwalt erschienen ist.
Doch Richterin Brinkmann lässt Dilan S. als Nebenklägerin zu – nicht aber einen Anwalt für die Schülerin. Einen Rechtsbeistand gebe es nur, wenn sich die Nebenklägerin nicht ausreichend selbst verteidigen könne. Und der Vorwurf, der den Angeklagten gemacht werde, sei „leider nichts Besonderes“, sondern alltäglich.
Nach kurzer Beratung setzt Brinkmann die Verhandlung schließlich aus, ohne dass die Anklage verlesen wurde. Grund ist die Abwesenheit des erkrankten Heiko S. Weil die Angeklagten gemeinschaftlich gehandelt haben sollen, sollen sie auch gemeinsam vor Gericht stehen. Nun soll am 3. April verhandelt werden.
Als die Angeklagten den Saal verlassen, tönt ihnen auf dem Gang ein „Haut ab, ihr Faschos!“ entgegen. Dilan S. verlässt als eine der Letzten den Saal, sie will sich nicht äußern. Ihr Vater erklärt kurz, es sei alles gesagt und er möchte der Tochter, die studieren wolle, nicht die Zukunft verbauen. Ihr gehe es nicht gut, fügt er noch hinzu. Er spricht von Schlafstörungen.
Der Vorfall sei für Dilan S. traumatisch gewesen, erzählt ihr Anwalt Bülent Bilaloglu. Noch immer sei sie in psychologischer Behandlung, durchlebe nun wieder, was ihr damals widerfahren sei. Die Jugendliche meide inzwischen die Greifswalder Straße und gehe nicht allein im Dunkeln hinaus. Sie hoffe, dass die Täter bestraft würden und sie abschließen könne.
Unter den Besuchern ist auch Elif Eralp, die Abgeordnete der Linkspartei. Sie sei im Gericht, um Opfer rassistischer Gewalt zu unterstützen, sagt sie. Am meisten habe sie schockiert, dass der Schülerin damals niemand geholfen habe. Zudem fände sie es angebracht, dass sich die Polizei wegen der falschen Darstellung des Vorfalls bei Dilan S. entschuldige.




