Der Zeuge verspätet sich an diesem Montagnachmittag um 20 Minuten. Die Ladung drückt Heinz Ostermann, als er in den Gerichtssaal eilt, einer Wachtmeisterin in die Hand. „Können Sie behalten“, erklärt der 66-Jährige. Als er im Zeugenstand Platz nimmt, entschuldigt er sich für sein spätes Erscheinen. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, ob er mit den Angeklagten verwandt oder verschwägert sei, antwortet Ostermann nicht etwa mit einem Nein. Er wirft trocken ein: „Gott sei Dank nicht.“
Heinz Ostermann ist ein großer, schwerer Mann mit grauen Haaren und einer kräftigen Stimme. Er tritt in diesem Verfahren gegen die beiden Angeklagten Sebastian T. und Tilo P. als Geschädigter auf. Der Buchhändler aus Neukölln wurde Opfer rechtsextremistisch motivierter Anschläge, um die es in diesem Verfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten geht. Von den Anschlägen betroffen waren Menschen im Bezirk, die sich gegen Neonazi-Umtriebe starkgemacht haben.
Ostermann hatte sich 2016 nach dem Wahlerfolg der AfD in Berlin mit anderen Mitstreitern seiner Branche zusammengetan. Sie gründeten die Initiative Neuköllner Buchhändler gegen Rechtspopulismus und Rassismus. Im Dezember 2016 fand in seiner Buchhandlung Leporello eine Veranstaltung der Initiative statt, Tage später wurden die Scheiben des Geschäfts eingeschlagen. Im Januar 2017 stand erstmals ein Auto von ihm in Flammen. Ostermanns alter Ford brannte vollständig aus.
Doch nicht darum geht es in diesem Verfahren. Sondern um den Brandanschlag auf das Auto, das sich der Buchhändler nach der Zerstörung seines ersten Wagens von Spendengeldern gekauft hatte. Die „gebrauchte Kiste“ wurde in der Nacht zum 1. Februar 2018 „abgefackelt“, wie es der Zeuge bezeichnet. „Das war eine Geschichte, die ich mir in meinen kühnsten Träumen nicht vorstellen konnte“, sagt er nun vor Gericht. Er habe nie gedacht, dass rechte Kräfte so gegen ihn vorgehen würden.
Ostermann erzählt, dass er regelrecht ausgespäht und verfolgt worden sei – ohne dass er davon etwas bemerkt habe. Er sei seitdem viel achtsamer, könne aber mit der Tat „einigermaßen umgehen“. „In meinem Umfeld gibt es aber Menschen, die das sehr mitgenommen hat“, berichtet er. Sie hätten sich psychologische Hilfe holen müssen. Solche Anschläge, sagt Ostermann, zielten darauf ab, dass Menschen wie er „die Schnauze hielten“. Er aber habe das Gegenteil getan, sei politisch aktiver geworden und mit allen Angriffen an die Öffentlichkeit gegangen.
Der Brandanschlag auf den Wagen des Buchhändlers ist Teil einer Serie von insgesamt 72 rechtsextremistischen Straftaten in Neukölln, darunter mehr als 20 in Brand gesetzte Fahrzeuge, zahlreiche Schmierereien und Bedrohungen. Doch den 39 und 36 Jahre alten Angeklagten Tilo P. und Sebastian T. werden in dem Verfahren lediglich zwei Anschläge auf Autos vorgeworfen.
Das Feuer hätte beinahe die Gasleitung erfasst
Das zweite Fahrzeug, das die beiden polizeibekannten Männer aus der Neuköllner Neonaziszene angezündet haben sollen, brannte in derselben Nacht wie das Auto des Buchhändlers. Es gehörte Ferat Kocak, dem Linken-Politiker und Mitglied des Abgeordnetenhauses. Kocak ist in dem Verfahren Nebenkläger. Und auch er sagt an diesem siebten Verhandlungstag in dem Verfahren als Zeuge aus.
Kocak erzählt, wie er in der Nacht zum 1. Februar 2018 im Haus seiner Eltern gegen 3 Uhr wach wurde. Er habe sich gewundert, dass es im Zimmer so hell gewesen sei. „Am Fenster schossen mir die Flammen schon entgegen“, berichtet der 43-Jährige. Sein Smart, der neben dem Haus vor der Garage stand, brannte.
Er habe sofort seine Eltern geweckt, dann die Flammen gelöscht, die schon auf die Fassade übergriffen. Seine Eltern hätten die Feuerwehr alarmiert. „Mein Vater hat schreiend und weinend neben mir gestanden“, erinnert sich Kocak. Seine Mutter habe gezittert. Sie habe Wochen nach dem Brandanschlag einen Herzinfarkt erlitten. Beide hätten sich nach dem Feuer kaum noch aus dem Haus getraut.
Kocak berichtet, dass ihm ein Feuerwehrmann erklärt habe, dass sie Glück gehabt hätten. Wäre das Feuer fünf Minuten später bemerkt worden, hätte es die Dämmung des Hauses erfasst, und es wäre schwer gewesen, noch aus dem Gebäude zu kommen. Schließlich züngelten die Flammen bedrohlich nah an der Gasleitung.
„Ich habe mir bis dahin nicht vorgestellt, dass ich einmal so einem Angriff ausgesetzt sein würde“, sagt Kocak sichtlich mitgenommen. Er habe bis dahin „in meiner friedlichen, vertrauensvollen Bubble“ gelebt. Seit diesem Brandanschlag befinde er sich in ständiger Alarmbereitschaft. Er habe nach der Tat nicht mehr arbeiten können und an verschiedenen Orten übernachtet. Dann spricht er von der Angst, die er um seine Eltern hat.



