Ein älterer Herr sitzt an einem Tisch, direkt am Kreuzberger Kanal und bis auf seine grauen Barthaare ist alles an ihm blau: Kappe, Stoffjacke, Hose, sogar die Tönung seiner Brillengläser. Der blaue Mann telefoniert, er spricht auf Türkisch in ein Handy, sein rechter Ellenbogen stützt sich auf die Lehne eines freien Stuhls. Er reckt sein Gesicht in das schwere Licht der Abendsonne. Von seinem Platz aus muss sich das Leben in diesem Moment deutlich langsamer abspielen.
Ich beobachte den blauen Herrn, wie er dort sitzt und frage mich, weiß er, dass er gerade am besten Ort Berlins ist? Ich könnte mich sogar hinreißen lassen, ihn so aufgeblasen zu beschreiben: Als eine Oase. Der Prisma Pavillon am Fraenkelufer. Es steht dort auf seiner Uferkante aus Beton, an der Nordseite der Kottbusser Brücke, unverrückbar, wenigstens seit zwanzig Jahren, wenn man dem Logo auf dem Flyer glaubt: „Est. 2001“. Da steht auch: „Täglich geöffnet“. Nach meiner Erfahrung stimmt das.
Die beste Pizza in Berlin
Der Pavillon ist ein dezentes Hüttchen, und draußen, in Richtung Theke, stehen vielleicht 15 Sitzgarnituren vor dem ausladenden Dach. Die etwas abgemergelten Bäume am Ufer spenden Schattenflecken, die dunkelroten Schirme schützen vor Regentropfen und vor Hitze.
Das Menü ist auf die Außenwand gedruckt, in weißen Buchstaben, das Bestellfenster säumen noch mehr Menükarten, sie kleben von innen an den Scheiben. Drumherum die Sticker der üblichen Lieferdienste.

Bei Google ist das Prisma Pavillon mit 4,4 von fünf Sternen bewertet, 423 Rezensionen gibt es da, das Personal nennen die User „freundlich“ und „lieb“, die Pizza „ordentlich“, und „superlecker“. Außer Pizza gibt es Pide, Pasta, einen Gemüsewok und Salat. Ein Kollege lobte vor einem Jahr in dieser Zeitung die Prisma-eigene Weißweinschorle. Ich denke, man sollte Pizza bestellen.
Das Prisma Pavillon ist aber in Wahrheit deshalb der beste Ort Berlins, weil er hält, was er verspricht. Das ist einerseits gar nicht so viel. Man könnte annehmen, die Sache sei deshalb recht schnell erklärt: Hier gibt es Pizza, die ist günstig. In gewisser Weise ist sie der Kern des Aufenthalts, deshalb ist es wichtig, dass sie tut, was sie tun soll, der Teig ist innen luftig, am Rand knusprig, der Käse ist fettig, weich, der Belag schmeckt frisch, der Knoblauch scharf.

Eine der Klassiker kostet maximal 7,80 Euro: Margerita, Tonno, Funghi, aber besondere Aufmerksamkeit gebührt den Sorten Kamelino, Popeye oder Sucuk. Der Durchmesser ist immer 28 Zentimeter, ungefähr so groß wie eine Tiefkühlpizza. Einziger Ausreißer: Die Pizza Scampi, sie kostet 8,30 Euro. Die Spezial-Varianten ein paar Euro mehr. Dass diese Preise sich trotz Inflation bislang kaum verändert haben, ist für sich genommen schon bemerkenswert.
Der Prisma Pavillon lässt sich andererseits aber ganz wunderbar romantisieren, der blaue Herr beweist es. Auf den Holzlatten des Gartentischchens vor ihm stehen: ein Glas Tee (schwarz), eine Flasche Wasser (still) und zwei Pizzateller (leer). Vermutlich sitzt er schon seit Stunden dort. Telefoniert, guckt, sonnt sich. Warum auch nicht?
Prisma Pavillon: faszinierendes Gebilde
Prismen machen den Alltag schöner, diese kalenderspruchreife Formulierung verwendet eine online Nachhilfe-Plattform, um Schülerinnen und Schülern den mathematischen, beziehungsweise physikalischen Begriff „Prisma“ zu erklären. Prismen sind Polygone, Vielecke, also: dreidimensionale Körper, und wenn sie aus Glas sind, brechen sie das Licht, spucken es in den Spektralfarben wieder aus. In Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett. Sie sind, so steht es da: „faszinierende Gebilde“.
Am Prisma Pavillon am Fraenkelufer kann man ganze Abende verbringen. Mein erstes Mal ist ungefähr zehn Jahre her, ich lebte noch woanders, besuchte einen Freund in Berlin. Wir trafen uns nach Ewigkeiten wieder, spazierten, redeten, bekamen Hunger. Der Pavillon zog uns aus dem Gewühl am Maybachufer. Als ich Jahre darauf für ein Praktikum in die Stadt zog, so, wie ein paar weitere Jahre später noch einmal, und kaum jemanden kannte, floh ich an manchem Feierabend dorthin. Um unter Menschen zu sein, wenn ich allein aß. Einsam war ich nie.
Es ist nicht lange her, da saß ich wieder dort. Dieses Mal am Nebentisch: der blaue Herr. Und eine Frau mit einem Kind, das quietscht und zur Theke springt, als sich ein Mitarbeiter mit Prisma-Logo auf dem Shirt aus dem Fenster beugt und „Nummer 1“ in Richtung Sitzgarten ruft. Ein Paar trägt irgendeine Streit-Situation aus, es klingt nicht gut, sie schweigen viel, bedauern ihre Worte, puh. Ich höre wieder weg.

