Ich bin wieder von der Ostsee zurück. Zwei Wochen am Meer sollten meinen Kopf mal ordentlich freiblasen von all den Katastrophen-Nachrichten der letzten Monate. Alles war super: das Spielen mit der Enkelin im Sand, das Lesen im Strandkorb, das Schlafen beim Meeresrauschen.
Doch irgendwann passierte etwas Seltsames. Auf meinem Handy erschienen eigenartige Google-Schlagzeilen aus dem Ostseeraum. Ich las zum Beispiel, dass es an einem Strand zu einer „Massenschlägerei“ gekommen sei. Ursache: der Fehlflug einer Frisbee-Scheibe. Na so was! Ich las, dass Badende in der Ostsee durch „Killerbakterien“ bedroht würden. Deren Name: Vibrionen. Die Ostsee drohe zudem, eine ekelhafte Suppe voller Quallen und Blaualgen zu werden. An Bahnhöfen wiederum komme es zu Prügeleien, wegen der vollgestopften 9-Euro-Züge. Offenbar kann keine Region dieser Welt mehr ohne Katastrophen-Nachrichten leben.
An unserem Bade-Ort gab es keine Prügeleien. Niemand fiel wegen „Killerbakterien“ um. Im Meer zerlatschte ich nur bei jedem fünften Schritt eine Qualle. Ich würde sagen: normaler Durchschnitt! Eines aber beobachtete ich selbst amüsant von meinem Strandkorb aus. Und zwar das, was Medien „die Plage“ nannten: den gefiederten Futter-Terrorismus.
Hitchcock könnte sich schon bald wieder mit der Kamera postieren
Bereits seit Jahren verfolge ich, wie die Möwen in meinem Ostseebad immer kecker werden. Einst liefen sie nur neugierig umher, ließen sich ab und zu etwas zuwerfen. Heute landen sie groß und weiß – krach – über einem auf dem Strandkorbdach. Und beobachten scharf die Szene. Wehe, jemand hat irgendwas Essbares in der Hand oder lässt eine Tüte unbeaufsichtigt. Dann erfolgt der Luftangriff.
Ich sah, wie einem Kind die Pappschachtel mit Pommes frites – wuiiii – aus der Hand geflügelt wurde. Gleich fünf Möwen stürzten sich kreischend auf die sandigen Reste. Am Strand eine Eiswaffel zu lutschen, ist inzwischen lebensgefährlich. Neben uns schrien Kinder: „Unsere Tüüüte, unsere Gummibärchen!“ Heftiges Flattern, Möwengeschrei! „Gummibärchen?“, fragte meine Frau, von ihrem Buch aufblickend. „Da verkleben sich bei den Viechern ja die Gedärme.“
Ein paar Jahre noch, und Hitchcock wird aus dem Grabe auferstehen und sich mit der Kamera am Ostseestrand postieren. Denn dann wird man auch im Strandkorb direkt angegriffen. Warum? Weil der Mensch sich vollfrisst, wo er geht und steht, auch im natürlichen Lebensraum anderer Geschöpfe. Jahrelang hat er die „süßen Möwchen“ an ihrem ureigenen Strand angefüttert. Nun holen die sich auch noch den Rest. Ganz klar.
Kalt baden statt warm duschen – für die F-f-f-f-freiheit
Die großen Welt-Konflikte konnte ich an der Ostsee ausblenden. Wenn auch nicht ganz. Denn ausgerechnet, als ich auf Rügen weilte, forderten dort sieben Bürgermeister, die wegen des Ukraine-Kriegs gestoppte Gas-Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen! Das Gas aus Russland müsse trotz „des Kriegsgeschehens“ weiter fließen, sagten sie.



