Harmsens Welt

Lebensgefahr auf Rügen: Killerbakterien, Prügeleien und Futter-Terrorismus

Keine Region dieser Welt kommt heute mehr ohne Katastrophen-Nachrichten aus. Sogar mitten im Urlaub erreichen sie einen.

Mmmh, was fressen wir denn heute? Möwe beobachtet einen Badestrand auf Rügen.
Mmmh, was fressen wir denn heute? Möwe beobachtet einen Badestrand auf Rügen.Torsten Harmsen/Berliner Zeitung

Ich bin wieder von der Ostsee zurück. Zwei Wochen am Meer sollten meinen Kopf mal ordentlich freiblasen von all den Katastrophen-Nachrichten der letzten Monate. Alles war super: das Spielen mit der Enkelin im Sand, das Lesen im Strandkorb, das Schlafen beim Meeresrauschen.

Doch irgendwann passierte etwas Seltsames. Auf meinem Handy erschienen eigenartige Google-Schlagzeilen aus dem Ostseeraum. Ich las zum Beispiel, dass es an einem Strand zu einer „Massenschlägerei“ gekommen sei. Ursache: der Fehlflug einer Frisbee-Scheibe. Na so was! Ich las, dass Badende in der Ostsee durch „Killerbakterien“ bedroht würden. Deren Name: Vibrionen. Die Ostsee drohe zudem, eine ekelhafte Suppe voller Quallen und Blaualgen zu werden. An Bahnhöfen wiederum komme es zu Prügeleien, wegen der vollgestopften 9-Euro-Züge. Offenbar kann keine Region dieser Welt mehr ohne Katastrophen-Nachrichten leben.

An unserem Bade-Ort gab es keine Prügeleien. Niemand fiel wegen „Killerbakterien“ um. Im Meer zerlatschte ich nur bei jedem fünften Schritt eine Qualle. Ich würde sagen: normaler Durchschnitt! Eines aber beobachtete ich selbst amüsant von meinem Strandkorb aus. Und zwar das, was Medien „die Plage“ nannten: den gefiederten Futter-Terrorismus.

Hitchcock könnte sich schon bald wieder mit der Kamera postieren

Bereits seit Jahren verfolge ich, wie die Möwen in meinem Ostseebad immer kecker werden. Einst liefen sie nur neugierig umher, ließen sich ab und zu etwas zuwerfen. Heute landen sie groß und weiß – krach – über einem auf dem Strandkorbdach. Und beobachten scharf die Szene. Wehe, jemand hat irgendwas Essbares in der Hand oder lässt eine Tüte unbeaufsichtigt. Dann erfolgt der Luftangriff.

Ich sah, wie einem Kind die Pappschachtel mit Pommes frites – wuiiii – aus der Hand geflügelt wurde. Gleich fünf Möwen stürzten sich kreischend auf die sandigen Reste. Am Strand eine Eiswaffel zu lutschen, ist inzwischen lebensgefährlich. Neben uns schrien Kinder: „Unsere Tüüüte, unsere Gummibärchen!“ Heftiges Flattern, Möwengeschrei! „Gummibärchen?“, fragte meine Frau, von ihrem Buch aufblickend. „Da verkleben sich bei den Viechern ja die Gedärme.“

Ein paar Jahre noch, und Hitchcock wird aus dem Grabe auferstehen und sich mit der Kamera am Ostseestrand postieren. Denn dann wird man auch im Strandkorb direkt angegriffen. Warum? Weil der Mensch sich vollfrisst, wo er geht und steht, auch im natürlichen Lebensraum anderer Geschöpfe. Jahrelang hat er die „süßen Möwchen“ an ihrem ureigenen Strand angefüttert. Nun holen die sich auch noch den Rest. Ganz klar.

Kalt baden statt warm duschen – für die F-f-f-f-freiheit

Die großen Welt-Konflikte konnte ich an der Ostsee ausblenden. Wenn auch nicht ganz. Denn ausgerechnet, als ich auf Rügen weilte, forderten dort sieben Bürgermeister, die wegen des Ukraine-Kriegs gestoppte Gas-Pipeline Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen! Das Gas aus Russland müsse trotz „des Kriegsgeschehens“ weiter fließen, sagten sie.

Von meinem Strandkorb aus schaute ich ganz genau auf den Hafen Mukran bei Saßnitz, in dem noch immer Tausende Rohre der Gas-Pipeline liegen. Und ich dachte: Pah, ihr Rügener Bürgermeister! Dem wahren Freiheitshelden ist das Gas schnurzpiepe. Er begibt sich stattdessen bis zum Hals in die Ostsee. Kaltes Baden statt warmes Duschen – egal, was dabei alles schrumpft! Er schüttelt trotzig die Fäuste und bibbert blaulippig gen Osten über das Meer: „P-p-p-putin! D-d-d-du kannst mich m-m-m-mal!“ Ob man Putin damit besiegt? Vielleicht. Man muss nur ganz, ganz fest dran glauben.