Vor ein paar Wochen rauschten an dieser Stelle Tauben durchs Blatt, die im Hof in einem Baum nisteten. Bald waren sie verflogen, samt ihres flügge gewordenen Nachwuchses. Jetzt ist das Elternpaar zurückgekehrt, um eine neue Brut heranzuziehen. Friedlich sitzt ein schwerfälliger Taubenkörper auf dem Nest. Alles beschaulich im Trubel der Großstadt also.
Wenn da nicht plötzlich dieser infernale Krach durchs geöffnete Fenster dringen würde. Es klingt, als schlage ein Pflug eine Schneise durch die frisch aufblühenden Blätter: Eine Krähe, deren Ausmaße sie für eine Hauptrolle in einer Neuauflage von Hitchcocks „Vögel“ qualifizieren, hat es auf die Brut abgesehen. Ob die schon geschlüpft ist oder noch in geschlossenen Eiern heranwächst, lässt sich nicht mit Gewissheit sagen.
Die Krähe jedenfalls lässt sich gerade von einem Ast oberhalb des Nestes auf dessen Rand hinab, als die Taube ihre Flügel aufspannt, zweimal wie wild damit schlägt und die Krähe damit in die Schranken weist. Chapeau, ehrlich, denn der Schnabel der Krähe ist so lang wie der kleine Finger eines ausgewachsenen Mannes und so bedrohlich wie ein frisch durch den Anspitzer gedrehter Bleistift. Vielleicht ist der Angreifer sogar ein Rabe, der noch ein bisschen größer ist als seine verwandte Krähe?
Die Gattung Corvus, der beide angehören, zählt zu den intelligentesten Vogelarten. Die Tiere sind in der Lage, ihre nächsten Schritte strategisch zu planen und sich in ihr Gegenüber hineinzuversetzen. Das entspricht ziemlich genau dem, was sich da draußen zwischen den Ästen abspielt. Nach einem erneut erfolglosen Versuch der direkten Konfrontation ändert die mutmaßliche Krähe nun ihre Strategie und steuert einen Ast unterhalb des Nestes an. Sie sitzt außerhalb des Sichtfelds der noch immer alarmierten Taube. Zweimal pickt sie mit dem Schnabel durch das Geäst, hält das aber wohl nicht für zielführend, weshalb sie einen Satz aufs Nest macht, um die Taube von hinten zu attackieren.



