Mittlerweile erkenne ich sie schon von Weitem. Oder besser: ihr Lachen. Frei ist es, kehlig, ohne jede Zurückhaltung oder gar Scham. Dieses Mädchen lacht nicht, weil es gesund ist, oder um den Jungen, die um sie herumstehen, zu gefallen. Dieses Mädchen lacht, weil ihr danach ist. Und bebt dabei. Das erste Mal traf ich sie und ihre Freunde im Bus, das zweite Mal an der Haltestelle. Ein drittes Mal stiegen die drei aus, als ich einstieg.
Eine kleine Enttäuschung zwickte mich. Doch dann hörte ich es noch, das Lachen, durch die sich schließende Tür. Könnte man es doch nur aus der Luft pflücken und einstecken, dachte ich. Und dann: Es wäre nicht richtig. So ein Lachen ist für alle da. Für alle, die es hören und sich davon forttragen lassen wollen.
Während es in meinem Kopf nachklingt, fällt mir eine andere junge Frau ein. Wie sie lacht, weiß ich nicht, nicht einmal, wie sie aussieht. Ich kenne nur ihren Vornamen: Corny. In der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung war eine Mail von ihr abgedruckt, ich habe den Beitrag ausgeschnitten.
Ihr Schreiben war eine Reaktion auf einen Bericht, in dem das Verschwinden Tausender junger Menschen während der Pandemie thematisiert wurde. Menschen am Beginn ihres Erwachsenenlebens, die nicht mehr zur Uni oder an ihren Ausbildungsplatz zurückkehrten. Die unsichtbar wurden. Die letzten Zeilen lauteten wie folgt:
„Ich bin Corny, 20 Jahre alt. Im März 2020 bin ich verschwunden. Und niemand hat sich die Mühe gemacht, mich zu suchen.“ Ich las diese Zeilen immer wieder, bis sie vor meinen Augen verschwammen. Ich kenne Corny nicht und auch keinen anderen Menschen, der verschwunden ist.
Ich hätte die Verschwundenen gesucht. Und wäre gesucht worden
Viele sind für eine Weile still geworden und auch ich wurde kontaktscheu, hatte an manchen Tagen kaum Kraft, jemanden anzurufen. Doch alle sind wieder aufgewacht, aufgetaucht. Niemand musste sie, musste uns suchen. Und wäre es nötig gewesen, ich bin sicher, ich hätte es getan. Und ich wäre gesucht worden.


