Das Laub raschelt unter den Füßen der Klimaaktivisten, die am Mittwochmorgen eine Bank hinter dem Spindlerbrunnen in Berlin-Mitte anstreben. Dort angekommen, verteilt einer von ihnen das Material für die heutige Aktion: Schaumstoffsitzkissen, jede Menge Klebstoff, Warnwesten, rote Banner und ein paar Augenbinden. „Die sollen symbolisieren, dass wir blind in die Klimakatastrophe rennen“, sagt einer von denjenigen, die sich die Augen verbinden werden.
Das meiste Zubehör ist vertraut. Die Aktivisten gehören zur „Letzten Generation“, einer Gruppe, deren Mitglieder sich seit Monaten auf Berlins Straßen kleben, ihr Vorgehen wirkt längst routiniert. Die Augenbinden sind neu. Mit ihnen bezieht sich die „Letzte Generation“, so sagen Vertreterinnen, auf ein Zitat von Olaf Scholz, der bei der Eröffnung des World Health Summit zur Aktion der „Letzten Generation“ und anderen Gruppen sagte, der beste Weg, die Diskussionen ums Klima zu verbessern sei „nicht hinzuhören und weiterzumachen“.
Schnell stopfen die elf Personen das Material in ihre Rucksäcke, niemand soll erkennen, was sie vorhaben, bevor sie auf der Straße sitzen. An der Leipziger Straße beim Spittelmarkt angekommen, geht dann alles ganz schnell: Die Fußgängerampel wird grün, neun Menschen ziehen die orangen Westen über und blockieren die Straße in Richtung Stadtmitte. Eines der vorderen Autos fährt trotzdem an, die Klimaaktivisten bleiben an Ort und Stelle vor der Motorhaube stehen und setzen sich dann.

Hass und Wut der Autofahrer: „Drecksparasiten, habt ihr keinen Job?“
Hupen ertönt, die ersten Fahrer steigen aus ihren Autos und beschimpfen die Aktivisten. Einer ruft, er habe einen OP-Termin, ob sie eine Gasse bilden könnten, ihn lassen die Protestler durch, bevor der Kleber getrocknet ist. Ein Passant ruft schon in den ersten Sekunden der Aktion die Polizei: „Es ist unverschämt und trifft die falschen Leute. Die sollen sich ins Regierungsviertel vor die Limousinen setzen“, sagt er. Ein Mann aus einem der wartenden Autos verliert die Beherrschung. Er reißt einer Aktivistin das Banner aus der Hand und schubst den Menschen, der alles filmt. „Drecksparasiten, habt ihr keinen Job oder was?“, schreit er ihnen entgegen. So was passiere oft, sagt der Mann, der filmt.
Lina Johnsen, die mit einer Hand eben noch das Banner festhielt, klebt mit der anderen am kalten Asphalt. Die Aggression der Autofahrer mache emotional schon etwas mit ihr, sagt sie und nimmt die Augenbinde zum Sprechen ab. „Ich sehe aber, dass die Leute auch nur verängstigt sind, so wie wir. Sie haben Angst um ihre Arbeit. Das sind genau die Leute, die es am härtesten treffen wird“, sagt sie. „Wir versuchen, die Gesellschaft mit unserem Protest zu schützen. Wir sitzen hier für euch, für uns und für das Leben der nächsten Generation.“ Aus den Reihen der Passanten kommt auch Zuspruch, vor allem von Fahrrad- oder Rollerfahrerinnen. „Danke“ und „Weiter so“, rufen sie im vorbeirollen.

Erfolge des Protests: „Wir haben Aufmerksamkeit auf das Thema gezogen“
Seit Monaten sitzen die Mitglieder der „Letzten Generation“ auf den Straßen, seit Monaten schlägt ihnen Wut aus der Bevölkerung entgegen. Und in der Politik bewegt sich gefühlt eher wenig. Doch eine zentrale Forderung der „Letzten Generation“ im Sommer war, dass keine neuen Ölbohrungen in der Nordsee durchgeführt werden sollen. Mitte Juli erklärte das Bundesministerium für Wirtschaft und Klima auf Anfrage des NDR, dass die Bundesregierung keine Ölbohrungen vorbereite oder die Möglichkeiten für solche Bohrungen überprüfe.
Ein Erfolg der Proteste? „Was wir geschafft haben, ist die Aufmerksamkeit auf das Thema zu ziehen“, sagt Lukas Popp, der an diesem Mittwochmorgen ebenfalls an der Straße festgeklebt ist. Es gebe große Mehrheiten für mehr Klimaschutz, meint er. Momentan geht es der Gruppe vor allem um ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Während die Polizei am Spittelmarkt vergeblich nach dem „Verantwortlichen“ der Versammlung sucht, erklärt Popp, dass es laut Studien in der Bevölkerung etwa 80 Prozent Zuspruch für ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen gebe. Auch das ist eine zentrale Forderung der „Letzten Generation“. „Wenn es so große Mehrheiten für so einfache und umsetzbare Maßnahmen gibt, warum werden die nicht ergriffen?“, fragt Popp.



