Klimaschutz

Klimaprotest-Konzert gegen A100 wegen Waldbrand verlegt: „Das ist absurd“

Auf der A103 wollte die Gruppe „Lebenslaute“ musizieren. Der Protest gegen den Autobahnausbau wurde aber erneut verlegt. Wegen der Lage im Grunewald, hieß es.

Das Konzert fand schließlich auf der Friedenauer Brücke statt, es richtete sich gegen den Ausbau der A100.
Das Konzert fand schließlich auf der Friedenauer Brücke statt, es richtete sich gegen den Ausbau der A100.Sabine Gudath

Die Musiker mit weißen Hemden und schwarzen Hosen legen die Bogen auf die Saiten ihrer Geigen. „Die Unvollendete“, eine Sinfonie von Franz Schubert, erklingt auf Friedenauer Brücke über der A103. „Schubert lässt angesichts der Verletzlichkeit der Erde und des Lebens den letzten Wassertropfen versickern“, so hat Dirigent Ulrich Klan das Stück vor wenigen Augenblicken angekündigt. Das ungewöhnliche Konzert beginnt mehr als eine Stunde später und an einem anderen Ort als geplant. Es ist ein Protest gegen den Weiterbau der A100 von Neukölln nach Treptow und Friedrichshain. Ob nach dem 16. auch der 17. Streckenabschnitt gebaut wird, ist bis heute fraglich. Die Musiker wollen es verhindern.

Das Konzert von „Lebenslaute. Klassische Musik – politische Aktion“ sollte eigentlich einige Meter unter der Brücke, direkt auf der Autobahn A103 stattfinden. Es ist 37 Grad heiß, im Westen der Stadt brennt der Grunewald. Deshalb ist die AVUS, das nördliche Teilstück der A115 gesperrt. „Musizieren statt Betonieren – für eine sozialgerechte Verkehrswende“, steht auf einem blauen Banner, das wie ein Verkehrsschild gestaltet ist. Daneben ist ein Löwenzahn gemalt, der aus dem grauen Asphalt einer Straße bricht.

Die Versammlungsbehörde der Berliner Landespolizei hatte zunächst ein Konzert auf der A100 in Tempelhof untersagt. Angesichts des starken Verkehrs sieht sie die „Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs“ gefährdet. Am Morgen hatte Lebenslaute auf der A100 eine Protestkundgebung abgehalten. Auch dort haben die Aktivisten musiziert, die Bauarbeiten wurden unterbrochen. Nach etwa dreieinhalb Stunden zogen die Demonstranten friedlich ab. Die Verantwortlichen der Baustelle erstatteten laut Berliner Morgenpost Anzeige wegen Landfriedensbruch.

Laut dem Einsatzleiter der Polizei ist das erhöhte Verkehrsaufkommen durch die Sperrung am Grunewald der Grund, den Abschnitt zwischen der Anschlussstelle Saarstraße und dem Autobahnkreuz Schöneberg auf der A103 freizuhalten. „Wir haben dem Versammlungsleiter mehrere Angebote gemacht, wo das Konzert stattfinden kann“, sagt er. Die Angebote seien „mit Autobahnbezug“.

Beginn des Konzerts war für 16.30 Uhr geplant. Musiker aus ganz Deutschland sind in Bussen angereist, um auf der Autobahn ein Zeichen für die Verkehrswende zu setzen. Nun stehen Unterstützer und das Orchester unschlüssig auf dem glühenden Asphalt. 500 Personen waren angemeldet, etwa 200 sind gekommen. Die Stimmung ist aufgekratzt, immer wieder gibt es Besprechungen in den sogenannten Bezugsgruppen, wie es jetzt weitergeht. Eine Überlegung ist, die Autobahn ohne Erlaubnis mit den zwei Reisebussen zu blockieren.

Viele der Demonstrierenden glauben, dass der Brand im Grunewald ein Vorwand für die Polizei ist. Der Dirigent Klan bezeichnet das Vorgehen als „wahrheitswidrig“. Sein Ohrring in Form einer Gitarre baumelt hin und her, als er in Richtung Autobahn deutet, auf der tatsächlich eher wenig Verkehr zu sehen ist. „Wir werden Klage einreichen“, sagt er. Im Verkehrsbericht stehe bis jetzt, dass es ein geringes Verkehrsaufkommen auf der A103 gebe, so Klan.

Ulrich Klan dirigiert das Orchester. Er glaubt die Erklärung der Polizei ist ein Vorwand.
Ulrich Klan dirigiert das Orchester. Er glaubt die Erklärung der Polizei ist ein Vorwand.Sabine Gudath

„Das Argument der Polizei klingt nicht einleuchtend“, meint auch der Versammlungsleiter Holger Jänicke. Das Angebot die Versammlung auf 20 Uhr zu verschieben, wenn der Verkehr wieder ruhiger ist, habe die Polizei nicht akzeptiert. „Das heißt, der eigentliche Grund ist nicht der drohende Verkehrskollaps, sondern dass sie grundsätzlich keine Versammlung auf der Autobahn haben wollen“, sagt Jänicke

Nach der nächsten Diskussion ist es entschieden: Die Sprecher der Bezugsgruppen heben die Hände zum Gebärden-Applaus. Die Polizei sperrt ab und die Teilnehmenden folgen den Beamten auf die Brücke. Ein Mann macht es sich auf einem mit Farnblättern bedruckten Luftkissen gemütlich. In der Hand eine Blume, auf dem Kopf eine Skibrille, unterhält er sich mit einem Gleichgesinnten über die Ironie, dass der Protest ausgerechnet wegen eines Waldbrandes verlegt wurde. „Das ist absurd“, sagt der eine. „Du weißt ja, warum der Wald brennt“, sagt der andere und lacht.

Auch andere begegnen der zweiten Verlegung auf die Autobahnbrücke mit Humor. Der Chor stimmt ein Lied an: „Wir singen und spielen…“ – „…genau da, wo die Polizei es will!“, beendet ein hochgewachsener Protestler die Liedzeile laut durch seinen grauen Bart. Hauptsächlich ältere Menschen sind gekommen, sie tragen Fahnen, die sich gegen Atomkraft richten. Es sind Menschen, die schon seit Jahren für den Umweltschutz auf die Straße gehen.

Hartmut Noack aus Treptow ist spontan zur Autobahnbrücke gekommen.
Hartmut Noack aus Treptow ist spontan zur Autobahnbrücke gekommen.Sabine Gudath

Neben dem Orchester sitzt Hartmut Noack, 67 Jahre alt, seit 32 Jahren aktiv. „Wir wurden jahrelang als grüne Spinner bezeichnet. Jetzt sind es mehr Menschen“, sagt er. Zwei Autos in einer Familie, diese Lebensweise sei „ruinös“. Die A100 koste 700 Millionen Steuergelder. Gelder, die laut Noack lieber für die Ausbesserung der bereits bestehenden Straßen und Wege eingesetzt werden sollten. „Diese Verkehrspolitik ist von Grund auf schlecht. Mittelalter“, sagt der Aktivist. In Berlin spreche man schon von einer „Betonmafia“.

Um 17.30 Uhr werden endlich Kabel ausgerollt und Mikrofone ausgerichtet, während das Konzert schon beginnt. „Ohne eine Rechtsgrundlage wird das Recht auf freie Versammlung mit Füßen getreten“, sagt ein Redner. Das Publikum buht. „Wir sind stinksauer!“, ruft jemand dazwischen. Ein Anruf im Büro der Innensenatorin ergab, dass diese den Vorgang nicht kommentieren möchte, sagt der Demonstrant. Ein Anruf bei einem Abgeordneten des Verkehrsausschusses ergab, er sei nicht zuständig. Auch der Einsatzleiter der Polizei will der Berliner Zeitung nichts dazu sagen, wer letztendlich entschieden hat, dass das Konzert nicht auf der Autobahn stattfand.