Seine Opfer waren meist hochbetagte Senioren. Ihnen soll sich David M. am Telefon als „Kommissar Dietrich vom Raubdezernat K4“, als „Kommissar Richter“ oder auch als „Staatsanwalt Weigel“ vorgestellt und die Frauen und Männer mit einer Legende um ihr Erspartes gebracht haben. 14 Monate ging die Betrugsmasche für den falschen Kommissar gut, dann wurde er festgenommen.
Seit Dienstag muss sich „Kommissar Dietrich“ vor dem Landgericht Berlin verantworten. Auf der Anklagebank der Jugendstrafkammer sitzt David M., ein schmaler junger Mann mit gestutztem Vollbart und ordentlich gescheitelten kurzen Haaren. 21 Jahre ist er alt, einen Beruf hat er nie erlernt. Wohl auch deswegen soll er sich mit anderen Tatbeteiligten zu einer Bande zusammengeschlossen haben, um gemeinsam im großen Stil Betrugsstraftaten als falsche Polizisten zu begehen und so seinen Lebensunterhalt zu bestreiten.
Die Staatsanwältin Anke Benrath wirft dem jungen Mann, der zur Tatzeit Heranwachsender war, gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Betrug in insgesamt 93 Fällen vor. Wobei es in 64 Fällen beim Versuch blieb. Zudem muss sich David M. wegen Amtsanmaßung verantworten – weil er sich als Polizist oder Staatsanwalt ausgegeben hatte. Die Taten soll David M. zwischen August 2020 und Oktober 2021 begangen haben.
Laut Anklage ging die arbeitsteilig agierende Bande, zu der der Angeklagte gehört haben soll, nach einem gemeinsam ausgeklügelten Tatplan vor. Demnach riefen die sprachgewandten Betrüger, sogenannten Keiler, aus einem Callcenter in der Türkei überwiegend ältere Menschen in Berlin und im gesamten Bundesgebiet an. Dabei nutzten sie auch das sogenannte Call-ID-Spoofing, wodurch auf den Telefondisplays der Geschädigten die Nummer 110 erschien.
Die Täter gaben sich als Polizeibeamte oder Staatsanwälte aus, warnten die Senioren vor einer Einbrecherbande oder korrupten Bankmitarbeitern, die es auf das Vermögen älterer Menschen abgesehen hätten. Und sie boten an, das Vermögen in Sicherheit zu bringen. Dabei sollten die Opfer ihr Bargeld und ihren Schmuck an angegeben Orten deponieren oder angeblichen Polizeibeamten übergeben.
In den meisten Fällen soll der Angeklagte bei den vorgeworfenen Taten in der Türkei als Keiler fungiert und seine Opfer am Telefon zunächst in längere, oft sehr feinfühlig geführte Gespräch verwickelt haben. Ziel sei es zunächst gewesen, herauszubekommen, ob der Angerufene Vermögenswerte besitze, sagt die Staatsanwältin. Dann soll David M. die Senioren durch zahlreiche und vor allem lang anhaltende Anrufe unter Druck gesetzt und sie unter Strafandrohung zur Geheimhaltung angehalten haben.
Einer professionell vorgetragenen Choreografie entsprechend wurden die zumeist betagten Geschädigten (...) sehr feinfühlig in dauerhafte Gespräche verwickelt
In einem Fall telefonierten David M. und seine Mittäter laut Anklage mit einer 80-jährigen Kölnerin sechs Stunden lang, bis die Frau schließlich 13.200 Euro von ihrem Konto abhob und das Geld später wie gefordert in einer Mülltonne an einem Spielplatz deponierte. Das Geld wurde anschließend durch andere Täter abgeholt und nach Bremen transportiert. Von dort flogen es andere Bandenmitglieder in die Türkei.
Es kam auch vor, dass die Angerufenen mehrfach auf die Trickbetrüger hereinfielen. Ein Ehepaar aus Kleinmachnow bei Berlin, 79 und 85 Jahre alt, soll von den Betrügern dreimal überredet worden sein, Geld in einer Tüte in einen am Telefon genannten Mülleimer in Berlin zu legen. Polizisten würden es abholen und in Sicherheit bringen, sei den Eheleuten erklärt worden. Insgesamt wurde das Paar damit um 69.000 Euro betrogen. Der Angeklagte soll in diesem Fall als Logistiker fungiert, den Abholer des Geldes instruiert haben.
Insgesamt habe der Angeklagte durch die Taten einen Betrag von 1.470.595 Euro erlangt, sagt die Staatsanwältin. Die Einziehung des Wertes des Erlangten sei anzuordnen, heißt es in der Anklage. Dass der Schaden nicht viel höher liegt, ist der Aufmerksamkeit vieler Bankangestellter zu verdanken. Als die Senioren große Summe Geld abheben wollten, alarmierten sie die Polizei. Vielfach wurden die älteren Menschen auch misstrauisch. Wenn sie den Anweisungen von „Kommissar Dietrich vom Raubkommissariat“ nicht mehr gefolgt seien, habe der Angeklagte sie beschimpft und mit vulgären Ausdrücken beleidigt.
Strafkammer schlägt dem Angeklagten Deal vor
David M. ist ohne Vater aufgewachsen. Nach Angaben einer Mitarbeiterin der Jugendgerichtshilfe hat er ab der siebten Klasse regelmäßig Cannabis konsumiert. Er sei drogenabhängig und möchte eine Therapie machen. 2012 verließ er die Schule – ohne Abschluss. Zwei Jahre blieb er beschäftigungslos, bis er „2020 spontan in die Türkei zog“. Wegen eines Mädchens. Es gebe bei ihm Anhaltspunkte, das Jugendstrafrecht anzuwenden. Das sieht offenbar auch die Kammer so.
An diesem ersten Verhandlungstag schweigt der Angeklagte zu den Vorwürfen. Er will mit seinem Anwalt erst über einen möglichen Deal reden. Ulf Burchards, der Vorsitzende Richter, hat dem Angeklagten angeboten, nur über die vollendeten Betrugstaten zu verhandeln. Zudem stellt er David M. bei einem umfassenden Geständnis eine Jugendstrafe zwischen vier und fünf Jahren Haft in Aussicht. Damit könnte vielen hochbetagten Zeugen die Anreise nach Berlin und die Aussage vor Gericht erspart bleiben.

