Trebenow ist ein kleines Dorf in der Uckermark nahe der Landesgrenze zu Mecklenburg-Vorpommern. Erstmals wurde der Ort im Jahr 1321 urkundlich erwähnt. Der Usedom-Radweg führt durch die Gemeinde, in der noch nicht einmal 200 Einwohner leben, viele davon in alten Bauernhäusern, die sich an der Straße durch das Dorf aneinanderreihen. In der Ortsmitte steht eine Kirche aus Fels- und Backsteinen, die um 1480 errichtet wurde und in der vor mehr als 30 Jahren Wandmalereien freigelegt wurden.
Karl-Heinz D. lebt seit Jahren zusammen mit seinem alten Beagle Apollo in einem großen Bauerngehöft mit Scheune an der Dorfstraße, die so heißt wie der Ort: Trebenow. Die Fassade des Wohnhauses ist frisch saniert und hell gestrichen. Karl-Heinz D. ist 62 Jahre alt und Hobbyimker. Mit dem Honig verdient sich der alleinstehende Mann etwas zu seiner Rente hinzu, die er seit einem Schlaganfall bezieht. Finanziell kommt der einstige Maschinenbauingenieur über die Runden, jedoch verfügt er über kein größeres Vermögen.
Im Dorf kennt jeder jeden. Karl-Heinz D. gilt als freundlicher, gutmütiger und hilfsbereiter Mann. An den Festen im Ort nimmt er teil, er geht in die Kirche, ansonsten lebt er zurückgezogen. Feinde hat er keine. Jeden Tag lässt er sich ein warmes Mittagessen liefern. Der Bote stellt die Assiette mit der Mahlzeit auf der Fensterbank ab, so ist es abgesprochen.
Am 23. Juli 2014 wundert sich ein Nachbar, weil er Karl-Heinz D. fast zwei Tage lang nicht mehr gesehen hat. Auf dem Fensterbrett steht noch immer das unberührte Mittagessen vom Vortag, das Hoftor ist offen, das Auto von Karl-Heinz D., ein alter Renault Laguna, weg, und Apollo streunt ohne sein Herrchen auf dem Hof herum.
Der Nachbar hat einen Schlüssel für das Haus von Karl-Heinz D. Für alle Fälle. Er öffnet die Tür zum Haus, geht hinein. Im Schlafzimmer findet er den Hausherren. Er liegt leblos in seinem Bett, überall ist Blut. Der Nachbar ruft die Polizei.
Ein Blutbad im Schlafzimmer
An jenem Sommertag, es ist ein Mittwoch, haben Jens Höwer und sein Kollege Peter Köhnen Dienst. Sie sind Kriminalisten der Mordkommission Frankfurt (Oder), Außenstelle Eberswalde. Den Namen des Dorfes, in das sie gerufen werden, haben sie zuvor noch nie gehört. Es liegt hinter Prenzlau. Gegen 13.40 Uhr treffen die Ermittler in Trebenow ein. Die Kriminaltechniker sind schon dabei, im Haus Spuren zu sichern.
Im Flur des Hauses liegt ein Kuhfuß. Schon bald ist klar, dass damit ein Fenster an der Hinterseite des Gebäudes aufgehebelt wurde, um in das Haus zu gelangen. Im Schlafzimmer erwartet die Mordermittler ein Blutbad. Und auch die Tatwaffe: eine Axt.
Fast neun Jahre später liegt auf einem Tisch im Büro von Jens Höwer und Peter Köhnen ein Stück Holz, das aussieht wie ein morscher Stab. Die beiden Kriminalisten arbeiten noch immer bei der Mordkommission in Brandenburg. Das Holzstück ist der Stiel einer Axt. Es zeugt von dem unglaublichen Gewaltexzess im Haus von Karl-Heinz D., den der zuständige Staatsanwalt „einen grauenhaften Tötungsakt“ nannte.

„Karl-Heinz D. ist im Schlaf überrascht worden, sein Schädel war eingeschlagen. Sein Schlafanzug, das Bett, alles war voller Blut“, erinnert sich der 47-jährige Höwer an den Tatort. Der Fall des ermordeten Hobbyimkers ist den Kriminalisten noch immer präsent. Das Blut von Karl-Heinz D. sei bis an die Wände gespritzt, sagt Höwer. Neben dem Bett habe eine blutverschmierte Axt und ihr abgebrochener Stiel gelegen.
„Die Obduktion der Leiche ergab, dass das Opfer durch massivste Gewalteinwirkung gegen den Kopf gestorben ist“, erzählt der Kriminalhauptkommissar. Von mindesten 13 Schlägen mit einer Axt habe der Gerichtsmediziner gesprochen. Das Schädeldach und mehrere Gesichtsknochen des Opfers seien zertrümmert worden. Auch beim Todeszeitpunkt habe sich der Experte aus der Rechtsmedizin festgelegt: Demnach starb Karl-Heinz D. in der Nacht zum 22. Juli 2014.
Wer tut so etwas? Und warum wurde Karl-Heinz D. das Opfer einer derart erbarmungslosen Tat – ein Mann, der über kein nennenswertes Vermögen verfügte? „Die Ermittlungsansätze waren dürftig. Und wir haben uns auf langwierige Ermittlungen eingestellt“, sagt Höwer.
Doch die Erfahrung half. „Durch die Analyse des Tatorts hatten wir dann sehr schnell den Verdacht, dass es sich bei dem Täter um eine Bezugsperson des Opfers gehandelt haben könnte.“ Anhaltspunkte dafür habe es einige gegeben: Die Zimmer im Haus waren in einem ordentlichen Zustand, aber einige Schränke standen offen. „Es sah aus, als sei zielgerichtet nach Wertgegenständen gesucht worden“, erläutert der Kriminalist.
Hinzu kam, dass der Täter den an der Scheune befestigten Bewegungsmelder unschädlich gemacht hatte, der anzeigen sollte, wenn sich Menschen oder Tiere vom Feld her dem Haus näherten. Das ließ auf Ortskenntnis schließen. Für eine Beziehungstat sprach auch die große Anzahl der Schläge und die massive Gewalteinwirkung. War Karl-Heinz D. erwacht und hatte den oder die Täter erkannt?

Die intensive Arbeit der Ermittler zahlte sich sehr schnell aus, erzählt Höwer. Sie befragten damals die Menschen im Dorf. Fast jeder in der Gemeinde, in der es bisher fast keine Kriminalität gegeben hatte und in der den Leuten wenig entging, konnte etwas über Karl-Heinz D. und seine Lebensgewohnheiten sagen.
Noch am Tag, als die Leiche des Hobbyimkers entdeckt wurde, erfahren die Kriminalisten, dass Karl-Heinz D. vor Jahren eine Lebensgefährtin hatte. Die Frau war 1994 mit ihrem fünfjährigen Sohn Steffen von Schwedt nach Trebenow gezogen. Karl-Heinz D. soll ein unproblematisches Verhältnis zu seinem Stiefsohn gehabt haben. Von Nähe allerdings sei die Beziehung nie geprägt gewesen, heißt es.
Einstiger Stiefsohn ist vorbestraft
Steffen besuchte im Nachbarort die Schule. Die Ermittler hören auch, dass der Junge schon bevor er strafmündig wurde erste Diebstähle begangen haben soll. Im Jahr 2003 trennte sich seine Mutter von Karl-Heinz D. und zog mit ihrem Sohn nach Prenzlau.
Sehr schnell bekommen die Fahnder mehr über den einstigen Stiefsohn von Karl-Heinz D. heraus. Steffen K. hatte nach seinem Schulabschluss eine Ausbildung zum Verkäufer gemacht – er war nach Berlin gezogen und ins kriminelle Milieu abgerutscht. Und: Der 25-Jährige war vorbestraft. Im Jahr 2009 war er wegen Raubdelikten verurteilt und erst im Januar 2014 aus dem Gefängnis entlassen worden. Seitdem lebte er in einer Pension in Berlin.

Doch bereits Ende April 2014 wurde Steffen K. wegen einer räuberischen Erpressung erneut inhaftiert – allerdings vier Wochen vor dem gewaltsamen Tod seines einstigen Stiefvaters von der Untersuchungshaft verschont. Wegen seiner kriminellen Karriere ist seine DNA in der Analyse-Datei beim Bundeskriminalamt gespeichert. Und so können die Ermittler die DNA von Steffen K. mit den gefundenen Spuren an der Axt und dem abgebrochenen Stiel vergleichen.
Sie stimmen überein.
Und noch etwas bringen die Fahnder in kurzer Zeit in Erfahrung. Sie klären, wo der elf Jahre alte, graue Renault von Karl-Heinz D. geblieben ist. Am Morgen nach dem Mord war das Fahrzeug gegen fünf Uhr einem Zeugen im Nachbarort Nechlin aufgefallen. Er hatte in dem Auto zwei Personen wahrgenommen. Der Wagen fuhr in Richtung Autobahn.
Auf einem Parkplatz an der Autobahn A11 in Richtung Berlin findet die Polizei kurz darauf Papiere von Karl-Heinz D., die entsorgt wurden. Und an der Raststätte Buckowsee stoßen die Ermittler auf eine vielversprechende Videoaufzeichnung. Sie belegt, dass Steffen K. und ein weiterer junger Mann am Morgen nach der Tat dort gefrühstückt hatten.
Nur zwei Tage nachdem Karl-Heinz D. tot in seinem Bett aufgefunden wurde, werden Steffen K. und auch sein 23 Jahre alter Mitbewohner Sarawin B. – es ist der Mann, der mit K. im Auto gesessen und später mit ihm an der Raststätte gefrühstückt hatte – in Berlin festgenommen. Bei der Durchsuchung der Zimmer stoßen die Fahnder auf Diebesgut aus Trebenow.
Die Ermittlungen ergeben, dass Steffen K. nach seiner Haftentlassung in Geldnöten war. Deswegen reifte der Entschluss, bei seinem einstigen Stiefvater Geld und Wertgegenstände zu holen. Auf mehrere zehntausend Euro soll er spekuliert haben. Gemeinsam mit Sarawin B. plante er den Einbruch.
Schon bald können die Ermittler die Tat genau rekonstruieren: Am Abend des 21. Juli 2014 stiegen die jungen Männer am Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen in den Regionalzug Richtung Prenzlau. Im Gepäck hatten sie den Kuhfuß, mit dem sie später ein Fenster aufhebeln sollten. Gegen 0.30 Uhr stiegen Steffen K. und Sarawin B. in Nechlin aus. Nach etwa einer Stunde Fußmarsch kamen sie in Trebenow an.

Dort warteten sie im Verborgenen, bis auch die letzten Lichter im Dorf ausgingen. Als alles ruhig war, brachen sie von hinten in das Haus von Karl-Heinz D. ein. Eine Axt, die sie zuvor im Stallgebäude gefunden hatten, nahm Steffen K. mit.
Im Wohnzimmer räumten die jungen Männer alles zusammen, was sie zu Geld machen wollten: Dazu zählten ein altes Handy, ein Navigationsgerät, die Ein- und Zwei-Euro-Münzen aus der Geldkassette für den Honigverkauf. Vor allem aber hatten sie es auf das Auto von Karl-Heinz D. abgesehen, den sie in Nebenzimmer schlafen hörten. Steffen K. fand zwar den Kfz-Brief, nicht jedoch den Autoschlüssel und den Kfz-Schein.
Als Karl-Heinz D. erwachte, ging Steffen K. mit der Axt ins Schlafzimmer. „Aus Angst, erkannt zu werden, und auch, um das Diebesgut mitnehmen zu können, schlug er zu“, sagt der Mordermittler Höwer. Nach wenigen Schlägen mit der stumpfen Seite der Axt, die den Kopf des Rentners trafen, zerbrach die Axt. Sarawin B. sei damals von der anderen Seite an das Bett getreten und habe mit dem Kuhfuß so lange zugeschlagen, bis Karl-Heinz D. reglos liegengeblieben sei, so Höwer.
Doch der Hausherr war noch nicht tot. Als er sich erneut zu bewegen begann, holte Steffen K. eine zweite Axt, die er im Flur gesehen hatte, und drosch damit nochmals auf seinen einstigen Stiefvater ein. Dem Toten nahm er dann die Armbanduhr vom Arm.
Nun hatten Steffen K. und Sarawin B. Zeit, auch den Autoschlüssel zu suchen. Am frühen Morgen fuhren sie den grauen Renault Laguna vor das Haus, um darin ihre Beute zu verstauen. Anschließend flohen sie über die Autobahn nach Berlin. Nur einen Tag später, also am 23. Juli 2014, verkauften sie das Fahrzeug in Polen – für 125 Euro.
Bei ihrer Vernehmung gestanden die jungen Männer den Einbruch in das Haus von Karl-Heinz D. Sie gaben jedoch an, dass sie den 62-Jährigen nicht töten, sondern lediglich bewusstlos schlagen wollten. Dafür hätten sie ihm extra die Decke über den Kopf gezogen.
„Doch durch akribische Ermittlungsarbeit konnten wir das widerlegen“, erinnert sich Jens Höwer. Damals sei eine Blutspurenmusteranalyse in Auftrag gegeben worden. Anhand der Blutspritzer im Schlafzimmer des getöteten Mannes konnte die Expertin nachweisen, dass die Schläge mehrfach und mit großer Wucht auf den Kopf von Karl-Heinz D. geführt worden waren. „Es ging den Tätern nicht darum, den Mann nur k.o. zu schlagen“, ist sich Höwer sicher.
Im Frühjahr 2015 beginnt am Landgericht Neuruppin der Prozess gegen den 25-jährigen Steffen K. und den 23-jährigen Sarawin B. Der psychiatrische Gutachter, der bei Kapitalverbrechen immer seine Expertise abgibt, hält die beiden wegen Mordes angeklagten Männer für voll schuldfähig. Steffen K. sei weder drogen- noch alkoholabhängig. Der Sachverständige nennt ihn intelligent und manipulativ, einen „Wolf im Schafspelz“. Steffen K. habe sich eine kriminelle Karriere aufgebaut.
Am 7. Mai 2015 ergeht das Urteil. Die Angeklagten werden wegen gemeinschaftlichen Mordes in Tateinheit mit Wohnungeinbruchsdiebstahls zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Die Richter sehen drei Mordmerkmale: Habgier sowie die Ermöglichung und Verdeckung einer Straftat. Für den einstigen Stiefsohn des Opfers ordnet die Kammer zudem die Sicherungsverwahrung an. Die Angeklagten hätten töten wollen, sagt der Vorsitzende Richter in seiner Urteilsbegründung. „Bei dieser Tat würde jeder erschaudern.“




