Die Haare von Bekim H. sind schulterlang geworden. Ein Stirnband hält sie zusammen. Das Gesicht hat er hinter einer FFP2-Maske versteckt, die er im Schwurgerichtssaal 500 auch dann nicht abnimmt, wenn er spricht. Er sagt nicht viel an diesem ersten Tag im neu aufgerollten Prozess um den gewaltsamen Tod einer 15-jährigen Schülerin. Seinen Namen gibt er an, er nennt sein Geburtsdatum. Und seine derzeitige Adresse: Untersuchungshaftanstalt Moabit. Seit fast genau zwei Jahren sitzt er dort ein.
Doch zu den Vorwürfen schweigt der mutmaßliche Mörder der 15 Jahre alten N. an diesem Tag. Er werde sich derzeit nicht äußern, sagt sein Verteidiger. So treten an diesem Dienstag erste Zeugen auf, Polizeibeamte. Fotos vom Tatort werden gezeigt und erläutert. Es sind schreckliche Bilder, die auf der Leinwand erscheinen. Die Mutter und die Schwester von N., die im Gerichtssaal sitzen, senken die Blicke. In dem Verfahren gegen Bekim H. sind sie erneut Nebenklägerinnen.
Bekim H. war bereits im März vorigen Jahres von einer anderen Schwurgerichtskammer wegen Mordes und Vergewaltigung der Gymnasiastin zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Mit dem Mord in der Rummelsburger Bucht habe Bekim H. die vorangegangene Vergewaltigung verdecken wollen, begründeten die Richter das Urteil damals.
Doch gegen die Entscheidung legte der Angeklagte Revision ein, der Bundesgerichtshof hob das Urteil teilweise auf. Die obersten Strafrichter hielten es für fehlerhaft, dass Bekim H. trotz seiner psychischen Erkrankung und trotz des Einflusses von Drogen und Alkohol für voll schuldfähig erklärt wurde. Zudem hielten sie ein anderes Mordmerkmal für möglich, das untersucht werden müsse. So komme auch ein Mord zur Befriedigung des Geschlechtstriebs infrage.
Der BGH bestätigte hingegen die Feststellungen zum Tatgeschehen: Demnach waren sich N. und Bekim H. in der Nacht zum 5. August 2020 zufällig begegnet. Die Gymnasiastin kam von der Geburtstagsparty einer Freundin, sie war angetrunken und wollte nach Hause. Die elterliche Wohnung lag nur zwei Gehminuten von der S-Bahn entfernt. Auf dem Bahnhof Ostkreuz begegnete sie Bekim H. kurz vor zwei Uhr. Zunächst folgte die Schülerin dem Mann freiwillig, um das von H. zuvor erworbene Speed an einem ruhigen Platz gemeinsam zu konsumieren.
Bekim H. führte die Schülerin zu dem Brachgelände an der Rummelsburger Bucht, sie kletterten „in ausgelassener Stimmung“ über einen Zaun, wie es im Urteil heißt. Ein Zeuge, der auf dem von Obdachlosen bewohnten Gelände lebte, hatte das Pärchen gehört. Auf dem Areal tranken sie Bier und nahmen Speed.

Schließlich soll der Angeklagte das Mädchen gewaltsam die Kleidung vom Körper gerissen und sie vergewaltigt haben. Die Schülerin versuchte verzweifelt, sich zu wehren. Schließlich würgte er sie mehrere Minuten lang, bis sie starb.
Am nächsten Tag meldete sich Bekim H. bei seinem Anwalt. Gemeinsam gingen sie zur Polizei, wo der Angeklagte erzählte, es sei etwas Schlimmes geschehen. Beamte fuhren mit ihm zum Tatort. Noch während der Fahrt sei Herr H. ganz normal gewesen, so als wäre nichts geschehen, sagt Polizeihauptkommissar Timo H. als erster Zeuge im neuen Prozess vor Gericht. Der 29-jährige Beamte fand die Leiche auf der von Bekim H. angegebenen Brache. Sie lag in einem Gebüsch. Die Tote sei vollständig mit Unkraut bedeckt und daher schwer zu sehen gewesen, sagt Timo K.
Der Zeuge schildert auch, dass Bekim H. weinend zusammengebrochen sei, als er ihm von dem Leichenfund berichtetet habe. „Er sagte: Ich könne ihn jetzt erschießen. Beißende Hunde würde man doch auch erschießen“, erinnert sich der Polizist. Eine Alkoholfahne habe er bei dem Angeklagten nicht bemerkt, auch keine Ausfallerscheinungen. Bekim H. hatte im ersten Prozess ausgesagt, vor der Tat sehr viel Bier getrunken und auch Drogen genommen zu haben.
Der Angeklagte trank schon mit zwölf Jahren Alkohol, mit 15 konsumierte er täglich Cannabis und alkoholische Getränke. Er ist auch strafrechtlich kein unbeschriebenes Blatt, wurde zunächst wegen Körperverletzung und Diebstahls verurteilt. Im Jahr 2001 vergewaltigte er eine 68 Jahre alte Frau, die in der Wohnung von Bekannten auf zwei Kinder aufpassen sollte. Da hatte er auch ein Messer dabei.
Das Landgericht Berlin sprach ihn Ende 2001 wegen einer psychischen Erkrankung frei und wies ihn in den Maßregelvollzug ein. Die alkoholische Beeinflussung in Kombination mit der schweren Persönlichkeitsstörung habe zu einem aggressiven Durchbruch des Angeklagten geführt, so die Richter damals. Sie schlossen nicht aus, dass bei Bekim H. die Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit völlig aufgehoben war.
Erst 13 Jahre später wurde Bekim H. aus der Klinik für psychisch kranke Straftäter auf Bewährung entlassen – entgegen der Empfehlung der Ärzte. Der Angeklagte trank weiter und nahm auch Drogen, obwohl er die Auflage hatte, abstinent zu leben. Die Behörden, die dies kontrollieren sollten, täuschte er. So gab er den Urin des kleines Sohnes seiner Lebensgefährtin für die Untersuchung ab.
Für das neue Verfahren vor der 29. Großen Strafkammer sind derzeit insgesamt 14 Verhandlungstage vorgesehen. „Wir machen noch einmal fast das gesamte Programm“, erklärt Staatsanwalt Phillipp Hujo in einer Prozesspause. Der Fokus liege auf der Erkrankung des Angeklagten. Es sei lange bekannt gewesen, dass Bekim H. unter einer hirnorganischen Persönlichkeitsstörung mit Impulskontrollstörung leide.
Allerdings schließe dies nicht automatisch eine Verurteilung zur Höchststrafe aus. Möglich ist laut Hujo in dem neu aufgerollten Verfahren vieles: von einer nochmaligen Verurteilung wegen Mordes mit einem anderen Mordmerkmal bis hin zur Einweisung des Angeklagten in die Psychiatrie.
