Die Humboldt-Uni gestaltet um

Bunter Mix statt alte Männer: Warum die HU ihre Nobelpreisträger entfernte

Die Humboldt-Uni hat die Porträtgalerie ihrer Ahnen im Hauptgebäude erneuert. Sie zeigt jetzt eine bewusst ausgewogene Mischung, die alles widerspiegeln soll.

Erinnerung sei immer kontrovers und sollte es bleiben, heißt es an der HU. Ausschnitt aus der neuen Porträtgalerie im Foyer.
Erinnerung sei immer kontrovers und sollte es bleiben, heißt es an der HU. Ausschnitt aus der neuen Porträtgalerie im Foyer.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Männer, Männer, Männer. Mit langem Vollbart, mit Spitzbart, mit Schnauzbart, mit Glatze, mit Kneifer, mit Hornbrille, mit Schmiss in der Wange – meist ernst guckend. Wandelnde Männermode aus gut 120 Jahren. So präsentierte sich seit 2011 die Forschungselite der Vergangenheit in einer Porträtgalerie im Hauptgebäude der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin. Gezeigt wurden die 29 Nobelpreisträger der alten Berliner Universität – von Einstein über Planck und Schrödinger bis Mommsen.

Wissenschaftliche Weltberühmtheiten stehen ganz sicher für die große Geschichte einer Universität. Trotzdem fiel diese Porträtgalerie aus der Zeit. „Weiße Männer, die einen Nobelpreis gewonnen haben, taugen grundsätzlich nicht mehr als alleinige Identifikationsfiguren für eine Universität, deren Verständnis für wissenschaftliche Exzellenz heute viel breiter ist“, sagt Gabriele Metzler, HU-Professorin und Vorsitzende der Historischen Kommission, die eine neue Porträt-Ausstellung „Exzellenz in der Wissenschaft – Universität für die Gesellschaft“ konzipierte und plante.

Frauen, Männer, Fächervielfalt und historische Widersprüche

Man findet die neue Galerie seit Ende April an der Stelle der alten. Wenn man über die Haupttreppe in die erste Etage kommt, in der Ausstellung „Präsidialetage“ genannt, stößt man vor dem Senatssaal auf die Bilder. Insgesamt werden mehr als 50 Personen vorgestellt, die die Geschichte der Uni auf vielfältige Weise prägten. Darunter erstmals viele Frauen – „weiße Frauen“, um die Begrifflichkeit von Gabriele Metzler aufzugreifen.

Zu sehen ist etwa Agnes von Zahn-Harnack, die erste reguläre Studentin der Berliner Universität von 1908. Heute sind 58 Prozent der Studierenden an der HU weiblich. Man sieht die Porträts von Marie-Elisabeth Lüders, der ersten Frau mit Doktortitel in Staatswissenschaften, von Lieselotte Richter, der ersten Philosophieprofessorin Deutschlands. Man begegnet auch Regine Hildebrandt, die an der HU Biologie studierte und nach dem Ende der DDR als brandenburgische Sozialministerin und leidenschaftliche Kämpferin für ostdeutsche Interessen nahezu legendär wurde.

Studierende machen sich mit der neuen Galerie bekannt.
Studierende machen sich mit der neuen Galerie bekannt.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Die Galerie zeige, auf welche Traditionen sich die HU berufen wolle, heißt es auf einer Tafel zur Erklärung. Nach wie vor soll dabei der Anspruch einer Forschungsuniversität klar erkennbar bleiben. Schaut man sich die Porträtierten an, dann sieht man: Sie vertreten tatsächlich eine große Vielfalt an Fächern: von Medizin über Physik, Chemie, Biologie, Mathematik, Jura, Soziologie, Theologie, Philosophie, Germanistik und Geschichte bis zu Theaterwissenschaften.

Die Uni schmückt sich gern mit ihren Studenten Marx und Heine

Da in Berlin tatsächlich viele Wegbereiter ihres Faches wirkten, stößt man in der Galerie natürlich weiter auf ehrwürdige Männer-Gestalten. Man sieht neben Hegel, Schleiermacher, Einstein, Schrödinger oder Virchow – bei denen man nur die Nachnamen nennen muss – auch Paul Ehrlich, Robert Koch, Albrecht von Graefe, Wilhelm Dilthey, Georg Simmel, August Boeckh, Max Born und viele weitere. Andere in dieser Galerie, bei denen man nur die Nachnamen nennen muss, sind Marx und Heine. Sie haben einst – unter anderem – an der Berliner Universität studiert. Die HU schmückt sich natürlich gern mit ihnen.

Wer sich mit dieser Galerie befasst, der ahnt, was die Auswahl für eine Mühe gemacht haben muss. Denn neben der wissenschaftlichen Vielfalt und den großen Namen ging es auch um historische Widersprüche. Immerhin durchlebte die 212 Jahre alte Universität eine Geschichte „in sieben politischen Systemen, preußisch, norddeutsch und reichsdeutsch, in der Republik, unter der NS-Herrschaft, als Hauptstadtuniversität der DDR und heute im vereinten Deutschland“, wie es heißt. Gibt es irgendwo auf der Welt noch eine Uni mit einer so wechselhaften Geschichte?

Biologiestudentin wurde 1938 als erste Mutter in Deutschland hingerichtet

Das Verständnis darüber, wofür die Humboldt-Universität stehe und stehen wolle, umfasse „immer auch Fragen der Verantwortung in der Wissenschaft und des Engagements für die Gesellschaft“, sagt die Historikerin Gabriele Metzler, „ganz besonders, wenn damit Zivilcourage und außergewöhnlicher Mut verbunden waren“.

Für Zivilcourage und Mut stehen zum Beispiel die Porträts der Genetikerin Elisabeth Schiemann, die in der NS-Zeit illegal in Berlin lebenden Juden half, oder der Biologiestudentin Liselotte Herrmann, die 1938 als erste Mutter in Deutschland hingerichtet wurde, weil sie Widerstand gegen die Nazis geleistet hatte. Der Philosoph Robert Havemann entging als Widerstandskämpfer gegen die Nazis nur knapp der Hinrichtung. Als DDR-Kritiker wurde er später mit Berufsverbot und Hausarrest belegt.

An  der alten Nobelpreisträger-Ahnengalerie hatte es seit Jahren immer wieder Kritik gegeben, auch wegen der „problematischen Biografien“ mancher der großen Forscher. Im Dezember 2013 entführten Studenten zum Beispiel das Porträt des Biochemikers Adolf Butenandt, der 1933 ein „Bekenntnis“ von Professoren „zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ mit unterzeichnet hatte und der an medizinisch-militärischen Forschungsprojekten der Nazis beteiligt gewesen sein soll, wie es in der Darstellung des Wissenschaftshistorikers Robert N. Proctor heißt.

Welternährung und Giftgas für den Krieg – die Widersprüche der Wissenschaft

In der neuen Galerie findet man Butenandt nicht mehr. Aber dafür andere Forscher, die für die widersprüchliche Geschichte der Wissenschaft stehen. Dazu gehört der Chemiker und Nobelpreisträger Fritz Haber, der mit seiner Forschung die Massenproduktion von Stickstoffdünger ermöglichte und damit einen wichtigen Beitrag zur Ernährung der stetig wachsenden Weltbevölkerung leistete. Zugleich gilt er heute als „Vater des Gaskriegs“, weil er die Entwicklung von Giftgas im Ersten Weltkrieg förderte.

Die Widersprüchlichkeit der Uni-Geschichte zeigt sich auch in der Zusammenstellung der Blöcke von jeweils sechs Bildern. Fritz Haber steht zum Beispiel direkt über der Zellforscherin Rhoda Erdmann, die 1933 Opfer der Gestapo wurde. Daneben sieht man Regine Hildebrandt und Karl Marx. Ein kleines Universum. Oder um es mit den Worten der Veranstalter zu sagen: „Erinnerung ist immer kontrovers und sollte es bleiben.“

Auch die Kernphysikerin Lise Meitner erhält in der Ausstellung endlich ihren Platz. Wegen ihrer großen theoretischen Leistungen bei der Entdeckung der Kernspaltung wurde sie 48 Mal für den Nobelpreis vorgeschlagen. Doch sie erhielt ihn nie – im Gegensatz zu ihrem Kollegen Otto Hahn. Auf dem Bild in der Ausstellung stehen sie nebeneinander im Labor. Sie scheinen sich recht unwohl zu fühlen angesichts der Kamera. Sie wirken wie zwei ernste, verschüchterte Teenager.

Weitere Informationen zur Porträt-Ausstellung und den dargestellten Personen finden sich im Internet unter: hu-berlin.de/de/ueberblick/geschichte/persoenlichkeiten