Berlin - Radfahrer und Fußgänger in Friedrichshain-Kreuzberg können sich freuen. Sie bekommen mehr Platz, da und dort wird sogar das Pflaster aufgebrochen und Grün gepflanzt. Das kündigte Annika Gerold, die neue für Straßen und Grünflächen zuständige Stadträtin, am Mittwoch an. „Es gibt einen großen Bedarf für die Umgestaltung des öffentlichen Raums“, sagte die Grünen-Politikerin. Sie stellte das Programm vor, mit dem sich der selbst ernannte Modellbezirk der Mobilitätswende in diesem Jahr weiter profilieren will. Es versteht sich, dass für die Autofahrer in dem dicht besiedelten Zentrumsgebiet 2022 kein gutes Jahr wird. Rund 500 Parkplätze fallen weg. Aus weiteren Stadtvierteln soll der Durchgangsverkehr verdrängt werden. Zusätzliche Einschnitte werden vorbereitet. So sollen Kraftfahrzeuge auf der Warschauer und der Skalitzer Straße künftig deutlich weniger Platz haben als heute. Die Oranienstraße soll für den motorisierten Individualverkehr ganz gesperrt werden.
Die Petersburger Straße in Friedrichhain ist ein gutes Beispiel dafür, in welche Richtung die Mobilitätspolitik im Bezirk steuert. Noch kann dort rechts neben den Fahrbahnen geparkt werden. Aber nicht mehr lange, sagte Felix Weisbrich, Leiter des Straßen- und Grünflächenamts des Bezirks, am Mittwoch. Der beidseitige Pop-up-Radweg, der im ersten Corona-Jahr 2020 zwischen Bersarinplatz und Landsberger Allee entstanden ist, wird „verstetigt“. Das bedeutet: Aus den provisorischen Radfahrstreifen werden endgültige. Im Frühjahr 2022 sollen die Arbeiten beginnen. Bei dieser Gelegenheit büßen Autos auf dem 1750 Meter langen Abschnitt Platz ein. „Rund 200 Parkplätze fallen weg“, schätzte der Amtsleiter. Die Stellflächen auf dem Mittelstreifen bleiben – vorerst.
Nur noch ein Fahrstreifen pro Richtung auf der Warschauer Straße
Auch der Pop-up-Radweg, der auf der Nordseite der Frankfurter Allee in Friedrichshain ebenfalls zu Beginn der Pandemie eingerichtet wurde, soll von diesem Frühjahr an in eine endgültige Anlage umgewandelt werden. Auf dem halben Kilometer zwischen Voigt- und Proskauer Straße entsteht ein 2,50 Meter breiter Radfahrstreifen, sagt Annika Gerold. Außerdem sollen die 550 Meter langen provisorischen Radfahrstreifen auf dem Nordabschnitt des Kottbusser Damms verstetigt werden – auf beiden Seiten der Straße.
In der Warschauer Straße in Friedrichshain, Teil der Bundesstraße 96a, müssen sich die Autofahrer in den kommenden Jahren auf weitergehende Einschnitte einstellen. Noch stehen dem Kfz-Verkehr dort zwei Fahrstreifen pro Richtung zur Verfügung. „Doch die Straße kann die Verkehrslast auch dann bewältigen, wenn es nur noch einen Fahrstreifen pro Richtung gibt“, sagte Felix Weisbrich. Konkrete Pläne und Zeitabläufe gebe es noch nicht. Doch der Bezirk arbeitet daran. Geprüft werde, die Radfahrstreifen zu verbreitern und mit Protektionselementen gegen Überfahren zu schützen, hieß es. Die Ladebereiche sollen vom Gehweg auf die Fahrbahn verlegt werden.
Oranienstraße wird für Durchgangsverkehr gesperrt
Auch in der Skalitzer Straße in Kreuzberg, einer weiteren stark befahrenen Magistrale im Bezirk, sollen Radfahrer mehr Platz bekommen. Fußgänger sollen ebenfalls profitieren. Für die geplante „Radbahn“, eine Radverbindung von Charlottenburg nach Kreuzberg, untersucht das dänische Beratungsunternehmen Ramboll Optionen, was mit dem übrigen Verkehr geschehen soll. Da der Platz unter dem Hochbahnviadukt der BVG meist nicht ausreicht, soll der Radweg auf einem Teil der heutigen Fahrbahn entstehen. „Wir bevorzugen von drei Varianten die Variante A“, so Weisbrich. Danach würde die nördliche Fahrbahn der Skalitzer Straße für den motorisierten Individualverkehr gesperrt. In beiden Richtungen fahren Autos, Lkw und Busse künftig auf der Südseite.
Bereits absehbar sei, dass Ende 2024 der Umbau der Oranienstraße in Kreuzberg beginnen soll, berichtete der Amtsleiter. Zwischen Moritzplatz und Skalitzer Straße verschwindet die Trennung in Fahrbahnen und Gehwege. „Geplant ist ein niveaugleicher Ausbau“, so Weisbrich. Fußgänger bekommen beidseitig mehr Raum. Weil für geschützte Radfahrstreifen aber der Platz fehlt, teilen sich Fahrräder, BVG-Busse, Lieferverkehr und Anlieger den Straßenraum. Der motorisierte Durchgangsverkehr soll dagegen draußen bleiben. Geplant sei eine „Einkaufsstraße zum Flanieren“, hieß es.
„Starke Zivilgesellschaft, die uns antreibt“
Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg hat bereits gezeigt, dass das Bekenntnis zur Mobilitätswende dort ernst gemeint ist. Dort entstanden 2020 die ersten Pop-up-Radwege, die bald auch außerhalb von Berlin eingefordert wurden. Die Bergmannstraße wurde verkehrsberuhigt, ein Umbau begann. Die Bezirksverordnetenversammlung beschloss, im Viktoria- und Reichenberger Kiez Kiezblocks einzurichten und diese Wohngebiete vor Durchgangsverkehr zu schützen. Ein weiteres Beispiel ist die Danneckerstraße in Friedrichshain, die zur ersten temporären Klimastraße erklärt wurde. Das Bezirksamt sperrte Autos aus und stellte Bäume in Kübeln auf.
„In diesem Bezirk gibt es eine starke Zivilgesellschaft, die uns antreibt“, sagte Stadträtin Gerold. Damit die flächenhafte Verkehrsberuhigung ganzer Stadtviertel vorangetrieben werden kann, bereite der Bezirk ein standardisiertes Verfahren vor. Anstatt langwierig komplette Planungen zu erarbeiten, soll rasch mit temporären Maßnahmen begonnen werden – zum Beispiel Fußgängerbereichen, Begrünungen, Sperrungen für den Durchgangsverkehr. „Straßen sollen zu Reallaboren werden“, sagte Amtsleiter Weisbrich. „Der Beteiligungsprozess für die Bergmannstraße hat zehn Jahre gedauert. Wir müssen schneller werden.“ Der Klimawandel schreite rasch voran.
Stadträtin bekennt sich zu zwei Straßenbahnprojekten
Damit die Stadt in den zu erwartenden heißen Sommern nicht zu sehr aufgeheizt wird, soll auch das Tempo der Entsiegelung beschleunigt werden, so Gerold. Geplant ist, bis 2026 insgesamt zehn Prozent der Straßenflächen sowie zehn Prozent der Autostellplätze im Bezirk von Pflaster zu befreien – und anders zu nutzen.





