Ein goldener Pfauenkopf ragt aus Wand, ein Vulvakissen liegt auf der gedrechselten Couch und die Zimmer sind in verschiedenen knalligen Farben gestrichen. Nica Furtacor heißt willkommen in ihrer Wohnung. Set-Designerin ist offenbar nicht nur ihr Beruf: Irgendwie hat Furtacor es geschafft, dass trotz der vielen Farben und Schnörkel alles geschmackvoll und stimmig wirkt.
Jared Philippo und Nica Furtacor sind Mitglieder eines sexpositiven Berliner Party-Kollektivs. Pinky Promise heißt es. Der Name beschreibt den Moment, wenn sich die kleinen Finger von zwei Menschen kreuzen, um einander Treue zu schwören.
Die beiden Gründer beschreiben Pinky Promise als „sinnliches Partykollektiv“, zu dessen Repertoire sexpositive Events und Workshops zum Thema Intimität genauso gehören wie extravagante Cabaret-Performances. Ihr Ziel ist es, Menschen in Berlin und London dazu zu ermutigen, ihre Sexualität in einem sicheren Rahmen zu erforschen, ihre Grenzen besser wahrzunehmen und zu kommunizieren und tiefere Verbindungen einzugehen. Nach einer Sommersaison mit 23 Festivals in sieben Ländern fand am 22. Oktober die Debütparty in Berlin statt.
Berliner Zeitung: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein sexpositives Kollektiv zu gründen?
Jared Philippo: Ich bin seit meiner Jugend in sexpositiven Räumen und auf Parties unterwegs. Mit 15 Jahren hatte ich eine DJ-Residenz in einem Londoner Stripclub. In dieser Zeit haben mich viele ältere Menschen aus der Szene willkommen geheißen, die meine extravagante Art und meine Musik mochten. So wurde ich oft auf Sexpartys und zu Modenschauen eingeladen. Meine Eltern sind sehr entspannt und erlaubten mir, jedes Wochenende bis spätnachts wegzubleiben, solange ich Sonntagabend nicht zu spät für die Schule zurückkam. Gleichzeitig hatten sie aber auch nicht wirklich viel Ahnung davon, was ich so trieb. Während meiner Zeit an der Uni organisierte ich eine erotische Party mit Zirkus-Thema, die an die besten Momente auf Festivals erinnern sollte: die Momente, in denen du dich frei fühlst, ganz du selbst zu sein, ohne Scham und die Angst vor Bewertung. Bei dieser Party gab es eine Menge verschiedener Spiele und interaktiver Momente mit fremden Menschen.
Nachdem ich zehn Jahre lang ähnliche Events organisiert hatte, hatte ich es etwas satt. Die Partys fraßen soviel Zeit, Geld und Energie, hatten aber keinen tieferen Sinn, als eine Nacht lang dem Hedonismus zu frönen. Ich wollte meinen Fokus stattdessen darauf richten, Events zu organisieren, die gemeinschaftsorientiert sind. Die Menschen dabei unterstützen, neue Wege zu finden, Verbindungen zu knüpfen und ihre Sexualität besser kennenzulernen. Denn das waren Themen, die mich zu der Zeit sehr beschäftigten.

Unsere erste Pinky Promise Party fand im Februar 2020 in einem Londoner Industriegebäude statt, direkt vor Beginn des weltweiten Lockdowns. Ich wollte – und will – sicherstellen, dass der von uns geschaffene Raum ein Gefühl von Wärme, Akzeptanz und begeisterter Neugier vermittelt, wenn Besucher unseren bunten Palast des Genusses betreten. Unsere Musikpolitik hat einen Fokus auf uplifting Sounds, die der Seele gut tun, mit wenig bis gar keinem Techno – ein Schock, ich weiß! Und wir haben ein Dekokonzept und einen Dresscode, der sehr bunt, verspielt, extravagant und kinky ist.
Ich liebe es, in den verschiedenen Räumen unserer Location ein großes interaktives Angebot für die Besucher zu schaffen. Gleichzeitig ist es mir sehr wichtig, im Kopf zu behalten, dass viele verschiedene Menschen zu unseren Events kommen und dass auch Personen dabei sind, die noch nie auf so einer Art von Party waren. Sie sind vielleicht nervös, haben Schwierigkeiten, ihre Vorlieben oder Grenzen auszudrücken oder wollen einfach nur ihre Leidenschaft, Kreativität und Vulnerabilität mit ihren Liebhabern erweitern. Deshalb haben wir auch einen extra Raum für Menschen, die zu unseren Workshops kommen wollen. Diese Workshops laufen fast die ganze Nacht, sodass Menschen zwischen den Dancefloors, interaktiven Räumen, Play Spaces und dem Workshopbereich wechseln können, je nachdem, was sie gerade suchen.
Sind Sie schon immer so offen mit Ihrer eigenen Sexualität umgegangen?
Philippo: Auf der Bühne und beim Organisieren der Partys komme ich glaube ich sehr selbstbewusst rüber. Und deshalb vermutet man oft, dass ich in meinem Privatleben genauso selbstbewusst bin. Das bin ich nicht. Pinky Promise half mir wirklich, mit meinen eigenen Schwierigkeiten in Bezug auf Scham und Angst vor Ablehnung umzugehen.
Ich denke, ich weiß, was Sie mit dieser Unsicherheit auf Sexpartys meinen, aber könnten Sie das nochmal erklären?
Philippo: Ich würde sagen, meine größten Unsicherheiten, als ich anfing, auf Sexpartys zu gehen, waren erstens nicht zu wissen, wie man auf jemanden zugeht, den man attraktiv findet, und zweitens, wie ich meine Vorlieben ehrlich auf eine Art kommuniziere, dass die andere Person sich wohlfühlt, auch wenn sie ablehnt.
Nica Furtacor: Wir versuchen, die Werte und die Bedingungen zu schaffen, damit Menschen sich so wohl und sicher wie möglich in ihren Körpern und beim Ankommen auf der Party fühlen. Als eine Person, die sich als Frau identifiziert, kenne ich nur zu gut die Unsicherheit, die man als Frau fühlt, wenn man zu einer solchen Party geht. Ich frage mich, ob ich attraktiv genug bin oder ob ich etwas tun muss, was ich nicht möchte. Wir versuchen die Idee wirklich rüberzubringen, dass man nichts machen muss, was über die eigenen Grenzen geht, nur weil man auf dieser Party ist.

Sie beschreiben Ihre Partys nicht als Sexparty, sondern als ‚sensual party‘ oder sinnliche Party. Können Sie den Unterschied erklären?
Philippo: Es gibt in Berlin genug Partys, wo man den wildesten und perversesten Fantasien freien Lauf lassen kann – ich wollte sehen, was für ein Umfeld wir kreieren könnten, wo Sex nicht als Hauptgericht, sondern als Beilage dazugehört. In unseren Events sehen wir Sensualität und Sinnlichkeit als kreativen Ausdruck, um Intimität mit uns selbst und anderen zu erleben. Wie Menschen das ausdrücken oder verstehen wollen, ist ihnen überlassen. Aber wir wollten den Menschen eine Möglichkeit bieten, ihre Wahrnehmung von Lust und Genuss in Frage zu stellen und zu erweitern, vor allem jenseits der bloßen Penetration.
Furtacor: Ich habe auch über ein Jahrzehnt lang sexpositive Partys organisiert und an ihnen teilgenommen. Ich merkte schnell, dass ich nicht in die schwarzes Leder oder Latex tragende Norm hineinpasste. Stattdessen wollte ich an intimen Aktivitäten teilnehmen, in Räumen mit warmem Licht und sanfter Deko. Wo ich mich nicht beurteilt fühle, weil ich extravagante, bunte Kostüme trage, in denen ich mich attraktiv fühle.

Wie würden Sie die Art Menschen beschreiben, die zu euren Partys kommen?
Furtacor: Was ich an unseren Partys besonders finde, ist, dass sie wirklich offen sind für Menschen, die entweder langjährige Hedonisten sind, die regelmäßig ins KitKat gehen, aber auch für die, die sich gerade erst in der sexpositiven Sphäre ausprobieren.
Philippo: Ich bin auf jeden Fall eine Person die sich selbst nicht so ernst nimmt. Ich glaube, deshalb zieht Pinky Promise Menschen an, die den Genuss sowohl als Weg als auch als Ziel sehen. Und Menschen, die gerne zusammen lachen, während sie die Komplexität von Sex entdecken.
Es ist ziemlich selten, dass man in Berlin auf eine Party geht, wo es auch einen separaten Raum nur für Workshops und Vorträge gibt. Können Sie mir noch mehr dazu erzählen und was dort vorgeht?
Philippo: Unsere Workshops bieten Konversationen, Übungen und Techniken an, mit dem Ziel, sich begeistert statt ängstlich zu fühlen über die eigenen Wünsche und Fantasien. Wir bieten also einen sicheren Ort, in dem du die Verbindung mit deiner Sexualität und deinen Kinks und Beziehungen vertiefen kannst und bereichern dich mit kreativen Formen, diese zu navigieren und auszudrücken.

Nutzen Sie diese Orte also als eine Art Petrischale, um die Utopien dann auf die Gesellschaft zu übertragen?
Philippo: Der Gedanke, dass eine Party gesellschaftliche Probleme bewältigen kann, ist ambitioniert. Mir sind die Grenzen bewusst. Ich versuche, meinen Fokus auf die Menschen zu legen, die zu den Partys kommen, und darauf, wie die Party für sie transformierend sein kann. Wenn das einen kleinen Einfluss auf den Umgang mit anderen Menschen hat und sie sich selbstbewusster fühlen, dann bin ich glücklich.
Sie kommunizieren auf dem Instagramkanal klar, dass Sie Inklusion und alle Körperformen feiern. Bei der Pinky Promise Party auf dem Bucht-der-Träumer-Festival hatte ich aber den Eindruck, dass vor allem Menschen da waren, die dem Schönheitsideal entsprechen. Wie stellen Sie sicher, dass sich alle wohl fühlen?
Furtacor: Es ist sehr schwer, die Idee von Schönheit zu dekonstruieren. Und es ist sehr schwer, die internalisierten Unsicherheiten zu überwinden, die Menschen haben, die nicht in diesen Standard passen. Auch wenn wir sagen, kommt, wir finden alle Menschen schön, braucht es Mut. Unglücklicherweise haben vor allem Menschen, die in den Schönheitsstandard passen, diesen Mut und präsentieren sich selbst verwundbar und ausdrucksstark. Meiner Erfahrung nach ist der einzige Weg, das zu brechen, kontinuierliche Kommunikation. Unsere Idee ist, durch unsere eigene Attitüde zu zeigen, dass diese Menschen willkommen sind.
Philippo: Wenn wir Bühnen bei Festivals wie Bucht der Träumer managen, definieren wir den Raum, den wir einnehmen wollen, und die Botschaft, die wir innerhalb des Festivals befördern wollen. Deshalb wählen wir unsere Performer und Leiter sorgfältig aus und auch die DJs, die wir buchen, da sie unsere Werte widerspiegeln und dem Publikum eine breitere Repräsentation an Menschen zeigen.

Was würden Sie sagen, ist der größte Unterschied zwischen der sexpositiven Szene in Berlin und der in London?
Furtacor: London ist ein kultureller Schmelztiegel mit so vielen unterschiedlichen ethnischen Gruppen, was meiner Meinung nach der Szene viel mehr Möglichkeiten bietet, marginalisierte Stimmen zu verstärken. Es gibt zum Beispiel Sexpartys für queer People of Color.
Wie finanzieren Sie diese Partys?
Philippo: Unsere Events basieren auf den Prinzipien von Inklusivität, daher versuchen wir, den Eintritt allen zu ermöglichen. Andererseits befinden wir uns ständig in einem Spagat zwischen dem Versuch, unserem Team von achtzig Leuten ein anständiges Honorar zu zahlen und sicherzugehen, dass wir niemanden durch unsere Eintrittskosten ausschließen.
