Berlin-Das Etablissement im dritten Stock der Giesebrechtstraße 11 in Berlin-Charlottenburg war von eindrucksvoller Größe. Hatte man das Klingelschild mit der Aufschrift „Pension Schmidt“ gedrückt, betrat man eine rund 500 Quadratmeter große Etagenwohnung. Vom großen Empfangsraum, dem mit viel Plüsch, schweren Polstermöbeln und Kristallleuchtern ausgestatteten Salon, ging ein Flur ab, der zu insgesamt neun, luxuriös gestalteten Schlafzimmern führte.
Bis die Pension Schmidt im Jahr 1943 nach einem amerikanischen Bombenangriff ausbrannte, war sie „das prominenteste Etablissement käuflicher Liebe im Dritten Reich“, wie der Publizist Hans-Peter Bleuen in seinem Buch „Das saubere Reich. Theorie und Praxis des sittlichen Lebens im Dritten Reich“ schrieb.
Hochrangige Nazis, aber auch Diplomaten und Staatsgäste verkehrten hier und schwärmten anschließend von den schönen und „intelligenten Frauen in Cocktailkleidern“, die ihnen zu Diensten sein mussten. Berühmt wurde das Bordell aber erst nach dem Krieg, als seine eigentliche Funktion enthüllt wurde – demnach war der Edel-Puff ein Spionagenest, in dem der Nazi-Geheimdienst SD die Kunden in ihrem Liebesgeflüster abhören ließ.
Bordell in der Pension Schmidt
Über die Pension Schmidt – der angeblich von Reinhard Heydrich, dem Chef des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), der Deckname „Salon Kitty“ verpasst wurde – ist schon viel geschrieben worden. Filme mit reichlich nackter Haut wurden darüber gedreht, auch einige Dokumentationen, die sich des Themas etwas ernsthafter annahmen.
Enthüllt worden war die Existenz des Spionagebordells im Jahre 1956 von einem, der es wissen musste – dem früheren Auslandsspionagechef des SS-Sicherheitsdienstes (SD), Walter Schellenberg. Auf dessen Darstellung in seiner Autobiografie basiert auch der in den 1970er-Jahren veröffentlichte sogenannte Tatsachenroman „Salon Kitty“ des deutschen Schriftstellers Peter Norden.
Obwohl der Autor in seinem Klappentext damals offen einräumte, in seinem Buch Fakten und Fiktion recht freihändig vermischt zu haben, prägte Nordens Roman wesentlich die seitdem immer wieder in Büchern und Filmen kolportierte Legende vom Spionagepuff.

Berlin Story Verlag/Angel & Bear Productions Ltd.
Demnach war die weltgewandte Besitzerin des hochklassigen Freudenhauses in der Giesebrechtstraße 11 dazu erpresst worden, ihr Bordell in ein Spionagezentrum umzuwandeln. Unter Regie von Reinhard Heydrich seien dann die Zimmer des Etablissements verwanzt worden. Die Leitungen der Mikrofone führten in den Keller des Hauses, wo SS-Leute nicht nur das Liebesgeflüster auf Wachsplatten aufzeichneten, sondern auch all jene Geheimnisse, die Männer mitunter im erotischen Taumel ihrer Geliebten verraten.
So weit die Geschichte, wie sie seit Jahrzehnten erzählt wird. Aber stimmt das auch? Was davon ist Legende, was die Wahrheit? Antworten darauf finden sich in dem vom Berlin Story Verlag kürzlich veröffentlichten Band „Kittys Salon – Legenden, Fakten, Fiktion“ der Journalisten Julia Schrammel und Urs Brunner.
In einer aufwendigen Recherche im In- und Ausland haben die Autoren die wenigen noch lebenden Zeitzeugen befragt sowie Akten, Dokumente und Memoiren zum Salon Kitty ausgewertet, um Fakten von Fiktion zu trennen. Die Geschichte des Edel-Puffs in der Giesebrechtstraße muss danach zwar nicht neu geschrieben werden, aber man kann sie nun korrekter und sachlicher wiedergeben.
Gutes Geschäft in Berlin mit käuflicher Liebe
Die spätere Bordellbetreiberin Kitty Schmidt war 1882 als Kätchen Emma Sophie Schmidt im Hamburger Stadtteil St. Georg geboren worden. Sie war das dritte von insgesamt acht Kindern einer Kaufmannsfamilie. Als junge Frau ging Kitty Schmidt nach England, arbeitete als Klavierlehrerin. Dort brachte sie auch ihre uneheliche Tochter Kathleen zur Welt. Sie heiratete einen spanischen Diplomaten und nahm dessen Namen – Zammit – an. Nach dem Selbstmord ihres Gatten kehrte sie 1918 nach Deutschland zurück und ging mit ihrer Tochter nach Berlin.
In der pulsierenden Metropole mit seinem freizügigen Nachtleben und der offen ausgelebten Sexualität entwickelte die junge Frau ihr Gespür dafür, dass sich mit käuflicher Liebe ein gutes Geschäft machen ließ. In den 1920er-Jahren eröffnete sie unter ihrem Mädchennamen Schmidt ihren ersten „Salon“ in der Budapester Straße 27. Schon zwei Jahre später aber wurde das Etablissement geschlossen, weil sie ohne Konzession Alkohol ausgeschenkt hatte. 1935 nahm Kitty Schmidt – wie sie sich nun wieder nannte – einen zweiten Anlauf.
Nun boten von ihr beschäftigte junge Mädchen am Kurfürstendamm 63 ihre Körper preis. Vier Jahre später erfolgte dann der Umzug in die Giesebrechtstraße, eine Nebenstraße des Kudamms. Ihre Pension Schmidt ließ die stattliche, stets mondän in Hosenanzug oder Kostüm gekleidete Frau im Berliner Adressbuch als „Fremdenheim“ mit der Inhaberin Kitty Zammit eintragen.
Heydrichs Idee vom Spionagehotel
Schmidts Verhältnis zu den neuen Machthabern in Nazi-Deutschland bleibt unklar. Der Schriftsteller Peter Norden hatte in seinem „Tatsachenroman“ geschrieben, sie habe im Juni 1939 mit falschem Pass über die Niederlande nach England fliehen wollen, was aber vereitelt worden sei. Deshalb hätten die Nazis sie unter Druck gesetzt, ihren Edel-Puff für Spionagezwecke zur Verfügung zu stellen. Einen Beleg für diese Geschichte, die zur Legende um den Salon Kitty gehört, gibt es aber nicht.
SD-Auslandschef Schellenberg schrieb in seinen Memoiren, Heydrich habe 1938/39 die Idee für ein Spionagebordell gehabt. Wie er Kitty Schmidt davon überzeugte, ihr Etablissement dafür zur Verfügung zu stellen, ist unklar. Schellenberg zufolge statteten Techniker des RSHA den Puff in der dritten Hausetage mit „Doppelwänden, modernen Abhörgeräten und automatischer Fernübertragung“ aus.
Kitty war Inhaberin eines nach Pariser Gepflogenheiten geführten Etablissements und favorisierte Arrangeurin galanter Unterhaltung.
Innerhalb weniger Tage wurden an die 50 Mikrofone in Lampenschirmen und Blumenvasen, unter Tischen und hinter Gemälden in den Zimmern der Pension Schmidt versteckt. Auch Kameras wurden installiert. Endlose Kabel liefen unter Teppichen, Leisten, Bilderrahmen und Schränken hindurch und mündeten in Rohrleitungen, durch die sie zur Abhörzentrale führte, die in einem Kellerraum des Hauses eingerichtet war.
Bei Umbauarbeiten in den 1960er-Jahren stießen Bauarbeiter tatsächlich auf merkwürdige Kabel, die vom Keller durch Rohre bis in den dritten Stock führten. Ob in dem schalldicht isolierten Kellerraum tatsächlich alle Gespräche aus den Liebesnestern des Salon Kitty auf Wachsplatten aufgezeichnet wurden oder die Lauscher nur wichtige Aussagen mitschrieben, bleibt ebenso ungeklärt wie die Frage, ob die abgehörten Gespräche überhaupt einen nachrichtendienstlichen Wert hatten für Heydrichs Leute.
Überliefert ist, dass der Edel-Puff durchschnittlich 30 Gäste pro Tag empfing. Darunter waren Diplomaten, Militärs, Minister, Künstler und viele Prominente des NS-Staates. Zu den häufigen Gästen gehörten etwa Reichsaußenminister Ribbentrop, Josef Dietrich, Generaloberst der Waffen-SS, der Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Robert Ley, sowie der öfter in Berlin weilende italienische Außenminister und Schwiegersohn Mussolinis, Galeazzo Ciano. Auch Heydrich und Schellenberg nahmen die Dienste des Salon Kitty in Anspruch.
Das Ende
In der zweiten Hälfte des Jahres 1943 – das genaue Datum ist nicht überliefert – endete die Geschichte des Spionagebordells. Nach einem Bombenangriff der Amerikaner brannten die dritte und vierte Etage des Hauses in der Giesebrechtstraße 11 aus. Kitty Schmidt zog mit ihrem Salon in das Erdgeschoss um. Neue Wanzen wurden nicht mehr installiert. Heydrich war ein Jahr zuvor bei einem Anschlag in Prag ums Leben gekommen, und sein Nachfolger an der RSHA-Spitze, Ernst Kaltenbrunner, hatte zumindest kein berufliches Interesse mehr am Salon Kitty.


