Kolumne: Brutal Berlin

Angespuckt, beleidigt, angepöbelt: Wie das Ordnungsamt am Alex bedroht wird

Jetzt stehen sie wieder auf dem Gehweg und kassieren Radfahrer ab: Eine Begegnung mit dem Ordnungsamt am Alexanderplatz.

Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vom Ordnungsamt kontrollieren eine Straße in Berlin.
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vom Ordnungsamt kontrollieren eine Straße in Berlin.Kira Hofmann/dpa-Zentralbild/dpa

Berlin-Ein Mann steht am Alexanderplatz neben seinem Fahrrad und fuchtelt mit den Armen. „Mensch, runter vom Rad“, ruft er jedem Fahrradfahrer zu, der sein Rad am Alexanderplatz in Richtung Fußweg bewegt. „Da hinten steht das Ordnungsamt und kassiert Radfahrer ab.“ Einer nach dem anderen steigt dank der Warnung des Mannes ab, läuft auf dem Gehweg, das Rad schiebend, und steigt erst hinter den Ordnungsamtsvertretern wieder auf und fährt weiter. Nur einer, der Kopfhörer trägt, versteht nicht, was der Mann mit den erhobenen Armen von ihm will und fährt auf die Kontrolleure zu, stoppt — und muss kurz darauf seinen Ausweis zeigen.

Es ist ein sonniger Tag, Ende März, morgens kurz nach halb elf. Sicherlich wissen alle, die hier entlangfahren, dass der breite Gehweg hinter dem Saturn kein ausgewiesener Radweg ist. Sie wissen auch, dass sie hier eine Ordnungswidrigkeit begehen, wenn sie trotzdem darauf fahren. Aber es ist der erste warme Tag, der Fahrradweg auf der Straße führt nur geradeaus, der Gehweg ist eine Abkürzung für die Abbiegenden – und noch dazu komplett leer. Es ist auch ein idealer Ort für das Ordnungsamt, um viele Strafzettel zu verteilen. Die Ordnungsamtsmitarbeiter haben alle Hände voll zu tun, die Menschen anzuhalten. Meist erklären sie den Betroffenen dann zu zweit, was hier gerade passiert ist.

Susan, 28, ist eine der ersten, die erwischt wird. Sie bezahlt sofort die geforderten 55 Euro. Aber die Anspannung ist trotzdem so groß, dass sie zittern und weinen muss. „Ich bin ohnehin zu spät“, sagt sie schluchzend, „aber dass ich jetzt noch zusätzlich völlig verheult auf Arbeit komme, macht den Tag nicht besser.“ Dann muss sie kurz lachen. „Aber so richtig fair ist das nicht“, sagt sie noch und zeigt auf die anderen, die an den Mitarbeitern des Ordnungsamts vorbeiradeln, weil diese nur einen oder höchstens zwei Regelbrecher zugleich abfertigen können. Wird sie es wieder machen? Es gebe keinen Radweg für Radfahrer, die rechts abbiegen wollen, beschwert sie sich. „Ich schaue in Zukunft einfach genauer hin, ob sie hier kontrollieren.“

Der Einsatzleiter an diesem Tag ist ein freundlicher Herr, der seinen Namen lieber nicht nennen will. Er sagt, dass sie jetzt, wo das Wetter besser werde, wieder häufiger auf der Straße die Verkehrsregeln kontrollieren wollen. „Die Saison ist eröffnet sozusagen“, sagt er , „aber nicht, dass Sie das jetzt so schreiben.“ Denn im Grunde werde das ganze Jahr über kontrolliert: an Ampeln, an Kreuzungen, in verkehrsberuhigten Zonen. „Aber gerade jetzt im Frühling ist das Aufkommen von Fahrradfahrern wieder spürbar mehr geworden.“ So ein Einsatz wie hier am Alexanderplatz dauere normalerweise vier Stunden. Dann wolle man sich wieder anderer Arbeit widmen.

Das Ordnungsamt im Nachbarbezirk Treptow-Köpenick hat Anfang April gar eine Schwerpunkt-Kontrolle durchgeführt. Dabei wurden 430 Verstöße festgestellt wegen „des unerlaubten Radfahrens auf Gehwegen“. Kontrolliert wurden vor allem Orte, die durch Beschwerden von Bürgern aufgefallen waren. Rund 380 von ihnen erhielten eine Ordnungswidrigkeitsanzeige, die restlichen wurden mündlich verwarnt. Das liegt meist im Ermessen der Beamten.

Der Vertreter des Ordnungsamts vom Kontrollteam am Alexanderplatz weist jedenfalls darauf hin, dass es tatsächlich gefährlich sei, hier auf dem Fußweg zu fahren. Erst vor wenigen Wochen sei es hier zu einem Unfall gekommen zwischen Fahrrad und Fußgänger. Durch den Bauzaun sei nicht sichtbar, wer hinter der Kurve gerade läuft oder ob von dort vielleicht ein weiteres Fahrrad heranrast. „Es gibt auch immer wieder Menschen, die sich einsichtig zeigen“, sagt der Ordnungsamtsmitarbeiter. „Dann bleibt es manchmal auch bei einer Verwarnung.“

„Ihr Idioten vom Ordnungsamt“

Die Reaktionen auf der Kreuzung am Alexanderplatz sind jedenfalls sehr unterschiedlich, und in einer halben Stunde bekommt man schon ein gutes Gefühl dafür, was die Mitarbeiter alles aushalten müssen:

Mann, Mitte 30, fährt vorbei: „Ihr Idioten vom Ordnungsamt dürft mich doch sowie nicht anhalten!“

Frau, Anfang 40, schimpft weinend: „Ich komme aus Kiew und auf meine Stadt fallen gerade Bomben! Ihr seid so herzlos!“

Mann, Mitte 40, mit sächsischem Akzent: „Das ist doch die totale Abzocke! Ich zahle nix!“

Der Mitarbeiter des Ordnungsamts bleibt bei solchen Reaktionen immer ganz gelassen. Er sei lange beim Militär gewesen und könne mit harter Ansprache gut umgehen. „Und es bleibt ja dabei, die Menschen, die wir anhalten, haben eine Ordnungswidrigkeit begangen“, sagt er, „ob sie dafür bezahlen müssen, hängt auch von ihrem Verhalten ab.“ Die Strafe ist seit diesem Jahr empfindlich hoch: von ehemals 15 Euro stieg sie auf 55 Euro. „Aber manchmal werden wir angespuckt oder angegriffen.“ Dann rufe er konsequent die Polizei zur Hilfe.

Es ist etwas mehr als ein Jahr her, dass im Bötzowkiez eine solche Schwerpunkt-Kontrolle zu einem Riesenproblem für das Ordnungsamt Pankow wurde. Ein Mann wurde von vier Mitarbeitern des Ordnungsamts festgehalten, sie sollen ihn getreten, sein Rad beschädigt haben. Zeugen der Kontrolle wurden von der hinzugerufenen Polizei festgehalten, ein Mann sogar zu Boden gedrückt. Was genau an jenem Tag Ende März 2021 geschah, ist bis heute nicht geklärt, aber ein Detail ist interessant für den Bötzowkiez: Der zuständige Stadtrat für das Ordnungsamt war damals ein Mann von der AfD. Es gab Handyvideos von dem Tag und Bürger, die dieses Verhalten als Staatsgewalt bezeichnen.

Grundsätzlich ist es richtig, dass das Ordnungsamt anders als die Polizei keine Gewalt anwenden darf, Bürger anhalten darf es dagegen schon. Die Befugnisse ändern sich von Bundesland zu Bundesland, aber insgesamt ist es deren Aufgabe, für „Ruhe und Ordnung“ zu sorgen. Autos anhalten dürfen sie zum Beispiel nicht, weil das „in den laufenden Verkehr eingreifen“ würde – das sei nur Polizisten erlaubt. Deshalb stehen sie ja auf dem Gehweg. Und den dürfen wiederum keine Fahrradfahrer einfach als Radweg nutzen.

Was also, wenn wirklich jemand weiterfährt? Der Einsatzleiter vom Alexanderplatz zuckt mit den Schultern: „Wir werden hier niemanden zu Boden drücken“, sagt er. Er kann aber schon die Polizei zur Hilfe rufen, wenn sich Menschen querstellen. Aber niemand habe hier Interesse an einer großen Szene. Generell sei ihm aufgefallen, dass Fahrradfahrer oft nicht auf Kopfsteinpflaster fahren wollen. Da sei auch viel Bequemlichkeit dabei – dass dafür Fußgänger gefährdet werden, sehe er nicht ein.

Manchmal gibt es auch Menschen am Alexanderplatz, die diese Regeln einsehen, die einfach bezahlen und weiterfahren. So wie Lara, 22, und Brigitte, 70. Beide sind nur für wenige Tage in Berlin. Beide fahren sonst nie über den Alexanderplatz. Lara kommt aus Rostock und sagt: „Na und, sie haben ja recht, dann zahl ich das eben einmal.“ Und Brigitte ist zu Besuch aus Bayern. „In München kontrollieren die an jeder Ecke“, sagt sie mit starkem Akzent. „Dann ist das eben so.“


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