Vor einer Woche hat die IHK Berlin ihre Prognose zum Fachkräftemangel vorgestellt. Eine Prognose, die erschreckende Zeiten für die Wirtschaft und den Berliner Arbeitsmarkt prophezeit. Es wird auf allen Ebenen einen Mangel geben: vom Azubi, über den Facharbeiter bis zum Akademiker. Klar wurde aber auch, dass viele Ursachen des Fachkräftemangels hausgemacht sind.
Schulabgänger, denen es an wesentlichen Grundkenntnissen fehlt und zu viele Schulabbrecher und Studienabbrecher. Hinzukommt der Wohnungsmangel sowie eine schlecht funktionierende Verwaltung, in der es an Digitalisierung fehlt und an Bürokratie nicht mangelt. Der berühmte Way of Life, mit dem Berlin immer gerne wirbt, ist für viele Fachkräfte kein Grund, nach Berlin zu kommen oder hier zu bleiben.
Am vergangenen Donnerstag stellte Arbeitssenatorin Katja Kipping (die Linke) gemeinsam mit dem Institut sozialökologischer Strukturanalyse (SÖSTRA ) nun das Berliner Betriebspanel 2021 vor. Kipping legte damit ihre Sichtweise auf den Berliner Fachkräftemangel dar und versieht das Ganze mit einer klaren Botschaft an die Berliner Unternehmen: „Wenn die Betriebe Fachkräfte haben wollen, dann müssen sie auch selbst ausbilden.“
Doch ist es mit dieser Floskel getan? Die Ergebnisse der Arbeitgeberbefragung machen deutlich, dass 73 Prozent der Berliner Betriebe im Jahr 2021 negativ von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen waren. 31 Prozent der Unternehmen sind durch Corona existenzbedroht. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass Berlin eine Stadt der Kleinstbetriebe und Kleinbetriebe ist. 74 Prozent der Unternehmen haben unter zehn Mitarbeiter und 21 Prozent haben zwischen zehn und 49 Mitarbeiter.

Das hat Auswirkungen auf die Arbeitsplatzsicherheit, da Kleinstunternehmen selten über dasselbe Kapital verfügen, das großen Konzernen zur Verfügung steht. Selbst kleinste politische Entscheidungen können dazu führen, dass ein Unternehmen schnell ins Straucheln kommt – sei es bei den Corona-Einschränkungen oder den Energiepreiserhöhungen.
So sieht der Arbeitsmarktalltag in Berlin wirklich aus
In Berlin sind Beschäftigungsverhältnisse oft atypisch. So sind 19 Prozent der Beschäftigten in Teilzeiteinstellung und neun Prozent haben befristete Arbeitsverträge, damit liegt Berlin unter dem Bundesdurchschnitt. Solche Befristungen findet man auch bei Unternehmen mit hohen Gewinnen. Wie beim Berliner Medienunternehmen Axel-Springer, wo neue Bild-Mitarbeiter maximal einen auf ein Jahr befristeten Arbeitsvertrag erhalten und erst nach zwei Jahren auf einen unbefristeten Vertrag hoffen können. Es braucht „faire und gesunde Arbeitsbedingungen“ wie Kipping in der Studien-Auswertung betont.
Berlin ist die auch Stadt der hochqualifizierten Tätigkeiten. Ihr Anteil ist fast doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. Ein extremes Ungleichgewicht von Angebot und Nachfrage, führt dazu, dass qualitative anspruchsvolle Stellen nicht besetzt werden können, weil es an qualifizierten Arbeitnehmern fehlt. Somit bestätigt die vom Senat in Auftrag gegeben SÖSTRA-Studie die IHK-Studie.
Arbeitnehmervorteile können Wettbewerbsnachteile sein
Aus Sicht des einzelnen Arbeitnehmers ist der Fachkräftemangel ein Vorteil, da Unternehmen attraktivere Arbeitsmöglichkeiten anbieten müssen. Berlin wurde auch dadurch zur Hauptstadt des Homeoffice. Für Unternehmen ist der Mangel an qualifizierten Mitarbeiter ein Wettbewerbsnachteil und damit ein erheblicher Entscheidungsfaktor für den Wirtschaftsstandort Berlin.
Arbeitssenatorin Kipping sieht Problem und Lösung bei den Arbeitgebern: „Der Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren zugunsten der Beschäftigten gedreht. Der Bericht zeigt, dass arbeitnehmerseitige Kündigungen der mit Abstand häufigste Grund für Personalabgänge in Betrieben sind. Neben fairen und gesunden Arbeitsbedingungen sind vor allem angemessene tarifliche Löhne das A und O, um Beschäftigte zu halten.“

Politische Theorie und unternehmerische Praxis
Aber was macht eigentlich der Senat gegen den Fachkräftemangel? Auf Anfrage der Berliner Zeitung an die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales wird in Sachen Fachkräftemangel auf die Betriebe verwiesen. Was die Senatsverwaltung selbst tut: Bildung von Arbeitskreisen, Steuerungskreisen, Sokos und runden Tischen.
Seit Juni 2022 gibt es einen runden Tisch für Energie- und Klimaberufe. Wo besonders der Wirtschaftsklientel des grünen Koalitionspartners geholfen werden dürfte. Hier sollen passenden Ausbildungsplätze geschaffen und das Anwerben von Fachkräften gefördert werden.
Berlins Stärke ist neben dem Tourismus die Gastronomie und Hotelgewerbe. Warum bleibt der Senat nicht bei seinen Leisten und gibt der größten Branche, der Gastronomie und Hotellerie, einen runden Tisch? Mit der Corona-Pandemie ist beim Hotel- und Gastgewerbe „nicht nur ein Fachkräftemangel, sondern auch einen ‚Arbeitskräftemangel‘ zu spüren“, so Thomas Lengfelder, Hauptgeschäftsführer der Dehoga Berlin.
Den Vorwurf der Senatsverwaltung, dass die Arbeitgeber „eine Verschwendung von Talenten“ zu verantworten hätten, da Betriebe „nur maßgeschneiderte Kandidaten und Kandidatinnen berücksichtigen“ kann Lengfelder nicht nachvollziehen. Zu den Vorwürfen der Senatsverwaltung erklärt der erfahrene Hotelmanager: „Schon lange stellen unsere Betriebe auch Auszubildende ein, die nicht unbedingt einen guten Schulabschluss haben. Grundvoraussetzung ist aber ein gutes ‚Benehmen‘ und die Bereitschaft, serviceorientiert zu arbeiten und zu lernen.“


