Gefühlt gab es an Berlins Schulen schon lange nichts mehr zu feiern. Zwei Jahre lang hat Corona jede Lebensfreude erstickt. Aber am Montagmorgen blühten auf einmal im Hof der Albrecht-von-Graefe-Schule die Kastanien, die Big Band spielte und Menschen mit Anzügen und hellen Blusen strömten die Treppe hinauf in die Aula. Schüler, die Gästen den Weg wiesen, hatten ihr schönstes Lächeln aufgesetzt. Die Bildungssenatorin kam im Europa-blauen Kleid und hielt eine Rede.
Denn vor genau 30 Jahren wurden in Berlin die ersten staatlichen Europa-Schulen (SESB) gegründet – und haben sich seitdem zu einem echten Erfolgsmodell entwickelt und zu einer Schullandschaft, die heute einzigartig ist in der ganzen Welt. 34 Europaschulen gibt es in der Hauptstadt, die bilingualen Unterricht in Deutsch und in einer sogenannten Partnersprache anbieten. Zu diesen gehörten anfangs nur die Sprachen der ehemaligen Besatzungsmächte: Englisch, Französisch und Russisch. Später kamen Italienisch, Griechisch, Polnisch, Türkisch, Portugiesisch und Spanisch dazu. Mit etwas Glück könnte Ukrainisch bald die zehnte Partnersprache werden.
Bilingualität geht nicht auf Kosten anderer Leistungen
Die Europa-Schulen sind ein sehr weltstädtisches und inklusives Angebot: Hier lernt der Sohn des portugiesischen Botschafters neben dem Sohn der Reinigungskraft. Und vor allem: Hier werden die Schüler ab der ersten Klasse in zwei Sprachen unterrichtet – und zwar von muttersprachlichen Lehrkräften. Neben dem normalen Sprachunterricht werden auch bestimmte Fächer in der sogenannten Partnersprache unterrichtet: Geschichte zum Beispiel, Biologie oder Kunst.
Obwohl Bilingualität schon lange von ambitionierten Eltern als ein großer Wert eingeschätzt wird, plagt diese Eltern oft die Sorge, dass sie zu verzögertem Spracherwerb und zu schwächeren Leistungen in anderen Fächern führt. Dass diese Sorge unbegründet ist, zeigt die „Europa-Studie“ aus dem Jahr 2014, die kürzlich aktualisiert wurde. Jens Möller, Bildungsforscher an der Universität Kiel und einer der Hauptautoren der Studie, hat beim Festakt zusammengefasst, was bei der Evaluation der staatlichen Europa-Schulen in Berlin herauskam: Die Leistungen in deutscher Sprache leiden nicht unter dem zweisprachigen Unterricht. Außerdem erwerben Schüler die Partnersprache auf einem soliden und international konkurrenzfähigen Niveau. Trotz einer geringeren Stundenzahl bringen sie bessere Leistungen in Englisch als Schüler in rein deutschsprachigen Klassen. Und sie bringen genau so gute Leistungen in Mathematik und in den Naturwissenschaften.
Leben und lernen ohne ständigen Assimilationsdruck
Die Wissenschaftler wollten von den Schülern wissen, wer wen zum Geburtstag einlädt – und haben herausgefunden, dass Migranten an Europa-Schulen viel beliebter sind und besser integriert als an rein deutschsprachigen Schulen. Bei älteren Schülern sind egalitäre und multikulturelle Normen stärker ausgeprägt – und die Assimilationsforderungen viel schwächer. Das heißt, sie gehen davon aus, dass die verschiedenen Kulturen gleichwertig sind und begreifen Vielfalt als Quelle des Reichtums. Vor allem verlangen sie nicht, dass die Kinder aus eingewanderten Familien sich bedingungslos an die deutsche Mehrheitskultur anpassen. Sie sollen sich in ihr gekonnt bewegen, aber zugleich eine intensive Beziehung zu ihrer Herkunftskultur haben.
Fast möchte man die Big Band bitten, darauf einen kleinen Tusch zu spielen! Denn all das sind erstaunliche Ergebnisse, die uns zeigen, dass die Europa-Schulen eine gute Antwort gefunden haben auf die Herausforderungen, mit denen Schüler, Eltern und Lehrer durch die fortschreitende Globalisierung konfrontiert sind. Wie integriert man Kinder ins deutsche Bildungssystem, die zunächst mit anderen Muttersprachen aufwachsen – und wie integriert man sie möglichst freudvoll? Wie bereitet man Heranwachsende auf eine Lebenswelt vor, in der internationaler Austausch und internationaler Wettbewerb an der Tagesordnung sind? Wie ermöglicht man ihnen, dass sie zwei oder mehr Sprachen beherrschen und wissen, wie man einfühlsam und konstruktiv mit kulturellen Unterschieden umgeht?
