Maskenpflicht an der Grundschule

Berliner Lehrer zu Masken: Kinder hatten Kopfweh und Konzentrationsprobleme

Zum Ende der Maskenpflicht an den Berliner Grundschulen: Wie ist die Stimmung bei den Schülern und im Kollegium? Fragen an den Lehrer Alexander Bürge.

Grundschüler beim Kartenspiel im Hort der Grunewald-Grundschule - am ersten Tag, wo sie einander wieder ohne Maske gegenüber sitzen dürfen.&nbsp;<br>
Grundschüler beim Kartenspiel im Hort der Grunewald-Grundschule - am ersten Tag, wo sie einander wieder ohne Maske gegenüber sitzen dürfen.
Berliner Zeitung/Markus Wächter

Berlin-Ein Montagmorgen in der Grunewald-Grundschule. In der großen Pause hat der 37-jährige Alexander Bürge, der an dieser Schule Mathematik, Deutsch und Sport unterrichtet, ein wenig Zeit. Er trägt keine Maske mehr. Seit diesem Montag ist sie an den Berliner Grundschulen keine Pflicht mehr.  

Herr Bürge, war in Ihren Klassen heute Freude und Erleichterung zu spüren?

Absolut. Schon letzte Woche, als das Ende der Maskenpflicht angekündigt wurde, haben manche Kinder gerufen: ‚Juchhu, wir brauchen das Ding nicht mehr!‘ Man spürt, dass Schulgemeinschaft wieder ganz anders möglich ist – und das ganze soziale Lernen. Die Schüler können sich wieder ins Gesicht sehen und an der  Mimik ablesen, was den anderen wichtig ist, welche Gefühle sie mit dem Gesagten verbinden. Beim Englischunterricht sehen die Schüler, wie die Laute von den Lippen geformt werden, auch das Lesen- und Schreibenlernen wird dadurch wieder einfacher. Ich glaube, darüber können wir uns wirklich freuen! 

Welche Stunden hatten Sie heute?

In der ersten Stunde hatte ich Sport und die Klassenleiterstunde in der zweiten habe ich genutzt, um mit den Kindern über das Ende der Maskenpflicht zu sprechen: Was heute für ein schöner Tag ist, wo wir einander ganz anders wahrnehmen können, und warum in dieser Befreiung ein Risiko mitschwingt, dass die Ansteckungsraten wieder steigen!  Weswegen wir darauf achten müssen, dass wir weiterhin gut lüften, die verfügbaren Luftreiniger anschalten und die Hygiene-Regeln beachten.

Wie haben Sie das Gespräch eröffnet?

Ich habe erst etwas Persönliches preisgegeben – nämlich, dass ich letzte Woche zum ersten Mal seit einem Jahr meinen Vater wieder in den Arm genommen habe. Aus gesundheitlichen Gründen hat das bei ihm länger gedauert mit der Impfung. Und deshalb haben mein kleiner Sohn und ich es lange nicht gewagt, ihn wirklich in den Arm zu nehmen. Die Kinder in meiner Klasse haben ganz gespannt zugehört. Und dann haben manche von ihren eigenen Familien erzählt und was sie in der Corona-Zeit vermisst haben.

Haben die Kinder sich an das Tragen der Maske eigentlich gewöhnt? Oder haben sie es bis zum Schluss als belastend empfunden?

Beides. Die Kinder sind irgendwie routiniert mit den Masken umgegangen, aber es gab immer welche, die gesagt haben, dass sie Kopfschmerzen haben, sich nicht konzentrieren können. Ständig wurde ich um Ausnahmen gebeten: Herr Bürge, dürfen wir bei der Klassenarbeit die Masken absetzen, dürfen wir im Klassenzimmer essen oder können wir zum Fenster gehen, um mal kurz frische Luft zu schnappen?

Haben Sie dann streng reagiert oder milde?

Ich habe immer versucht, Kompromisse zu finden. Vor allem dann, wenn ich gemerkt habe, dass die Kinder sich total unwohl fühlen.

Wie ging es Ihnen als Lehrer mit der Maske? Hatten Sie auch Kopfschmerzen?

Ja, und auch die Stimme war angegriffen. Am Ende des Schultages hatte ich oft Halsschmerzen, weil ich in den Stunden immer das Gefühl hatte, wegen der Maske lauter sprechen zu müssen.

Wie ist die Stimmung im Kollegium - seitdem das Ende der Maskenpflicht verkündet wurde?

Die Lehrerschaft ist gespalten. Es gibt die Kollegen, die sich sehr freuen für die Kinder und über die positiven Seiten dieser Entscheidung. Aber es gibt auch welche, die eher die anderen Seiten sehen und jetzt für sich beschlossen haben: Ich trag die Maske weiter! Der Gedanke, dass man sich und andere durch die Maske schützen kann, spielt immer noch eine große Rolle.

Sind Sie selbst auch gespalten?

Ja, die Freude überwiegt! Aber natürlich sind meine Gefühle ambivalent und auch über den Zeitpunkt lässt sich streiten, so kurz vor den Ferien, wo die Familien dann wieder auf Reisen gehen!

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Berliner Zeitung/Markus Wächter
Zur Person, zur Schule: 
Alexander Bürge, 37, unterrichtet Deutsch, Mathematik und Sport an der Grunewald-Grundschule. Momentan ist er Klassenlehrer einer fünften Klasse. Er hat in Potsdam studiert,  2015 kam er an die Grunewald-Grundschule.

Die Grunewald-Grundschule ist eine öffentliche Grundschule in Charlottenburg-Wilmersdorf. Schulleiterin ist Ruth Stephan. Bekannt ist die Grundschule auch deshalb, weil die Schriftstellerin Judith Kerr („Als Hitler das rosa Kaninchen stahl“) hier zur Schule ging.

Liegt die Impfquote in Ihrem Kollegium höher als bei der Gesamtbevölkerung?

Ja, nicht alle reden darüber. Aber mein Gefühl ist, dass es nur sehr wenige Kollegen gibt, die nicht geimpft sind. Meine Schätzung wäre, dass etwa neunzig bis hundert Prozent des Schulpersonals geimpft sind. Aber Sie wissen ja: Es gibt immer wieder Impfdurchbrüche, die Kollegen sind unterschiedlich alt, manche gehören zu Risikogruppen oder haben Angehörige, die zu Risikogruppen gehören.

Wären Sie dafür, dass die Maskenpflicht bei steigenden Inzidenzen wieder eingeführt wird?

Ich glaube, dass wir in den nächsten ein bis zwei Jahren erst richtig begreifen werden, was wir den Kindern in der Zeit der Corona-Krise alles angetan und weggenommen haben – durch die großen Einschränkungen. Mein Gefühl ist immer noch: Dass die Kinder im Grunde ein Recht darauf haben, entschädigt zu werden. Deshalb wäre ich sehr vorsichtig in der Frage, ob man so eine Maßnahme wie die Maskenpflicht wieder einführt.

In den letzten Wochen wurden Stimmen laut, die sagten: Das ist ungerecht, dass die Erwachsenen wieder ohne Maske ins Restaurant gehen können, ins Kino, ins Stadion! Während die Kinder den ganzen Schultag mit Maske dasitzen müssen! Gibt es auch Schüler in Ihrer Klasse, die sich über diese Ungerechtigkeit aufregen?

Ja, auf jeden Fall. Denn Kinder haben ja ein sehr feines Gespür für Ungerechtigkeit. Und sie beobachten sehr wohl, dass ihre Eltern an diesem oder jenem Vergnügen teilnehmen dürfen, ohne ihre Maske zu zücken. Und manche Schüler fragen mich auch: Warum ist das so?

Welche Folgen des schulischen Corona-Notbetriebs beobachten Sie?

Ich würde es so sagen: Dass den Kindern ein Jahr sozialer Umgang fehlt! Erfahrung mit Gleichaltrigen beim Spiel auf dem Pausenhof, im Unterricht. Etliche Kinder hatten im Lockdown eine 1:1-Beschulung durch die Eltern, konnten die Eltern jederzeit ansprechen. Und jetzt fällt es ihnen schwer, sich in der Klasse mal ein bisschen zurückzunehmen. Gewisse soziale Grundlagen sind nicht mehr so vorhanden. Einander ausreden lassen, zuhören, abwarten können, - das muss jetzt mühsam wieder gelernt werden.