Sieben Fragen zur Integration

Aziz Bozkurt: „Das Ankommen mit sozialer Wärme gestalten“

Wie können wir die ukrainischen Flüchtlingskinder gut ins Berliner Bildungssystem aufnehmen? Hier die Ideen von Staatssekretär Aziz Bozkurt.

Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Jugend, Familie und Schuldigitalisierung
Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Jugend, Familie und SchuldigitalisierungPrivat

Nach ersten Schätzungen leben jetzt 25.000 ukrainische Flüchtlingskinder in Berlin. Wie soll die Stadt mit dieser großen Herausforderung umgehen? Wir haben Menschen gefragt, die sich mit Integration auskennen – aus eigener Erfahrung, durch ihr Nachdenken und berufliches Handeln. Hier antwortet Aziz Bozkurt, Staatssekretär für Jugend, Familie und Schuldigitalisierung.

1. Können die ukrainischen Kinder auf beides vorbereitet werden – auf die Rückkehr in ihr Heimatland und ein mögliches Leben in Deutschland?

Unsere Kernkompetenz liegt darin, ihnen das Ankommen hier nicht nur möglich zu machen, sondern es einfach und mit sozialer Wärme zu gestalten. Sie sollen sich von Tag eins als Mitglieder unserer Gesellschaft fühlen. Das sollten wir ihnen ermöglichen. Gedanken über das Ob und Wann einer Rückkehr könnten sich von daher als Zeitverschwendung erweisen.

2. Sollten alle geflüchteten Schulkinder in Willkommensklassen gehen?

Nach dem, was diese Kinder erleben mussten, ist es wichtig, dass sie wieder im Alltag ankommen. Daher sollten alle geflüchteten Kinder in unseren Klassen unterrichtet werden. Ziel sollten immer die Regelstrukturen sein. Hand in Hand mit Angeboten wie den Willkommensklassen, die einen sehr wichtigen Beitrag zum Ankommen leisten.

3. Wenn Sie Berlins Bildungssenator wären, was würden Sie jetzt tun?

Ich würde genau das tun, was meine Senatorin macht. Mit offenem Herzen und engagiertem Tatendrang jede Gelegenheit nutzen, um den Kindern den Weg in unsere Regelstrukturen zu ermöglichen und Teilhabechancen zu schaffen.

4. Wie können wir mehr Räume gewinnen und mehr Menschen, die erziehen und unterrichten?

Unsere Stadt zeigt das schönste Gesicht unseres Landes. Unsere Schulen und Kitas sind hierbei vorne mit dabei, und das kann uns alle stolz machen. Nach unserer Abfrage in den Schulen wurden uns zahlreiche Räume für Willkommensklassen gemeldet. Dieses Engagement und den Wunsch zur Unterstützung aus der Gesellschaft müssen wir unkompliziert und schnell aufgreifen. Zusätzlich müssen wir – mehr noch als zuvor – über alle Kanäle um Fachkräfte für unsere Kitas und für unsere Schulen werben. Hier können wir auch jene Menschen einbinden, die gerade zu uns kommen, auch wenn wir hier nichts überstürzen dürfen. Im ersten Schritt geht es darum, Orientierung zu finden. Danach können wir den Schatz an Kompetenzen und Erfahrungen, den die Menschen aus der Ukraine mitbringen, gemeinsam nutzen.

5. Was sind Ihre persönlichen Berührungspunkte mit dem Thema „Einwanderung“?

Ohne Einwanderung wäre meine Mutter meinem Opa nicht nach Deutschland nachgereist. Mein Vater wäre wohl nicht als Importbräutigam hier gelandet. Und mich gäbe es wahrscheinlich nicht. Zumindest nicht an der Stelle, wo ich bin. Mein Berührungspunkt ist im Prinzip, dass Einwanderung auch ein Stück Mutter und Vater zugleich ist.

6. Gibt es schon ukrainische Kinder in Ihrem Umfeld? Welche Erfahrungen haben Sie gemacht? 

Ukrainische Kinder bekomme ich über meinen Arbeitsalltag mit. Zum Beispiel beim Besuch von Unterkünften. Wie sollen Erfahrungen mit Kindern schon sein? Sie strahlen pure Lebensfreude aus und sind so wuselig, wie es meine Kinder zu Hause sind. Mit dem Unterschied, dass sie eventuell vor ein paar Tagen noch ihre Brüder, Väter oder Großväter in einem Kriegsgebiet zurücklassen mussten. Ich hoffe, dass die psychischen Narben so schnell verheilen, wie es physische Narben bei Kindern immer schnell tun.

7. Worauf müssen wir achten, damit Integration wirklich gelingt?

Ein Geheimrezept oder ein Allheilmittel gibt es nicht. Wir müssen uns zunächst fragen: Was bedeutet Integration für uns? Integration bedeutet für mich, wenn Neu-Berliner in unseren Schulen, Kitas, im Arbeitsmarkt etc. ankommen. Viel spannender ist aber der Prozess danach. Der Prozess der Teilhabe, sich aufeinander zuzubewegen, zusammenzuwachsen, in Verschiedenheit und Vielfalt gemeinsam zu leben. Dabei ist es irrelevant, ob die Unterschiede in der Herkunft, der Weltanschauung oder in den körperlichen Fähigkeiten einer Person liegen. Fragen wir also lieber danach, wie es gelingt, zusammen zu wachsen.

(Die Fragen stellte Eva Corino.)

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Isabella Galanty
Serie und Person
Die Berliner Zeitung möchte eine Debatte anstoßen, wie wir die ukrainischen Flüchtlingskinder möglichst gut ins Berliner Bildungssystem integrieren können. Hier ein Beitrag von Aziz Bozkurt. Seit dem 24. Dezember 2021 ist er Staatssekretär für Jugend, Familie und Schuldigitalisierung in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie. Er ist Wirtschaftsinformatiker und arbeitete vor der Ernennung zum Staatssekretär in verschiedenen Unternehmen im E-Commerce-Bereich. Seit 1998 engagierte er sich politisch in unterschiedlichen Gremien und zu verschiedenen Themenbereichen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene. Unter anderem war er Bundesvorsitzender der AG Migration und Vielfalt in der SPD.