Berlin/Erfurt/Magdeburg/Dresden-Wer zu DDR-Zeiten abends die Leipziger Buchmesse verließ, hatte bisweilen mit plötzlicher Gewichtszunahme zu kämpfen - begehrte Ausstellungsexemplare westlicher Verlage wurden unter dem Pullover nach Hause geschmuggelt. Die Anekdote erzählt Kurator Stefan Wolle in seiner Ausstellung „Leseland DDR“, die von diesem Mittwoch an in Berlin und dann auch deutschlandweit - vor allem aber in den ostdeutschen Bundesländern - zu sehen ist. Sie zeigt die Literaturbegeisterung, den eigenen ostdeutschen Blick auf die Welt, den Überfluss an Kreativität und die Schranken des sozialistischen Staats.
So hatten Krimi-Autoren nach Wolles Darstellung ihre eigenen Regeln: Da es im Sozialismus der Theorie nach keine Verbrechen geben konnte, spielten sie in einem „nebulösen Nirgendwo“ oder im Westen - oder sie verbrämten das Böse mit einer moralischen Botschaft, so erzählt es die Ausstellung. Nach der deutschen Einheit seien diese Notwendigkeiten entfallen und der DDR-Krimi war „von der Geschichte dahingerafft“.
Die Ausstellung berichtet von „Giftschrankliteratur“ - Bücher, die aus politischen Gründen verpönt oder schwer zu bekommen waren. Sie ruft die Märchenwelten und heiß geliebte Kinderliteratur der DDR in Erinnerung. Und die literarischen Sensationen wie Ulrich Plenzdorfs „Die neuen Leiden des jungen W.“ von 1972. Sie handelt von geliebten und missliebigen Autoren, vom Austausch zwischen der west- und der ostdeutschen Literatur und von der Rolle ostdeutscher Schriftsteller während des Umbruchs 1989.
In Auftrag gegeben wurde die Ausstellung von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Deren Vorstandsvorsitzender, der ehemalige Bürgerrechtler Rainer Eppelmann, spricht ein anderes Genre an, das sich seit der deutschen Einheit verändert hat: das Kochbuch.
„Bestimmte Gewürze, die ich heute jederzeit nehme, die tauchen da gar nicht auf, weil die wahrscheinlich so viele Devisen gekostet haben, dass man sie nicht eingeführt hat“, sagt Eppelmann in einem der Videoclips, die die Ausstellung begleiten und auf Youtube zu sehen sind. Heute kaufe er einfach alle benötigten Zutaten. „Zu DDR-Zeiten war das alles viel komplizierter, man musste gucken, was gibt es denn gerade.“ Fehlte etwas, musste man sich etwas einfallen lassen.
