10. Todestag

Amy Winehouse: Sterben in Zeiten von Social Media

Vor zehn Jahren starb Amy Winehouse an einer Alkoholvergiftung – mit 27 Jahren. Was ist von der Sängerin geblieben?

Von aller Welt geliebt: Amy Winehouse 2007 in der Berliner Kalkscheune.
Von aller Welt geliebt: Amy Winehouse 2007 in der Berliner Kalkscheune.imago

Berlin-Der frühe Künstlertod schafft stets eine gewisse Aura, die das Wirken umgibt, umso mehr, wenn er so laut kommt wie bei Amy Winehouse: Auch zehn Jahre nach ihrem Tod geht es nicht nur um das Rätsel, was uns die Britin noch zu sagen gehabt hätte. Es bleibt auch das beunruhigende Geheimnis, warum sich eine junge Künstlerin beinahe angekündigt ins Grab gegiftet hat, die nicht nur mit Talent, Erfolg und Reichtum gesegnet war, sondern auch von aller Welt geliebt wurde.

Geblieben ist eine Suchteinrichtung, die ihren Namen trägt

Als sie am 23. Juli 2011 mit 27 Jahren starb, trauerten auf Tage die Fans vor ihrer Londoner Wohnung, brachten Kerzen, Blumen und Teddys, gaben ihr – sie war an einer Alkoholvergiftung mit 4,1 Promille im Blut gestorben – Wein und Wodka auf den Weg. Die Musikwelt beklagte die Tragödie und beschwor das Talent. Mit ihr sei, urteilte die BBC, „die Stimme einer Generation“ gestorben.

Heute, zehn Jahre später, erinnert eine Bronzestatue in Camden an die Sängerin, eine Suchteinrichtung, von der Familie finanziert, trägt ihren Namen, ein Biopic und ein Musical sind angeblich auf dem Weg, und auf Deutsch erschienen gerade als „Meine Amy“ die 360 Seiten schweren Erinnerungen von Tyler James, ihrem engsten Freund.

Die Bronzestatue zu Ehren von Amy Winehouse steht in einer Einkaufszeile im Londoner Stadtteil Camden.
Die Bronzestatue zu Ehren von Amy Winehouse steht in einer Einkaufszeile im Londoner Stadtteil Camden.imago

Das musikalische Vermächtnis besteht im Grunde aus ihrem zweiten Album „Back to Black“. Das etwas unentschlossen jazzige Soulpop-Debüt „Frank“ fiel 2003 vor allem durch die ungewöhnlich frühgereifte Stimme auf. Die hatte sie auf „Back to Black“ mit eindrucksvoller Stilsicherheit an große Jazzgeister wie Billie Holiday angelehnt, für die Musik griff sie mit ihrem Produzenten Mark Ronson die Musik der Sixties-Girlgroups auf – das Album verankerte die „Retromania“ fest als eins der zentralen Leitmotive im Pop der letzten Jahrzehnte.

Winehouse bereitete Popmusikerinnen wie Adele den Weg

Dabei glänzte nicht nur der rau-dynamische Sound als geschmackvolles Update, sondern auch ihre Gesangshaltung – in Motiven von Verlust und gewitzter Selbstverachtung, voll Anzüglichkeit und aufsässiger Selbstbestimmung. „Back to Black“ ist noch immer eins der bestverkauften britischen Alben des Jahrhunderts, es eroberte mit fünf Grammys die Charts der Welt, es öffnete den Markt für britische Popmusikerinnen wie Adele.

„Sie wollte eine Jazzsängerin sein“, schreibt indes Tyler James in „Meine Amy“. Aber der Freund, selber Musiker, fügt hinzu: „Mehr als alles andere wünschte sie sich eine Familie. Alles, was Amy jemals wollte, war Normalität.“ Ein relativer Begriff: Die beiden hochbegabten Teenager trinken und kiffen schon mit zwölf, als sie sich auf der Londoner Schauspielschule „depressiv und abgefuckt“ kennenlernen, mit 16 hatte Winehouse einen Manager, mit 18 Verträge über eine halbe Million Pfund. Über die dazugehörige Arbeit erfährt man bei James nicht viel, aber schon damals musste sie ihr Manager aus dem Bett ins Studio ziehen.

Sie feiern ihre junge Unabhängigkeit – James hat ebenfalls einen satt dotierten Plattenvertrag – wie „normale Teenager“, schreibt James, wobei die Aufnahmen, Konzerte, Videodrehs eher wie Auszeiten eines ebenso krass luxuriösen wie ermüdenden, hauptberuflichen Feierlebens in den Lieblingsbars in Camden wirken. 2005 bringt ihr späterer Mann Blake Fielder-Civil sozusagen Crack und Heroin in die Beziehung (er kommt 2007 wegen einer brutalen Schlägerei ins Gefängnis), und James’ Erzählung klingt von da an endgültig wie „Trainspotting“ ohne Spaß: schwankende Gestalten, greinende Streits, Rüpeleien und Pete Doherty.

Am Ende stehen derangierte Konzerte und Buhrufe

James selbst, kokainistischer Schweralkoholiker, stilisiert sich dabei mäßig überzeugend zur einzig mitleidenden Gestalt im Umfeld. Winehouse ruiniert Luxuswohnungen, irrt betrunken durch Mustique, wohin sie Bryan Adams zur Entgiftung eingeladen hat, und im Studio wirft Mark Ronson 2007 entnervt den gemeinsamen Bond-Song hin. Am Ende stehen derangierte Konzerte und Buhrufe.

Der Alkohol, auch auf der Bühne ein Begleiter: der popindustriellen Verwertung entzogen.
Der Alkohol, auch auf der Bühne ein Begleiter: der popindustriellen Verwertung entzogen.imago

Tyler James scheint in „Meine Amy“ bei der Frage nach der Verantwortung die aus Krimis bekannte „Some Other Dude“-Verteidigung zu suchen: Ein anderer war’s – der Manager, der gut verdiente, vielleicht der Vater, dem die berühmte Tochter eine kleine Karriere als Jazz-Sänger ermöglichte, der verwahrloste Gatte, Instanzen wie der Flugkapitän, der seiner Business-Class-Celebrity das Crackpfeifchen auf dem Klo durchgehen lässt. „Das Gesetz gilt nicht für mich“, zitiert James die Sängerin.

„They tried to make me go to rehab – I said no, no, no“ geht der legendäre Kampfruf aus Winehouses größtem Hit. Tatsächlich hat es an Reha-Angeboten nicht gemangelt. Nur kommt im Leben jeder süchtigen Person der Moment, wo sie einmal „Ja“ sagen muss, zum Vater oder zum Manager, die den „Rehab“-Song inspirierten, zur behandelnden Ärzteschar, zum besten Freund, der sich erfolgreich dem Schnaps entzieht. Wer wollte dem Vater vorwerfen, dass er nicht die radikal patriarchale Britney-Spears-Variante gewählt hat? „Rehab“ beruht leider auf einer wahren Begebenheit – ihrem Leben.

Aber der Trotz gilt natürlich auch einer Branche, die Kunst als Produkte und Personen als Ware handelt. Als renitentes Popstatement funktioniert er ausgezeichnet. Winehouse hat sich zwar nicht den Giften, aber, könnte man sagen, der Verwertung zielstrebig entzogen. Sie hat nach „Back to Black“ 2006 die Produktion eingestellt, mit kaputten Performances ihre Vermarktung und noch die Nekroindustrie sabotiert. Wo sonst posthum noch die ärmlichsten Studioskizzen erscheinen, fand sich bei Winehouse: eher nichts.

Pornografische Lust am authentischen Todes-Spektakel

Doch fiel damit auch der Schutz weg, den die Maschine üblicherweise bietet, die Landhäuser, Luxusresorts und Suiten. James weist darauf hin, wie schwierig es für sie beide war, plötzlich und ständig öffentliches Objekt zu sein, unter Beobachtung, noch wenn man nur normal mit dem Drink oder dem dummen Spruch zu viel durch die Nachbarschaft in Camden zieht. Winehouse kumpelte sogar mit den vor der Wohnung biwakierenden Paparazzischaren. Dabei sahen Promis im Drogenwahn auch vor Winehouse nicht würdig aus.

Und alle schauten hin: Amy Winehouse im Juli 2008, betrunken in ihrer Londoner Heimat Camden unterwegs.
Und alle schauten hin: Amy Winehouse im Juli 2008, betrunken in ihrer Londoner Heimat Camden unterwegs.imago

Der Neuigkeitsaspekt liegt in den Netzportalen und Social Media, durch die der stillschweigende, ungefähr professionelle Rahmenvertrag zu Diskretion, Privatheit und Scham ganz aufgekündigt wurde. In ihrer Erbarmungslosigkeit erinnern die amateurhaften Handybilder ihres letzten Auftritts in Belgrad, desorientiert und ausgebuht, an die Gaffer beim Autounglück. James schreibt auch, dass man im Gegensatz zu heute damals noch irgendetwas können musste, um berühmt zu werden.

Amy Winehouses Erfolg beruht auf der Kunst: Aber zur Legende wurde sie nicht durch die emotionale Direktheit ihrer Stimme, sondern durch die pornografische Lust am authentischen Spektakel ihres Strauchelns bis zum Tod.