Ein Mann in voller Rüstung, mit gespanntem Bogen und hohem Helmschmuck erscheint erst einmal immer gefährlich, da mag das Pferd neben ihm noch so zutraulich den Kopf wenden. An diesem Mann, jedenfalls der Puppe, mit den straff gelegten Platten an Brust, Armen und Beinen, muss man aber vorbei, um in den dunklen Gang hinein ins neue Berliner Samurai-Museum zu gelangen. Es ist eine durchaus angemessene Einstimmung. Auf den folgenden 1500 Quadratmetern wird mit mehr als 70 Rüstungen, 200 Helmen, 160 Schwertern und Dolchen dem Krieg, den Waffen und einer ausschließlich durch ihre umfassende Gewaltbereitschaft herrschenden sozialen Kaste gehuldigt, wie man es in Berlin wohl mindestens seit der Schließung der Militär-Ausstellungen im damaligen Zeughaus-Museum 1939 nicht mehr erleben konnte.
Unverhohlen versucht das neue Museum im Herzen Berlins – es gab einen eher unbeachteten Vorgänger an der Clay-Allee –, vom Ruhm der benachbarten Kunstwerke, der Galerien in der Auguststraße, dem Tourismus zu profitieren. Die Beschriftungen auf den digitalen Erklär-Bildschirmen sind erst einmal auf Englisch eingestellt, der Shop gleich am Eingang und am Ausgang – niedliche Fuchs-Puppen für Kinder, viele Schlüsselanhänger aller Art, aus Bambus hergestellte Becherchen, aber auch durchaus praktische Brotbüchsen –, das ausgefeilte didaktische Programm, die Filme mit langsam Schwerter schwingenden Männern, die herrlich dramatischen Inszenierungen mit sich aufbäumenden Pferden oder an Krieger-Filme chinesischer und koranischer Machart erinnernde Ton-Installationen – all das spricht vor allem einmal ein Manga-geschultes Publikum an. Es gibt jedoch auch eine eigens aus Japan importierte Bühne für Noh-Theater, das Peter Janssen, der Sammler, als genuine Schöpfung der Samurai betrachtet, ein intimes Teehaus, und eben die grandios ausgeleuchtete Sammlung.
Der Krieg ist der Vater aller Dinge.
„Der Krieg ist der Vater aller Dinge und der König aller. Die einen macht er zu Göttern, die andern zu Menschen, die einen zu Sklaven, die andern zu Freien.“ Diese durchaus pessimistische, jedenfalls den Frieden eher als Schwächeperiode behauptende These des griechischen Philosophen Heraklit hätte wohl auch so manchem Samurai gefallen. Seit dem Sieg des Minamoto no Yoritomo über konkurrierende Feudalherren des Clans der Taira 1185 beherrschte die Kaste der Samurai Japan, bis zum Sturz des letzten Tokugawa-Shoguns 1868. Städtische Selbstverwaltung, Freibauern oder auch nur halbwegs autonom agierende Adlige waren seither in Japan unbekannt, obwohl das Land von fürchterlichen Kriegen zwischen Samurai-Clans erschüttert wurde und der Handel etwa mit Korea und China zeitweise nur stattfinden konnte, weil erst Portugiesen und dann Niederländer als Mittler eintraten.
In den 1590er-Jahren setzte Toyotomi Hideyoshi in blutigen „Schwerterjagden“ durch, dass die Bauern und Kaufleute alle Waffen abgeben müssen. Sie waren seitdem hilflos gegenüber allen Übergriffen, wurden in ein starres hierarchisches System gezwungen, in dem gerade die produktivsten Kräfte sozial am niedrigsten standen.
Doch in diesem Museum geht es nicht um eine Militärkaste, die alle Macht für sich beanspruchte, ihr gesamtes Selbstbewusstsein aus der Verherrlichung des Kampfes und des Kriegs zog. Hier wird bis ins kleinste Details jene schon im 19. Jahrhundert mit dem Sturz dieser Kaste beginnende Selbst-Idealisierung als Friedens- und Kulturstifter weitergeführt, die auch japanische Nationalisten wieder betonen. Es ist das Bild, das im 19. Jahrhundert und seither in allen Medien immer neu bestätigt wurde. Es gibt kein Blut, keine Angst, keine Flucht, keine Not, keinen Hunger und schon gar keinen Dreck. Nicht die reale Politik der Samurai-Kaste, sondern die von ihr beeinflusste erlesene Kunst ist die Grundlage dieses Ideal-Bildes heroischer Kämpfer, die lieber das Leben verlieren als die Ehre.

Der private Sammler Peter Janssen hat die Ausstellung zusammengetragen
Auch Peter Janssen, der diese wirklich großartige Militaria-Sammlung, Sonderzweig Japan, in vier Jahrzehnten aus dem amerikanischen, europäischen und japanischen Kunsthandel zusammengebracht hat, betont im Gespräch mit der Berliner Zeitung, dass sie, die Samurai, die Essenz japanischer Kultur seien. Ob das Bauern, Fischer, Kaufleute der Samurai-Zeit ähnlich sahen? Wer waren überhaupt die Samurai – in dieser Ausstellung sieht man fast ausschließlich Objekte einer extremen Elitenkultur, mindestens sehr wohlhabender, meistens superreicher Männer und ihrer Clans. Dass die allermeisten Samurai zwar Teil dieser Kaste waren, aber als Beamte in den Verwaltungen, als Priester oder Gutsherren beschäftigt waren – sie arbeiteten wenigstens dem Selbstverständnis nach nicht für schnödes Geld, wurden ähnlich wie preußische Beamte unterhalten und leisteten dafür ihre Pflicht –, auch, dass viele Samurai sehr arm waren, sich solch kostbare Waffen und Rüstungen nie leisten konnten, das ist nur ganz versteckt als Information zu finden. Man erfährt kaum etwas vom Alltag der allermeisten Samurai, von ihrer Architektur, ihren Häusern, nicht einmal von den legendären Gärten, die selbst auf kleinsten Flächen noch landschaftliche Wunderwerke zaubern konnten. Es geht um Oberschichten-Kultur. Und die ist schlechthin großartig.
Auch die europäischen Händler und Missionare, die seit dem 16. Jahrhundert in Japan arbeiteten, erkannten die einzigartige Machtstellung der Samurai-Kaste – und berichteten auch erstmals von jener atemberaubenden ästhetischen Raffinesse ihrer Lebensgestaltung. Über sie gelangten auch erste Objekte aus deren Lebensumwelt in die europäischen Kunstkammern.
Markt für japanische Samurai-Kunst im 19. Jahrhundert
Doch wirklich breit begann der Fluss erst zu werden, als die Samurai nach 1868 zunehmend entmachtet wurden. Nicht allen gelang der Sprung in neue Militär- und Verwaltungskarrieren, in die entstehende Industrie oder gar in den bis dahin abgrundtief verachteten Handel. Viele mussten auch kostbarste Objekte aus dem Familienbesitz verkaufen, schon in den 1890er-Jahren gab es über amerikanische, europäische und japanische Kunsthändler einen breit entwickelten Markt in Paris, London und New York.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Niederlage Japans, der Besetzung des Landes und der neuerlichen Entmachtung vieler Samurai-Familien begann ein neuer Zustrom von Objekten. Auch deswegen kann Peter Janssen fast mit Empörung in der Stimme versichern, das die Objekte in seiner Sammlung nicht nur legal, sondern auch legitim erworben wurden. Und es ist gerade die Überfülle des Enthusiasten, die hier die Augen öffnet, die dazu verleitet, sich selbst in langen Reihen ausgelegte Schwertzierrate einmal genau anzusehen.
Sie reicht von kleinsten Schmuckstücken aus Elfenbein, die am Gürtel getragen wurden, über die kultisch verehrten Schwertklingen, ihre kostbaren Griffe, Montagen und Hüllen und reich geschmückte Prachtrüstungen, kostbaren Gewändern und Helmen bis hin zu einfachen, rauen Gefäßen für die Teezeremonie. Dass viele dieser ästhetischen Traditionen aus Korea stammen, so wie überhaupt die Samurai-Kulturen nicht ohne chinesische und koreanische Vorbilder gedacht werden können, ist hier allerdings nur in den vorzüglichen Digital-Beschriftungen ein Thema.
Ansonsten zeigt sich die Samurai-Kultur als fast homogene, die sich nur in der Militärtechnik verändert habe: Seit dem Aufkommen europäischer Schusswaffen waren die alten Rüstungen schnell wertlos, nur noch symbolisch zu gebrauchen, schwere Panzerungen entstanden, oft nach Renaissance-Vorbildern aus Spanien und Italien. Dass auch da der Link nach Toledo fehlt, zu den grandiosen Rüstungsschmieden Europas. Aber dies ist ein Privatmuseum, dass von den Leidenschaften seines Begründers kündet.

Angefangen hat es mit einem Schwert, gekauft auf einem Berliner Flohmarkt
Janssen, 1948 in Ostfriesland geboren, machte in West-Berlin und Westdeutschland ein Vermögen durch das Geschäft mit Seniorenresidenzen und Immobilien. In den 1960er-Jahren begeisterte er sich, durchaus zeittypisch, für Karate, kaufte auf dem Flohmarkt auf der Straße des 17. Juni sein erstes japanisches Schwert – und dann, berichtet er, weil eine Ecke in seinem Büro geschmückt werden sollte, eine ganze Rüstung. Helme, Helmzierrate, Schwerter kamen hinzu, irgendwann auch eine Sänfte, einige Geräte der Teezeremonie und kostbare Becher für diese, erlesene Stoffe und Farbholzschnitte.
Doch all dies gibt es auch in guten Museen. Eine Rüstungssammlung dagegen, wie sie nun in der Auguststraße zu sehen, ist, die dürfte außerhalb Japans und Nordamerikas – wo schon im 19. Jahrhundert umfangreiche Japan-Sammlungen entstanden – einzigartig sein. Alleine schon den Wandel vom fast schlicht erscheinenden Schutzanzug des Spätmittelalters zur prachtvoll-theatralischen Paraderüstung des 18. und 19. Jahrhunderts zu sehen, ist jeden Besuch wert.
Dieses Museum wird also eine harte Konkurrenz für die Ostasien-Ausstellungen des Humboldt-Forums – und sei es nur deswegen, weil es den militanten, gewalttätigen, auch hier als männlich betrachteten Teil dessen, was auch in Japan als Nationalkultur verstanden wird, nicht unterschlägt. Erst ganz am Ende der Ausstellung tauchen Frauen auf – aber bei weitem nicht ausreichend, um die wunderbare, gerade durch den Kult um kostbare Stoffe und erlesenes Gerät leuchtende Hochkultur der weiblichen Oberschichten-Samurai leuchten zu lassen. Es ist eine sehr auf die Kultur der männlichen Oberschichten-Samurai und ihren Kult um die Gewalt ausgerichtete Ausstellung.

Eine Hochkultur entstanden aus dem Kult um Gewalt
Zwar zeigen auch die meisten staatlichen Museen hier mal ein Schwert und dort eine Lanze, eine volle Samurai-Rüstung und eine Samurai-Sänfte gehören seit den Weltausstellungen des späten 19. Jahrhunderts geradezu zum Kernbestand solcher Sammlungen.



