Premiere

Wegschauen ist auch keine Lösung: „Così fan tutte“ an der Staatsoper

Vincent Huguet inszeniert Unter den Linden Mozarts Oper um Liebe, Eifersucht und Treue mit sehr guten Solisten, aber optisch anspruchslos.

Lucio Gallo (Don Alfonso) und Barbara Frittoli (Despina) in „Così fan tutte“ an der Staatsoper.
Lucio Gallo (Don Alfonso) und Barbara Frittoli (Despina) in „Così fan tutte“ an der Staatsoper.Matthias Baus

Berlin-Wenn die Oper aus ist und der Beifall verklungen, hilft oft ein gutes Programmheft auf dem Heimweg in der Bahn. Man kann Informationen zum Werk, zu seiner Entstehung, zu den Mitwirkenden nachlesen. Manchmal – und diese Fälle machen freilich nicht glücklich – entdeckt man zwischen den Blättern auch eine ganze Inszenierung. Lieber hätte man diese auf der Bühne gesehen, stattdessen findet sie dann mehr oder weniger auf Papier statt. 

So ist’s nun leider mit Wolfgang Amadeus Mozarts „Così fan tutte“ in der Staatsoper Unter den Linden geschehen. Stolze 112 Seiten umfasst das Begleitbuch, und was der französische Regisseur Vincent Huguet darin etwa unter dem Titel „Die Trilogie der Befreiung“ über Mozart und dessen Textdichter Da Ponte schreibt, ist interessant: „Sie wollten uns erziehen, uns Zeit ersparen, genau wie Marcel Proust in ‚Die Gefangene‘ (1923) die aussichtslosen toxischen Intrigen des Neids unerbittlich auseinandernimmt.“ Interessant ist überdies Huguets Inhaltsangabe („Liebe ist nicht angeboren, richtig lieben lernt man“), in der er Ariost und Simone de Beauvoir und diverse ihm wichtige Filme zitiert. 

Daniel Barenboim steht am Dirigentenpult

All diese Erklärungen und Belege wären ja völlig in Ordnung, würden sie sich nur sichtbar, sinnlich, plastisch auf Huguets Inszenierung auswirken. Doch das ist nicht der Fall. Was sich im Bühnenbild von Aurélie Maestre – einer Strandlandschaft aus Beton mit Ferienhaus und Terrassen – zuträgt, ist nämlich einfach triste Opernroutine und die ermüdende Abfolge von biederen Oberflächenreizen. Die Sängerinnen und Sänger werden jedenfalls beim weitgehend überzeugenden schönen Singen nicht gestört, das heißt, sie stehen immer sicher herum und haben freie Sicht auf Daniel Barenboim am Dirigentenpult. Der lässt die Staatskapelle meist leicht und durchsichtig spielen, allerdings ohne viel Spannkraft, was gewiss damit zusammenhängt, dass derart wenig Energie von der Bühne kommt.

Huguet müsste laut seinen Abhandlungen jede Menge über die Oper im Allgemeinen, über Mozart im Speziellen, über die Irrungen und Wirrungen der Liebe insgesamt wissen. Aber wir glauben ihm kein Wort, denn was ist davon zu sehen? Zwei öde Paare im Sommerurlaub, umringt von zahlreichen Klischee-Hippies, die Luft und Meer genießen und partnertauschend aneinander herumfummeln. Den spießigen Verlobten macht Lucio Gallo als altgedienter Weiberheld Alfonso lüsterne Beine, bringt sie heimlich über Kreuz zusammen, was einzig den Frauen als Untreue angekreidet wird. Ob die tatsächlich so naiv bis strohdoof sind, dass sie nicht merken, wie sich ihnen ihre Liebsten verkleidet nähern und behaupten, fremde Verehrer zu sein? Nein, schreibt Huguet – ja, inszeniert er.

Fantasieloser Ringelpiez mit unlustigem Anfassen

Marina Viotti ist die schnell verführbare Dorabella, Federica Lombardi die standhaftere Fiordiligi. Sie langweilen sich, nachdem ihre Partner angeblich in den Krieg ziehen müssen. Die nutzen diese Finte, um herauszukriegen, ob die beiden ihre Abwesenheit zu Seitensprüngen nutzen werden. Gyula Orendt als Guglielmo ist der herablassende Macho, der sich für unbetrügbar hält, Paolo Fanale der eher zurückhaltende Softie Ferrando, der jedoch auch bloß das eine will. Eingefädelt von Alfonso und befördert von Barbara Frittoli als abgebrühter Zofe Despina nimmt das Spiel um Sein und Schein, um Lüge und Wahrheit seinen fatalen Lauf. Am Schluss haben alle das Vertrauen zueinander verloren und trotzdem eine Doppelhochzeit gewonnen.

In Vincent Huguets Regie entwickeln sich die Figuren kein bisschen vom Fleck, und die – zumindest bei Mozart - existenzielle Sehnsucht nach der Transzendenz ihres Begehrens verkümmert als fantasieloser Ringelpiez mit unlustigem Anfassen. Die Ausstattung ist in den späten 1960er-Jahren verankert, die Aufführung dagegen in einem Opernkitsch, der schon immer verstaubt war. Klar kann man wegschauen, sich Daniel Barenboim und dem soliden Gesangsensemble anvertrauen, aber deswegen Karten für die Staatsoper kaufen? Nie und nimmer, denn die Augen wollen mithören.

Così fan tutte 6., 9., 13., 16., 20.10., Staatsoper Unter den Linden, Tel. (030) 20 35 45 55