Die Reform des Einbürgerungsrechts wird seit Monaten antizipiert. In Regierungskreisen und außerhalb. Durch die Reform sollen nach Deutschland geflohene oder eingewanderte Personen bald schneller und unkomplizierter einen deutschen Pass erhalten können. Im jüngsten Reformentwurf, der der Berliner Zeitung vorliegt, wird das Problem, auf das das neue Gesetz reagiert, wie folgt beschrieben: „Die Einbürgerungszahlen in Deutschland stagnieren seit vielen Jahren auf einem niedrigen Niveau und sind auch im europäischen Vergleich immer noch relativ gering.“
Es bestehe daher ein Interesse, möglichst viele hier lebende Menschen, „die die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen“, schneller einzubürgern. Wo ein Entwurf aus dem Frühjahr noch von „Migrantinnen und Migranten“ sprach, ist im jüngsten Entwurf jetzt durchweg von „Ausländern“ die Rede. Das bisherige Staatsangehörigkeitsrecht, so liest man, sei nicht ausreichend auf die Bedürfnisse jener Menschen ausgerichtet und müsse daher modernisiert werden. So weit, so richtig.
Dem Gesetzentwurf folgend sollen nach Deutschland Eingewanderte beispielsweise nicht mehr lange acht, sondern nur noch fünf Jahre warten müssen, bis sie deutsche Staatsbürger werden können. Sogenannte „besondere Integrationsleistungen“– gute Sprachkenntnisse (auf C1-Niveau) etwa, besondere schulische und/oder berufliche Leistungen sowie ehrenamtliches Engagement – sollen eine Einbürgerung zukünftig sogar schon nach drei Jahren ermöglichen.
Zweite Staatsangehörigkeit kann bestehen bleiben
Der 49-seitige Gesetzentwurf, auf den sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Justizminister Marco Buschmann nun geeinigt haben, soll außerdem hier geborenen Kindern eingewanderter Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft schneller ermöglichen. Bei Menschen, die über 67 Jahre alt sind, sollen die ansonsten obligatorischen schriftlichen Sprachnachweise als Einbürgerungsvoraussetzung gestrichen werden.
Ein weiterer zentraler Punkt: Der Doppelpass kommt. Sprich, die vorherige Staatsangehörigkeit müsste für den Erhalt der deutschen nicht mehr aufgegeben werden. „Der Grundsatz der Vermeidung der Mehrstaatigkeit entspricht (...) schon seit Langem nicht mehr der tatsächlichen Einbürgerungspraxis“, heißt es im Entwurf. Bereits seit über 15 Jahren würden entgegen geltendem Gesetz mehr als die Hälfte aller Einbürgerungen unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit vollzogen – Tendenz steigend. Die Reform gliche den Gesetzestext in dieser Hinsicht also schlicht den Tatsachen an.
Auf Druck der FDP, die sich anfänglich noch klar gegen die Reform ausgesprochen hatte, gibt es im jüngsten Entwurf nun einige Änderungen, die eine Einbürgerung letztlich nicht erleichtern, sondern wohl eher erschweren werden. So sollen etwa nur Personen Staatsbürger werden können, die „den Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln bestreiten“ können, sprich: die nicht auf Sozial- und Transferleistungen wie Arbeitslosengeld II (bekannt als Hartz IV) angewiesen sind. Unter vereinzelten Ausnahmen sind die „Angehörigen der sogenannten Gastarbeitergeneration“, die in der Vergangenheit einen „Beitrag zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Deutschlands“ erbracht haben. Wie genau dieser Aspekt mit dem sozialen Anspruch der sogenannten Fortschrittskoalition vereinbar sein soll, wäre erklärungsbedürftig. Das Deutschwerden von individueller Leistung abhängig zu machen, wirkt neoliberal verkürzt – nicht fortschrittlich oder sozial.
Rassismus und Antisemitismus als Ausschlusskriterium
Zudem solle durch die Reform (auch dieser Vorstoß soll auf die FDP zurückgehen) klar geregelt werden, dass rassistische, menschenverachtende oder antisemitische Handlungen eine Einbürgerung in Deutschland aktiv ausschließen. Staatsanwaltschaften sollen den ersuchenden Einwanderungsbehörden demnach zukünftig aktiv melden, ob im Fall einer Verurteilung Beweggründe vorlagen, die in eine der vorgenannten Kategorien fallen. Wenn ja, dann soll eine Einbürgerung proaktiv verhindert werden.
Was auf den ersten Blick sinnvoll erscheinen mag, könnte letztlich politische Falltüren aufstoßen. Den Weg, deutsch zu werden, könnte die Regelung insbesondere für staatenlose Palästinenser erschweren. Immerhin: Die Definition von Antisemitismus ist in den vergangenen Jahren, vor allem vor dem Hintergrund der sogenannten BDS-Resolution, die 2019 vom deutschen Bundestag verabschiedet wurde, umstritten und immer wieder Kern kontroverser Auseinandersetzungen um gesellschaftliche Teilhabe und Ausgrenzung; nicht zuletzt auch im Kunst- und Kulturbereich.
Angesichts der weit gefassten Vorstellungen davon, was im Sinne jener Resolution unter Antisemitismus fällt – etwa hinsichtlich der Bewertung der gegenwärtigen israelischen Politik –, vertreten Palästinenser und andere nicht-deutsche Bevölkerungsgruppen hierzulande in den Augen deutscher Behörden oder politischer Vertreter erfahrungsgemäß selten die ‚richtige‘ Haltung. Dies zeigten in Berlin zuletzt die pauschalen Nakba-Demonstrationsverbote, die von der Polizei unter anderem mit dem zu erwartenden ethnischen Hintergrund der Teilnehmenden sowie mit deren „steigender Emotionalität“ bezüglich Israel/Palästina begründet wurde. Eine Einbürgerung von Maßstäben abhängig zu machen, die politisch und kulturell umkämpft sind, könnte in der Praxis zu Voreingenommenheit und gruppenbezogenen Ausschlüssen führen. Womöglich wäre es auch unvereinbar mit dem verfassungsmäßig festgelegten Verbot von Diskriminierung aufgrund von „Rasse“ und politischen Anschauungen.
„Der punitive Charakter ist viel stärker“
Glaubt man einem Bericht der Bild-Zeitung, so erhärtet sich dieser Eindruck. Demnach würde der Straftatenkatalog im Zuge der Gesetzesreform durch kleinere Delikte erweitert werden. So solle etwa auch geprüft werden, „ob der Antragsteller auf antisemitischen Demonstrationen mitlief und Mitglied von verfassungsfeindlichen Organisationen ist“. SPD-Vizefraktionschef Dirk Wiese soll dies laut Bild-Bericht bestätigt haben. Eine entsprechende Sicherheitsabfrage solle letzteres in der Praxis dann überprüfen. Auch der Einbürgerungstest werde diesbezüglich konkretisiert. Angesichts dessen, dass in den letzten Jahren selbst eine Gruppe wie VVN-BdA vermehrt ins Visier des Verfassungsschutzes geriet, wirkt so eine Regelausweitung doch mindestens fragwürdig.



