Konzert: Die Toten Hosen

Punk ist tot! Doch auf dem Berliner Tote-Hosen-Konzert lebt sein Spirit

Die Toten Hosen traten am Samstag für ihre aktuelle Jubiläumstournee auf dem Tempelhofer Feld auf. Dort vereinten sie Nachhaltigkeit mit Saufmetaphorik.

Die Toten Hosen im Konzert.
Die Toten Hosen im Konzert.Roland Owsnitzki.

Nichts ist ja so wenig Punk wie die immer gleich dämliche Frage, ob die Toten Hosen 40 Jahre nach ihrer Gründung noch Punk seien. Dass sie dennoch immer wieder zuverlässig gestellt wird, weiß die Band selbst am besten. Weswegen sie in gewohnt ironischer Manier in den Text der aktuellen Single „Alle sagen das“ einging, mit der die Düsseldorfer Band am Samstagabend das Berlin-Konzert ihrer aktuellen Jubiläumstournee auf dem Tempelhofer Feld eröffnete. „Die Hosen sind kein Punk-Rock mehr“, sang nun der vor einigen Wochen 60 Jahre alt gewordene Sänger Campino, „alle sagen das“, antwortete ihm der Chor. Die Antwort auf die Eingangsfrage blieb selbstverständlich offen: „Doch was alle sagen, das ist uns scheißegal“, so Campino.

Die Frage ist aber auch deshalb schwer zu beantworten, weil kein wirklicher Konsens darüber besteht, was mit „Punk “ überhaupt gemeint ist. Für die einen meinte der Begriff vor allem jene Lederjackenträger mit Irokese und Dosenbier, wie sie zuletzt unter anderem auch in Sylt anzutreffen waren. Für andere ist Punk einfach nur ein musikalisches Genre, das die Toten Hosen nach 40 Jahren und über 15 Millionen verkaufen Alben naturgemäß nur noch ausschnittsweise bedienen.

Die Toten Hosen sind zu etabliert fürs Punk-Genre

Nach einer 40-jährigen Karriere sind die Toten Hosen natürlich für nahezu jede Punk-Definition zu etabliert, aber wenn Punk jenseits aller Genre- und Stilbetrachtungen nicht zuletzt Selbstermächtigung und ein unabhängiges Leben nach eigenen Regeln meint, dann ist niemand so sehr Punk wie diese fünf Männer aus Düsseldorf. Längst sind die Toten Hosen so viel mehr als nur eine erfolgreiche Band, das wird auch an diesem Abend von Berlin wieder klar, als die Band um 20.45 Uhr ausgerechnet am einzigen Wochenende dieses langen Sommers die Bühne betritt, an dem es beinahe durchgehend geregnet hat und insgesamt eher grau als blau ist.

Der Stimmung tut es keinen Abbruch: Nicht zuletzt unterstreicht die beinahe familiäre Atmosphäre auf dem Tempelhofer Feld, was die Band sich in 40 Jahren aufgebaut hat. Lange vor allen anderen haben sie eine eigene Plattenfirma und eine eigene Konzertagentur gegründet. Die Hosen unterstützen traditionell befreundete Musiker, gelten als beispielhaft und loyal im Umgang mit Personal, Support-Acts und sonstigen Wegbegleitern. Sie sind somit über die Jahre zum Zentrum eines Systems geworden, das weit über die Musik dieser Band hinaus als eine Art riesige Familie funktioniert.

Die Toten Hosen Sänger Campino.
Die Toten Hosen Sänger Campino.Roland Owsnitzki.

Den Abend eröffnet hatten die unter erschwerten, von Campino ausführlich gewürdigten Bedingungen angereiste ukrainische Metal-Band Stoned Jesus sowie die Tote-Hosen-Freunde Feine Sahne Fischfilet und Thees Uhlmann. Campino würdigt einen kürzlich verstorbenen langjährigen Mitarbeiter der Band. Und im Publikum erblicken wir den TV-Moderator Jo Schück, Birgit Fuß vom deutschen Rolling Stone, die kürzlich ein Buch über die Band geschrieben hat, und Mark Reeder, der die Hosen 1983 und 1988 nach Ost-Berlin gebracht hatte.

Auch die Ost-Punkband Planlos ist am Start

Obligatorische Hosen-Freunde und Gäste wie Die Ärzte, Marteria oder die Beatsteaks fehlen aufgrund eigener Verpflichtungen, aber mit der Ost-Punkband Planlos, deren Begegnung mit den Toten Hosen in Ost-Berlin kürzlich für die Dokumentation „Auswärtsspiel“ aufgearbeitet wurde, spielt die Band „Überall, wohin’s dich führt“ und den programmatischen Hosen-Klassiker „Disco in Moskau“, wodurch sie der im DDR-System von der Stasi verfolgten und kürzlich reformierten Underground-Truppe einen späten Karrierehöhepunkt beschert.

So viele Bücher, so viele Geschichten, so viele Lieder. Der Mythos Die Toten Hosen gründet natürlich in den Achtzigern. Musikalisch am besten und interessantesten waren sie allerdings in den Neunzigerjahren, das wird bei Songs wie „Bonnie & Clyde“, „Alles aus Liebe“ oder „Niemals einer Meinung“ einmal mehr klar. Campino rennt, tanzt und hechtet in bestechender Form über die Bühne, bringt in seinen Bühnenansagen problemlos das Nachhaltigkeitskonzept der aktuellen Tour mit der hosentypischen Sauf- und Fußballmetaphorik zusammen, ist also sozusagen Mick Jagger und Bono Vox, Prediger und Massendompteur in einer Person.

Das Tempelhofer Feld ist letztlich keine ideale Spielstätte für Konzerte dieser Größenordnung, es ist zu weitläufig, es gibt keinen Handyempfang, die Getränkestände sind chaotisch organisiert, man kann nicht mit der Karte bezahlen. Doch als das 74. Berlin-Konzert der Toten Hosen nach 135 Minuten und 33 Liedern endet, hat man solche Details längst wieder vergessen.

Die Toten Hosen zelebrieren ihr übliches Zugabenprogramm ab, spielen ihren größten Hit „Tage wie diese“ und am Schluss sogar das Quatschlied „Eisgekühlter Bommerlunder“ sowie ihre Version von Gerry and the Pacemakers’ „You‘ll Never Walk Alone“ – das klingt bei dieser Band dann doch deutlich anders als bei Olaf Scholz vor einigen Tagen. Der Freiheitsbegriff der Toten Hosen kennt keine Klasse – und keine sonstigen Grenzen. Alle sind eingeladen. Das wurde in Berlin einmal mehr klar.