Klassik

Koskys „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“: Wie man sich bettet

Konsumterror ohne Ende oder: Ecce homo! Barrie Kosky inszeniert „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill und Bertolt Brecht in der Komischen Oper.

Jim Kapeller als Jack O'Brien in der Neuinszenierung „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“» von Brecht/Weill in der Komischen Oper. 
Jim Kapeller als Jack O'Brien in der Neuinszenierung „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“» von Brecht/Weill in der Komischen Oper. Fabian Sommer/dpa

Berlin-Ein Mann liegt erstochen allein auf der Bühne. Die ist weit und leer und seitlich von zwei Spiegelwänden begrenzt. Er liegt lange in seinem Blut und kann einem leid tun, und je länger er liegt, desto mehr tut er einem leid. Unsichtbar singt dazu von draußen der Chor „Können einem toten Mann nicht helfen“ - und tut dies mit triefender Ironie, weil seine Mitglieder ihn gerade einträchtig umgebracht haben. Im Orchester rauscht das verlogene Bedauern quasi mit Pauken und Trompeten mit, warnend und mahnend, pathetisch und distanziert zugleich. So endet nun in der Komischen Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ von Kurt Weill zum Text von Bertolt Brecht.

Es gibt in dieser „epischen Oper“ (Weill) etliche Songs, die Hits geworden sind, etwa „Denn wie man sich bettet, so liegt man“ oder der „Alabama-Song“ („Oh, show us the way / To the next whisky-bar“). Aber die Figuren, die sie singen, sind keine Sympathieträger, sondern individuell borniert, konsequent berechnend und gnadenlos raffgierig. Und der Holzfäller Jim Mahoney, der am Schluss wie ein geschlachtetes Opferlamm anmutet, ist leider nicht viel besser.

Barrie Kosky verzichtet für „Mahagonny“ auf alle Folklore und Dekoration

Das heißt, man wippt einerseits fröhlich zur Musik, die einem andererseits sagt: „Achtung, bloß mir nicht auf den Leim gehen!“ Ganz, so scheint es, hat selbst der scheidende Intendant Barrie Kosky in seiner Inszenierung diesen Zwiespalt nicht bewältigt. Ihm ist am Berliner Ensemble jüngst eine fulminante, radikal entrümpelte Neudeutung von Brecht/Weills „Dreigroschenoper“ gelungen. Auch für „Mahagonny“ verzichtet er jetzt auf alle Folklore und Dekoration, vertraut im Bühnenbild von Klaus Grünberg einzig auf den kargen, durch die Spiegelwände verkleinerten Raum.

Wenn zu Beginn Ivan Tursic als Fatty, der Prokurist, und Jens Larsen als Dreieinigkeitsmoses in einer Luke im nackten Boden hocken und aus Büchern vorlesen, sehen wir: Einen Juden mit Kippa und einen Christen mit umgehängtem Kreuz - wie zwei tolle Geschöpfe von Samuel Beckett, die alles wissen und nichts tun können. Rasch kommt Nadine Weissmann als habsüchtige Witwe Begbick zu ihnen, schmeißt die Schriften respektive Religionen in einen Eimer, in dem sie ihr Geld einsammelt, und erhebt den Dollar zur universellen Gottheit. Die drei sind auf der Flucht vor der Polizei und wollen hier mitten in der Wüste die Stadt Mahagonny gründen, um amüsierwillige Gold- und Glückssucher auszunehmen. Jim und seine Freunde kehren nach harten Jahren im Wald gern dort ein, doch trotz billigen Schnapses und williger Prostituierter sind sie von den unzähligen Verboten genervt, die ihre Vergnügungssucht reglementieren. Auf Initiative von Jim werden diese bald gekippt, ab dann herrscht totale Freiheit: Alles ist erlaubt, solange man dafür bezahlen kann.

Die Phantasie und der Esprit des Abends strahlen aus dem Orchestergraben

Feierlich, reduziert, ohne durchaus angebrachten Sarkasmus und mitunter opernhaft konventionell breitet Kosky diese von biblischen und gesellschaftspolitischen Querstreben gestützte Kapitalismuskritik aus. Die Phantasie und der Esprit des Abends strahlen indes aus dem Orchestergraben, wo Generalmusikdirektor Ainars Rubikis so elegant wie subtil Weills faszinierenden kompositorischen Bilderbogen ausleuchtet. Er findet immer den richtigen Ton und das stimmige Tempo, auch wenn Kosky den Chor revuehaft gestikulieren, wütend rüpeln oder enthemmt trampeln lässt, bis sich ein aggressiver Marschtritt einstellt, schließlich wurde das Werk 1930 in Leipzig uraufgeführt.

Im ersten Teil tragen alle heutige Alltagsklamotten (Kostüme: Klaus Bruns), im zweiten, als der libertäre Konsumterror dominiert, schicke schwarze Pailletten-Garderobe. Nur Jim, der rebellische Kauz, der sich nicht kaufen lassen will, legt nie das rustikale Holzfäller-Outfit ab. Der kräftige, spielfreudige Allan Clayton ist mit seinem kernigen Heldentenor fast schon über diese Rolle hinausgewachsen. Die aparte Nadja Mchantaf zeichnet trotz manchem etwas nervösen sängerischen Flackern die Prostituierte Jenny mit Wärme und Metall, mit Härte und Grazie. Die Liebesgeschichte zwischen Jim und Jenny ist natürlich nicht mehr als ein Geschäft, obwohl sie ihm als einzige keinen Messerstich versetzt, wenn ihn der Mahagonny-Mob wegen seines Bankrotts ermordet.

Das ursprüngliche Finale mit der brennenden Stadt und der „Feindschaft alle gegen alle“ spart Barrie Kosky inszenatorisch aus, damit wir – Ecce homo! – allein der Musik zuhören. Keine schlechte Lösung für dieses hinreißend vertrackte Stück, weil damit – raffiniert, klug und eindringlich - alle Fragen offenbleiben.

Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny  9., 14., 17., 21., 23., 29.10., Komische Oper, Tel. 47 99 74 00