Hamburg-Fünf Jahre nach dem Comeback der Hamburger HipHop-Band Beginner veröffentlicht „Chefstyler“ Jan Philipp Eißfeldt alias Jan Delay sein fünftes Soloalbum „Earth, Wind & Feiern“ – mit einem Dutzend Songs voller Bass, positiven Vibes und Gästen wie Lary, Marteria und Summer Cem. Wir treffen den Musiker zum Gespräch in einem verwaisten Hotel mitten in Hamburg. Delay ist bestens aufgelegt und so persönlich wie auf seinem neuen Werk.
Herr Delay, Sie sind von Berlin zurück nach Hamburg gezogen. Weinen Sie der Hauptstadt eine Träne nach?
Keine einzige. Ich war vor ein paar Wochen das erste Mal wieder da, bin nur rein und wieder raus und nicht mal in unsere Wohnung gegangen, die wir dort immer noch haben. Und das, obwohl ich nur 100 Meter von meiner Hood zu tun hatte. Das war ein komisches Gefühl. Es war jetzt keine Träne, aber wieder im Hood zu sein, hatte auch sein Schönes, das muss ich zugeben. Aber ich habe Hamburg so vermisst, und ich genieße es so krass, wieder hier zu sein.
Das merkt man der neuen Platte an.
Das muss Suggestion sein. Denn als ich die Texte dafür schrieb, spielte sich unser Leben noch in Berlin ab. Nur bei den letzten zwei Songs war die Situation schon eine andere.

Vielleicht war es die Sehnsucht?
Vielleicht. Mein Leben war in den letzten sechs Jahren total getaktet. Wenn ich in Berlin war, konnte ich voll und ganz Daddy sein. Ich hatte dann Zeit, habe jeden Tag gekocht, meine Tochter von der Kita abgeholt – das volle Programm. Und wenn ich arbeiten musste, war ich entweder irgendwo bei einem Auftritt oder in Hamburg im Studio. Diese Trennung gibt es nun nicht mehr, aber bisher läuft es super.
Darum geht es auch im Stück „Ich muss zurück“.
Ja, um diesen Moment, wo ich meiner Tochter sage: „Ich muss jetzt nach Hamburg.“ Und sie steht im Flur, weint und will mit ins Studio. Da war sie noch sehr klein. Sie ist immer noch manchmal traurig, weil sie es nicht mehr gewohnt ist, wenn ich einen Tag weg bin. Das ganze letzte Jahr war ich ja immer da. Wenn sie anfängt zu weinen, sag ich ihr: „Maus, überleg doch mal, wie das vor zwei Jahren war. Da war ich eine Woche da und eine ganze Woche weg.“ Aber das kennt sie nicht mehr. Ich versuche sie darauf vorzubereiten, dass ich viel unterwegs sein werde, sobald Corona vorbei ist.
Sie sind auf diesem Album viel persönlicher und emotionaler als sonst.
Das hat meine Band auch gesagt, als sie das erste Mal die Songs gehört hat.
Sie waren früher sehr beschützend unterwegs, so zumindest mein Eindruck.
Ja, das bin ich auch. Das ist so ein Hamburger Ding. Ich bin ein Privatsphäre-Mensch. Aber diesmal habe ich es zugelassen, dass die Songs ein bisschen mehr offenbaren. Ich glaube, das kommt mit dem Alter. Je älter ich wurde, desto mehr sind die Schutzwälle aufgeweicht.
Woran machen Sie das fest?
Auf der ersten Jan-Delay-Platte gab’s gar kein Liebeslied oder ähnliches. Bei der zweiten gab’s eins, aber das habe ich gecovert, weil ich original gesagt habe: „Ich kann das Liebeslied nicht schreiben, mir ist das zu peinlich, wenn ich dann da stehe und es singe.“ Aber ich konnte „Für immer und dich“ von Rio Reiser singen – das lieb’ ich. Das war mir auf der Bühne dann nicht peinlich. Bei der Platte danach schrieb ich dann sogar selber ein Liebeslied für meine Frau. Ich habe sie aber trotzdem aus allem rausgehalten. Dann kam meine Tochter, da kann man’s nicht mehr raushalten, da fragt dann jeder, und man redet auch drüber. So ging das Stück für Stück, und jetzt lege ich die Karten auf den Tisch: Das ist meine Tochter, das sind meine Eltern, da komm ich her, das ist mein Haus.
„Saxophon“ ist ein Lied über Ihr Aufwachsen. War das immer schon klar, dass Sie mal Künstler werden?
Gestern wurde ich gefragt, ob das immer schon meine Träumereien waren. Nee, nee und nee. Aber mein Papa ist Musiker. Für mich war Musik schon als Kind das Größte, und wenn ich zu seinen Auftritten durfte und die Bands von meinem Vater spielen gesehen habe, war das für mich immer ein Wow. Es gibt Fotos von mir beim Soundcheck. Jeden Takt, jede Sekunde habe ich aufgesogen. Aber ich habe nie gesagt: „Später will ich das auch machen.“ Es war für mich einfach meine Sozialisation.

Beneidenswert!
Ich bin auch super dankbar dafür. Ich erinnere mich daran, dass ich die einzelnen Musiker der Band jeweils auf ein Blatt Papier malte. Aber nicht wie jemand, der einen Cowboy zeichnen soll, aber eigentlich aus der Großstadt kommt, sondern wie jemand, der einen Cowboy zeichnen soll und selbst auf einer Ranch aufgewachsen ist. Ich kenne das von Pieke auf, ich kann ’ne Kuh melken, ich weiß, wie man einen Hund wieder einfängt – rein metaphorisch gesprochen. Bands umgaben mich die ganze Zeit, ich hatte eine Faszination dafür und wusste schon mit fünf, wie Konzerte funktionieren. Aber wenn ich es gemalt habe, dann weil es mich beschäftigt hat und nicht weil ich selbst mal der geile Cowboy auf dem Pferd sein wollte – oder eben der Rockstar. Denn aufgrund meines Vaters und der Freunde meines Vaters wusste ich auch, dass das kein Job ist, mit dem man Geld verdienen kann.
„Wir haben zwar keine Einbauküche, doch Papa hat ’n Saxophon“, singen Sie in dem Song.
Ich komme aus Eppendorf. Meine Eltern hatten keinen Pfennig, aber alle um mich herum hatten sehr viele Pfennige. Dass ist der krasseste Kontrast, den du als Kind haben kannst, dadurch lernst du fürs Leben. Ich war Stammgast im Kinderladen in Ottensen, einfach weil es der einzige alternative Kinderladen war, der kein Geld gekostet hat. Da war ich unter meinesgleichen. Da waren nur Kinder von linken Eltern, die kein Geld hatten. Wäre ich mit denen auch noch auf dieselbe Schule gegangen oder hätte dort gelebt, hätte mich dieser Ehrgeiz nie ereilt.
Erkennen Ihre Eltern sich in Ihren Texten wieder?
Ja, schon. Ich zeige denen normalerweise nie vorher die Songs. Aber „Saxophon“ habe ich ihnen sofort in einer Mail geschickt mit dem Hinweis: „Hört euch das sofort an.“ Ich glaube, sie waren gerührt. Aber so genau weiß ich’s nicht, ich war beim Hören ja nicht dabei.
Ihre Platte streift viele Genres wie Disco, Trap, Reggae, Ska und Elektro. Ist das noch HipHop?
Nee, aber das war es bei Jan Delay ja noch nie. Deshalb habe ich Jan Delay überhaupt erschaffen so wie auch damals La Boom. Ich kreierte diese verschiedenen Aliasse, damit ich auch Musik machen kann, die kein HipHop sein muss, die kein HipHop sein will, und wo ich einfach das tue, worauf ich Bock habe – denn früher waren Genres ja noch viel wichtiger. Heute ist das echt eine Traumwelt für mich, meine Utopie!
Inwiefern?
Wir haben früher immer auf den Sack gekriegt, so von wegen: Ihr macht keinen echten HipHop, denn ihr habt Melodien und Gitarren usw. Und jetzt auf einmal leben wir in dieser Welt, wo es keine Genres mehr gibt, nur gute und schlechte Musik. Und jeder hört alles. Das ist so toll! Das ist genau das, was ich mir immer gewünscht habe. Deshalb sind die Namen Jan Delay und Eizi Eiz jetzt fast schon obsolet. Und es ist vollkommen egal, ob das noch HipHop oder schon HipHop ist.
Welches Statement wollen Sie mit „Earth, Wind & Feiern“ abgeben?
(Er zitiert die Single „Intro“) „Es sind finstere Zeiten, aber das muss gar nicht sein. Lass uns die Wolken vertreiben, ich hab Sonne dabei.“ Ich fand die Zeiten vor Corona schon finster, ich hab tierische Angst gehabt vor der Naturkatastrophen-Bedrohung und dem Klimawandel, vor dem riesigen Rechtsruck überall auf der Welt, vor Trump als Präsident, vor all diesen abstrakten Dingen, die man sich zehn Jahre vorher nie hätte träumen lassen. Ich wollte aber unbedingt eine positive Platte machen: kein Mittelfinger, kein Runterziehen, kein Meckern, kein Jammern – nur gute Vibes.
Wobei Sie schon den einen oder anderen Seitenhieb verteilen.
Ich kann diese Ängste und diese Scheißthemen nicht untern Teppich kehren, also keine Schlager-Gute-Vibes-Platte machen, so nach dem Motto: Hey, der Himmel ist blau, die Sonne ist gelb. Ich wollte diese Themen trotzdem anschneiden, weil sie mir wichtig sind, aber immer so, dass man noch ein Lächeln auf den Lippen hat. Es sollte eine Feelgood-Music-Platte werden, die sich dessen bewusst ist, was alles scheiße läuft. Aber die durch das Tanzen, Feiern, Hören und Sichfreuen so viel Kraft und Energie gibt, dass man diese Scheißsachen angehen kann – so blöd sich das auch anhört. Denn wir müssen es angehen, das ist einfach so, sonst sind wir bald alle nicht mehr da. Und es müssen auch alle mitmachen. Dazu wollte ich meinen kleinen bescheidenen Beitrag leisten.
Jan Delay: „Earth, Wind & Feiern“ (Vertigo Berlin/Universal) erscheint am 21. Mai; live am 27. August auf der Rennbahn Hoppegarten.
