Klassik

Das DSO schließt sein Festival „Music and Healing“ mit „Tristan“ ab

Musik auf ihren Heilungsaspekt abklopfen: Robin Ticciati, der Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters, hat das Festival angestoßen. 

Shenyang  als Kurwenal in Wagners „Tristan und Isolde“ beim Festival „Music and Healing“.
Shenyang als Kurwenal in Wagners „Tristan und Isolde“ beim Festival „Music and Healing“.Jakob Tillmann

Jedem, der Musik liebt, stellen sich die Nackenhaare auf, wenn plötzlich die Frage nach ihrer „gesellschaftlichen Relevanz“ gestellt wird. Musik als Wirtschaftsfaktor, Musik zur Anregung der Hirnentwicklung, Musikmachen als Modell sozialer Prozesse – jeder, der Musik liebt, wittert Gefahr, wenn derart ein funktionalistischer Ungeist sie in ihrer wilden Bedeutungsoffenheit beschneiden will.

In vorauseilendem Gehorsam erledigen die Kulturinstitutionen und ihre Protagonisten derlei selbst: Robin Ticciati, der Chefdirigent des Deutschen Symphonie-Orchesters (DSO), hat ein Festival namens „Music and Healing“ angestoßen, vier Konzerte und zwei Symposien, bei denen man nun von Arvo Pärt bis „Sacre du printemps“ an allem den „Heilungsaspekt“ wahrnehmen soll. Aber vielleicht war das alles auch ironisch gemeint?

Im „Sacre“ (gespielt am 17. März) tanzt sich jemand zu Tode, Alban Bergs Violinkonzert (25. März) wurde als Requiem für eine junge Frau geschrieben, und im dritten Akt von Wagners „Tristan und Isolde“ (26. März) häufen sich am Ende die Leichen, während Isolde mit dem Liebestod in einen Gemütszustand abdriftet, der nicht als psychotherapeutischer Erfolg gewertet werden kann. In der Aufführungsgeschichte setzten sich die fragwürdigen Wirkungen fort. Wagner selbst schon fürchtete, dass eine gelungene Aufführung des „Tristan“ „die Leute verrückt machen“ müsse, und den ersten Tristan-Sänger kostete die Überanstrengung das Leben. Heute hat Wagners Musik die „Funktion“, dem vom Alltag eingezwängten Seelenleben seine Extremwerte von Ekstase und Verzweiflung aufzuzeigen – sie treibt eher in die Sucht als ins Heil.

So drucklos, als gälte es, das Bayreuther verdeckte Orchester nachzuahmen

Die Aufführung am Sonntag in der Philharmonie begann klanglich ungemein schön, die Streicher des DSO spielten mit großer dynamischer Bandbreite und dennoch so drucklos, als gälte es, das Bayreuther verdeckte Orchester nachzuahmen, Max Werners Englischhorn-Solo war über alle Begriffe beeindruckend. Shenyang als Kurwenal und Joo-hoon Shin als Hirte führten einen subtil gestalteten Dialog.

Schwierig wurde es mit Michael Weinius’ Tristan und erst recht mit Dorothea Röschmanns Isolde: Beiden sah und hörte man an, dass es in diesen Partien ganz konkret vor allem ums Überleben geht. Weinius vermag den Druck expressiv noch einigermaßen glaubwürdig zu nutzen, bei Röschmann trauert man um eine ehemals begnadete Mozart-Interpretin. Wie viel selbstverständlicher klingt Wagner sofort bei Claudia Mahnke als Brangäne und Liang Li als König Marke. Voran ging Jonathan Harveys viertelstündige Orchestermeditation „… Towards a Pure Land“ – eine Art „Unanswered Question“ mit fernem Streicherweben und störenden Orchesteraktionen, die nach hier und da reizvollen Klängen weniger in ein reines Land als in eine reine Quinte führte.