Musik

Wie Sean Nicholas Savage Glam-Pop und Indie-Sounds verschmilzt

Der kanadische Sänger und Pop-Produzent war während der Covid-Jahre depressiv. Dafür ist er jetzt umso fulminanter zurück. Und in Berlin live zu sehen

Der junge Mann und das Meer: Sean Nicholas Savage.
Der junge Mann und das Meer: Sean Nicholas Savage.Marta Cikojevic

Sean Nicholas Savage ist zurück. Der exzentrische Musiker aus Kanada genießt in Indie-Kreisen schon lange Kultstatus. Sein Markenzeichen ist die zarte Stimme, die sich live gern auch mal in energiegeladenen Ausbrüchen verliert. Nachdem es in den vergangenen zwei Jahren still um ihn war, erscheint im Sommer sein neues, mittlerweile 16. Album „Shine“. Kommende Woche will er es erstmals einem Berliner Publikum präsentieren.

Am Dienstag hat Savage seine zweite Single-Auskopplung veröffentlicht. Auch sie trägt den Titel „Shine“. Der Song wie das Album handeln von der Wiederentdeckung des Lebenswillens nach einer Zeit voller Melancholie und Stagnation. Savage selbst beschreibt sein Werk so: „Es geht um die Welt, die in uns schimmert, um die Macht der Unterwerfung und am allermeisten um unbeabsichtigte Erneuerung – gegen die schlingernde Unendlichkeit des Ozeans oder der Küste“.

Diese Stimmung vermittelt bereits das Cover-Foto: Hier taucht Savage voll bekleidet aus einem türkisblauen Ozean auf. Die Arme gespreizt, so wendet er sich energiegeladen gen Himmel. Es ist eine große Geste von Aufbruch und Neuanfang in eine neue Zeit. Denn die Pandemie hat auch bei Savage Spuren hinterlassen. Sie habe immens an seinen Kräften gezehrt, ihn emotional belastet und in seiner Kreativität eingeschränkt. So habe er im Jahr 2020 nichts geschrieben. Er litt unter Depressionen.

„Ich glaube, die ganze Idee von Poesie besteht darin, jenseits von Sprache zu sprechen oder zu schreiben“: Sean Nicholas Savage.
„Ich glaube, die ganze Idee von Poesie besteht darin, jenseits von Sprache zu sprechen oder zu schreiben“: Sean Nicholas Savage.Ariana Molly

Eine Reise weckte die Lebensgeister des Musikers

Am Ende dieses Jahres reiste Savage alleine nach Griechenland. Während eines langen Aufenthaltes auf Kreta saß Savage einmal an der Küste und starrte aufs Meer – da spürte er plötzlich, dass der Funke zurückkehrte. „Die ständige Bewegung des Ozeans hat mich inspiriert“, resümiert er. Abends sang er vor dem Einschlafen freudige Memos in sein Telefon. Daraus entstanden Gedichte, die er später in seiner Berliner Wohnung transkribierte und anschließend mit Nylon-Gitarre und Klavier vertonte.

„Man kann heilen und sich auf eine völlig neue Art ins Leben verlieben, nachdem alles zerstört wurde“, sagt Savage. Liebe und Heilung sind zentrale Elemente seiner neuen Stücke. Deren Texte vermitteln pure Emotionen. Auf dem Titeltrack singt Savage von traurigen, auch etwas zersetzenden Möwen. In ihrem Augenschimmer finden wir uns wieder – ein völlig neues Universum in uns tragend. An anderer Stelle beschreibt er den Schimmer des Mondlichts im Auge einer weinenden Streunerkatze: Es sind existenzielle, poetische Bilder, die Savage mit „Shine“ aufleuchten lässt: „Ich glaube, die ganze Idee von Poesie besteht darin, jenseits von Sprache zu sprechen oder zu schreiben.“

Savage lässt sich auch vom Kino inspirieren. Er schaut sich gerne frühmorgens und abends Filme an. Dann recherchiert er Regisseure, Schauspieler oder Studios und streamt im Internet. „Ich verwende keinen maßgeschneiderten Streaming-Dienst. Scheiß auf diese Hypnose“, schimpft Savage. Ihn inspirieren sowohl das moderne und traditionelle Theater als auch Wissenschaft, Opern und Musicals. „I don't care too much“ von Alan Cumming aus der 90er Auflage des Musicals – das ist Savages aktuelles Lieblingslied.

Sean Nicholas Savage
Sean Nicholas SavageAriana Molly

Indie-Stimmen und Glam-Pop

Darüber hinaus ist Savage großer Fan des Laissez-faire-Soft-Rocks von Tatsuro Yamashita oder des melancholischen Indie-Folkrocks von Elliott Smith. Das hört man. Seine zerbrechliche, oft sanfte Stimme wird untermalt von weichen Gitarrenklängen, Synthesizer-Orgeln und folkigen Reminiszenzen. Dabei hat Savage die klanglichen Elemente der Songs meist aufs Wesentliche reduziert. Nylongitarre und Gesang erzeugen wohltuende Wärme. „Es ist wie eine Boyband, die bei MTV Unplugged auftritt“, so beschreibt Savage selbst seinen Sound. Er habe während der Produktion von „Shine“ viel Britney Spears und NSYNC gehört.

Aufgenommen hat Savage das Album in Los Angeles, zusammen mit seinem langjährigen Freund Mac DeMarco, der es auch produziert hat. Savage lobt den offenen Ansatz seines Jugendfreundes, dem es fabelhaft gelungen sei, diese intime Stimmung einzufangen: „Mac hat eine unglaubliche Intuition und Energie.“

Im Vergleich zu seinem vorherigen Werk klingt Savages Gesang auf „Shine“ intuitiver, roher. Bei den Aufnahmen mit DeMarco habe Savage das erste Mal mit rotzigeren Gesangsaufnahmen experimentiert. „Als ich es mir später anhörte, mochte ich es mehr, als wenn ich wirklich ‚gesungen‘ hätte“, sagt Savage. „Auch haben wir dieses Mal nicht spät nachts aufgenommen – sondern morgens, wo ich dann besonders sanft gesungen habe.“

Sean Nicholas Savage
Sean Nicholas SavageAriana Molly

Auch instrumental unterscheidet sich „Shine“ von Savages früheren Alben. Er hat die Gitarre als primäres Instrument entdeckt. Auch wenn die Stücke keine geradlinigen Folksongs sind, vermitteln sie doch das genretypische Gefühl von Nähe und Intimität.

Am 4. Mai wird Savage diese Emotionen im Fitzroy live präsentieren. Seine Live-Performances sind förmliche Ausbrüche von Leidenschaft. Diese bringt Savage seit der Pandemie nun erstmals wieder auf eine Berliner Bühne. Dazu hat er auch eine Backing-Band mitgebracht: zwei Keyboarder. Als Support kommt ein Urgestein der Berliner Drag-Szene: die Glam-Pop-Band Godmother. Man darf sich auf einen besonderen Abend mit sprichwörtlich shiny Avantgarde-Pop freuen.