Literatur

Florian Havemanns Roman „Bankrott“: Selbstgespräch für viele

Ein Roman, der sich mit dem Schreiben und Stehlen von Geschichten auseinandersetzt und in dem Havemann sowohl Autor, Erzähler als auch Herausgeber ist.

Florian Havemann
Florian HavemannVolkmar Otto

Taff macht seinem Namen alle Ehre. Taff ist ein harter Hund, ein Stück weit auch ein Ekelpaket, jedenfalls kein Sympathieträger, ganz und gar nicht. Einst ein erfolgreicher Umzugsunternehmer hat er sich als Bauunternehmer in der brandenburgischen Provinz verkalkuliert. Eine Steuerschuld von einer Million droht ihm nun das Genick zu brechen. Doch ist Taff wirklich schuldig?

Taff ist die Hauptfigur in Florian Havemanns Roman „Bankrott“. Wobei man in diesem einen Satz dem Leser glattweg drei Lügen aufgetischt hat. Denn eigentlich ist es nicht Taff, um den sich der Text dreht. Und was wahlweise Stoff für einen Krimi oder eine Milieustudie abgeben könnte, versucht erst gar nicht, sich als bündiger Roman auszugeben. Obgleich Taff bankrottgeht, ist der Bankrott, von dem dieses Buch erzählt, eigentlich jener des Schreibenden: Vom Scheitern am Schreiben des Romans, der dem Leser da vorliegt. Davon erzählt Havemann; und nebenbei eben von Taff.

Theorien durch den Fleischwolf gedreht

Aber von vorn. Es beginnt damit, dass der Autor Havemann sich, mit gehöriger Chuzpe ausgestattet, verdreifacht: als Autor, Erzähler und Herausgeber. Da sitzt er, der Herausgeber Havemann, der die Notizen des Autors Havemann kommentiert, um den Erzähler Havemann von der Pflicht zu entlasten, einen kohärenten Roman auszuerzählen. Ein postpostmodernes Spiel, durchaus nicht papiern. Theorien über das Fragment, über Autorschaftskonzepte, den impliziten Leser und vieles mehr werden im Roman verwurstet, durch den Fleischwolf gedreht und für den Leser angerichtet. Bon Appetit!

Taff ist eine burleske Figur, und Havemann erzählt einige Szenen – etwa Taffs Suche nach sexuellen Kontakten im ländlichen Milieu Brandenburgs – saftig und deftig. Der Unternehmer figuriert als der „typische Wessi“, ist ein überheblicher Lebemann, ein Glücksritter, der die 2000er in der brandenburgischen Provinz erlebt. Hier wird er zum Beobachter, auch zum stillen Teilhaber am Ausverkauf des ostdeutschen Volksvermögens.

Die 2010er-Jahre im Osten

Erzählt wird von den Chaosjahren, als man den brandenburgischen „Bauernschädeln“ die jahrhundertealten Dörfer unterm Hintern wegbaggerte – was man ja bereits zu DDR-Zeiten getan hatte, da aber in Ermangelung von Alternativen. Alternativlos ist der Braunkohletagebau nach der Wende nicht, aber lukrativ, und zwar für Vattenfall. Der Braunkohletagebau Welzow-Süd wird zur Chiffre für die ökonomische Einverleibung Ostdeutschlands unter Duldung und tätiger Mithilfe der Politik.

Sagen wir es so: Die brandenburgische SPD kommt nicht gut weg in Havemanns Roman. Havemann erzählt von der ökonomischen und politischen Vorgeschichte der 2010er-Jahre, in denen die AfD in den ostdeutschen Bundesländern zur Volkspartei erstarkte. Was man bekanntlich mit dem nationalen Ungeist der Ex-DDR begründete, nie aber mit den tatsächlichen wirtschaftlichen und politischen Nachwendebedingungen.

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Von Florian Havemann

13.11.2022

Am Stoff liegt es jedenfalls nicht, dass der Erzähler und Autor mit dem Roman, den er zwischen den Zeilen ja doch liefert, scheitert. Woran dann? Natürlich ließen sich materielle Gründe benennen. Der Erzähler muss arbeiten, in einem Putzjob, das raubt womöglich die geistige Spannkraft für ein opulentes Romangewebe. Und dann ist da noch die Technik, bei der der Teufel im Detail steckt, und die Differenz zwischen Vorhanden- und Zuhandensein bricht dem Autor das Genick: Sein letzter Roman „Ex“, übrigens ein Exhibitionistenroman, wurde bei einem Festplattencrash vernichtet. Er ist also tatsächlich ein Ex-Roman, einer, der mal war, und nun nicht mehr ist.

„Ex“ wie auch Havemanns Roman „Speedy“ und nun „Bankrott“ kommen auf sexuelle Obsessionen zu sprechen. In „Speedy“, über 800 Seiten stark, werden die masochistischen Wünsche des NS-Verfolgten und Malers Rudolf Schlechter verhandelt. Die sexuelle „Devianz“, wie man früher wohl gesagt hätte, wird auch in „Bankrott“ zu dem Widerstandskern schlechthin. Der Erzähler wohnt den sexuellen Eskapaden Taffs entweder wie ein Schatten bei oder wiederholt sie wie ein Doppelgänger.

Der Literaturbetrieb war verschreckt

„Bankrott“ ist ein Metaroman, der sich über das Schreiben, auch über das Stehlen von Geschichten Gedanken macht. Der Autor erscheint als Parasit, der sich das Erlebte anderer aneignet. Etwa die Geschichte des Unternehmers Klaus Zapf, was Havemann allerdings leugnet, was wiederum Teil des Spiels des dreifaltigen Autors ist. Die ostentative Betonung der Tatsache, dass Taff natürlich nicht Zapf ist, erinnert zugleich an den literarischen Skandal, den Havemanns Biografie und Vaterbeschimpfung „Havemann“ auslöste. Mehrere Personen, die im Buch vorkamen, hatten vor Gericht die Streichung von Passagen erstritten. Der Literaturbetrieb war verschreckt und zuckte vor weiteren Veröffentlichungen immer wieder zurück, sodass Havemann nun kurzerhand einen eigenen Verlag gründete.

„Bankrott“ zu lesen, ist wie einem auktorialen Selbstgespräch beizuwohnen, in etwa so, wie wenn man an einer Bushaltestelle sitzt, und plötzlich fängt der Mensch neben einem an zu erzählen. Einen Moment lang fühlt man sich angesprochen, dann rückt man ein Stück beiseite. Havemann spricht hinein in einen Diskursraum für die wenigen Auserwählten – so legt es ja bereits der Name seines Verlages Freunde & Friends nahe. Es ist eine beinahe nietzscheanische Abkehr von der Literatur für die Viel-zu-Vielen und legt einen Fokus auf eine kleine Blase. Folgerichtig kokettiert Havemann im Verlauf des Textes wiederholt mit der kleinen oder Null-Leserschaft des Romans. So auch zu Beginn in der Widmung an die Leserin Monika Bleibtreu, die allerdings nicht mit der echten Monika Bleibtreu zu verwechseln sei, wie der Herausgeber gleich versichert. Ob man diese Namensspiele oder die ausufernden Selbstgespräche unterhaltsam, spannend oder zermürbend findet, hängt nun ganz vom Leser ab und davon, wie neugierig und eingeweiht er ist. Sagen wir es, wie Taff es sagen würde: Havemanns Leser brauchen Stehvermögen!

Florian Havemann: Bankrott. Roman. Verlag Freunde & Friends, Berlin 2023, 654 Seiten, 25 Euro.

Buchpremiere: 12. Januar, 20 Uhr, Galerie Friedrichstraße 119, der Autor im Gespräch mit Jan Wenzel, Musik: Omnia Drum.

Florian Havemann ist Autor der Berliner Zeitung, für deren Wochenendausgabe er die Essay-Reihe „Der unfertige Gedanke“ schreibt.