Die Künstlerin und Schauspielerin Tabea Blumenschein (1952–2020) und die Filmregisseurin Ulrike Ottinger waren bekannt wie bunte Hunde in der Berliner Kunstszene der 70er- und 80er-Jahre. Tabea Blumenschein trat als Darstellerin in Ottingers Filmen auf, für die sie auch Kostüme entwarf. Die beiden hatten eine künstlerische Beziehung, und sie waren eine Zeitlang ein Paar.
Wir treffen Ulrike Ottinger in ihrer Wohnung in Berlin-Kreuzberg, um mit ihr über ihr Zusammenspiel mit Tabea Blumenschein zu sprechen. Tabea Blumenschein wurde 2020 tot in ihrer Marzahner Wohnung gefunden, aber Ulrike Ottinger spricht noch immer in der Gegenwartsform von ihr.
„ZusammenSpiel“ heißt die Ausstellung in der Berlinischen Galerie, und nach diesem Zusammenspiel zwischen Ihnen und Tabea Blumenschein möchte ich Sie fragen. Wann hat das angefangen?
Anfang 1969 kam ich aus Paris in meine Heimatstadt Konstanz zurück und habe dort ein kleines Kulturzentrum aufgemacht. Es gab einen Filmclub, ein Editionshaus, in dem ich Multiples bekannter Pop-Art-Künstler veröffentlichte, eine Buchhandlung, ein kleines Plattengeschäft und ein Café, damit die Leute gleich diskutieren können. Tabea war damals 17, sie studierte an der Bodensee-Kunstschule und kam jeden Tag in das Kulturzentrum. Sie zeigte mir ihre Zeichnungen, und als ich dann 1971 endlich so weit war, dass ich meinen ersten Film anfangen konnte, „Laokoon & Söhne“, wollte sie unbedingt dabei sein. Ich hatte aber Katharina Sieverding für die Hauptrolle vorgesehen und bereits mit dem Dreh angefangen. Dann war ich ein paar Tage in London, und als ich zurückkam, war Katharina Sieverding nicht mehr da. Sie habe sich mit Tabea gestritten, hieß es, und Tabea hatte sich durchgesetzt.
Eine unbekannte 18-Jährige gegen die große Katharina Sieverding?
Das glaubt kein Mensch. Ich glaube es selber immer noch nicht, aber es war so. Sie wollte es unbedingt, und dann habe ich es versucht mit Tabea, und daraus wurde etwas ganz Erstaunliches. Wir haben uns dann angefreundet und später auch eine Beziehung begonnen. Es war ein unglaublich tolles Zusammenspiel. Tabea war einfach bei allem enthusiastisch dabei. Wir haben zusammengearbeitet, bis wir uns 1979 getrennt haben.

War damit dieses Zusammenspiel auch in künstlerischer Hinsicht zu Ende?
Wir haben den Kontakt unterbrochen, nachdem wir uns getrennt hatten. Das war nach „Bildnis einer Trinkerin“. Aber nach einiger Zeit haben wir uns wieder getroffen, und von da an blieben wir freundschaftlich verbunden. Ich habe sie bis zu ihrem Tod immer wieder sporadisch getroffen, um ihre neuen Zeichnungen zu sehen, die ich sammelte. Das war auch eine honorige Art, sie zu unterstützen. Ich habe auch immer Leute zu ihr gebracht, damit die ihre Zeichnungen sehen. Und wir haben immer weiter über ihre Arbeiten gesprochen. Das mochte sie sehr. In den 40 Jahren, in denen wir nicht mehr zusammen waren, ist so eine umfangreiche Sammlung entstanden.
Sie beide sind ja bald von Konstanz nach Berlin gezogen. Wie kam das?
Ich wollte eigentlich nach New York. Mit Tabea. Dann rief mich Wolf Vostell an, den ich in Konstanz ausgestellt hatte. Er fragte, ob ich sein Happening „Berlinfieber“ dokumentieren wolle. Während der Dreharbeiten im Herbst 1973 habe ich drei Wochen lang bei den Vostells gewohnt, bin durch die Stadt gegangen und war völlig fasziniert. Ich habe mich dann spontan entschlossen, nach Berlin zu ziehen.

Seit ihrer Kindheit ist Ottinger von außereuropäischen Gesellschaften fasziniert. Sie drehte Dokumentarfilme über asiatische Länder, darunter „China – die Künste – der Alltag“ und die achteinhalbstündige Produktion „Taiga“. Ihr letzter Film „Paris Calligrammes“ aus dem Jahr 2020 beschäftigt sich mit ihrer Zeit in Paris, wo sie von 1962 bis 1968 lebte und arbeitete. 2020 wurde sie mit der Berlinale-Kamera für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Was hat Sie denn so fasziniert?
Das kann ich Ihnen genau sagen. In Berlin hat man die deutsche Geschichte gesehen. Nicht nur durch die Häuser, an denen häufig noch Brandspuren waren, durch die Straßen und die Ruinen, in denen es kleine Cafés und Biergärten gab, die Gegend am Gleisdreieck. Durch die zerstörten Industriebauten. Aber auch die Menschen sahen anders aus. Das war etwas, das ich in Deutschland nicht vermutet hätte. Wenn man Filme macht, sucht man ja nach Orten, die etwas erzählen. Ich dachte dann, dass es viel interessanter sei, nach Berlin zu kommen statt nach New York. Zurück in Konstanz habe ich Tabea gefragt, ob ihr das Spaß machen würde, nach Berlin zu ziehen. Die Kunstakademie dort sei ja auch viel besser als die in Konstanz. Als wir dann hier waren, hat sie sich bei Hödicke an der Hochschule der Künste vorgestellt. Sie hat sich dafür natürlich sehr toll angezogen. Später erzählte sie, alle Studenten hätten sie angestarrt. Damals ging man in Berlin ja eher schlampig. Die Studenten hätten sich auf einen großen Tisch gesetzt, immer mehr seien gekommen, bis der Tisch zusammenbrach und alle durcheinanderfielen. Sie scheint da einiges ausgelöst zu haben. Und sie ist nie wieder dort hingegangen.

Wo haben Sie denn in Berlin gewohnt?
In der Erdmannstraße in Schöneberg, wir hatten dort die Beletage. Wir haben Abende mit großen Essen und Performances veranstaltet. Im Berliner Zimmer stand bei uns ein großer Ateliertisch, der auch unsere Bühne war. Auf ihm haben wir für die Filme ständig etwas ausprobiert. Mit allem, was wir gerade zur Verfügung hatten, wurde drapiert und fotografiert. Das fing abends an und endete manchmal erst, wenn es wieder hell wurde. Nacht-Sessions haben wir das genannt. Es gab unzählige davon. Damals gab es in Berlin im Großhandel für Schneiderbedarf riesige Depots mit Stoffen oder Perlenaufsätzen aus den 20er-Jahren, Gürteln, Stickereien für Taschen, Kragen, lauter kostbaren Dingen, für die es keine Käufer mehr gab.
Sie meinen, das waren Überbleibsel der Berliner Textilindustrie von vor dem Krieg?
Genau. Es gab Federgestecke, die man früher an Hüten oder Kragen trug, Pelzfutter, und alles für nichts. In dem grauen Berlin hat niemand so etwas gekauft. Ich bin mit riesigen Paketen nach Hause gekommen. Kostüme sollten bei mir Architektur sein. Ich konnte drapieren, und Tabea konnte nähen und zwar fantastisch. So wie ihre Mutter. Tabea kommt aus einer Familie von Banater Schwaben. Sie hatten viele Fähigkeiten und haben fast alles selber gemacht. Ihre Mutter hat uns sogar manchmal beim Nähen geholfen.
Tabea Blumenschein ist dann in Berlin in weiteren Ihrer Filme aufgetreten.
Ja, auch wenn sie keine Schauspielerin im üblichen Sinn war. Ich konnte sie nicht sprechen lassen, weil sie einen sehr starken Dialekt hatte. Man muss als Regisseur die Fähigkeiten eines Menschen erkennen und mit dem wuchern, was da ist. Sie war eine ungewöhnlich schöne Frau, eine Erscheinung, sie hatte eine unglaubliche Präsenz. Und ich fand diese Stummfilmsituation interessant. In „Bildnis einer Trinkerin“ etwa war ihr Stummsein ein weiteres Element der Entfremdung und der Einsamkeit.

Ihre ersten Filme kannte nur ein kleinerer Kreis, aber „Madame X“ aus dem Jahr 1977 über eine lesbische Piratinnengruppe mit Tabea Blumenschein in der Hauptrolle lief zur Hauptsendezeit im ZDF. Das kann man sich heute gar nicht vorstellen.
Damals gab es zwei, maximal drei Programme, und die halbe Nation hat diesen Film gesehen. Er hat wirklich Furore gemacht. Manche haben sich empört, wie man so etwas zeigen kann, andere sagten: endlich. Auch aus anderen Städten und Dörfern sind junge Leute aufgebrochen, um nach Berlin zu kommen und uns zu treffen.
Haben die sich dann vor Ihr Haus gestellt?
Ja. Die Erdmannstraße war voller Menschen. Oder sie kamen auf uns zu, wenn wir abends in ein Lokal gingen. Ich hatte nicht im Traum mit einer solchen Reaktion gerechnet.
Wo sind Sie denn in Berlin ausgegangen?
In die Paris Bar, in das Ax Bax, später ins Exil, und natürlich auch in die Frauenclubs, ins Andere Ufer. Und zum Tanzen in die Disco, ins Metropol zum Beispiel. Wir waren ein Hingucker. Wenn wir nachts ausgingen, wurde vorher inszeniert, kostümiert. Wir haben früh Claudia Skoda kennengelernt. Ich habe auf ihren ersten Modenschauen fotografiert, und Tabea hat ganz interessante Pullis entworfen und in rasender Geschwindigkeit gestrickt. Die hat sie teilweise selbst vorgeführt. Martin Kippenberger war viel bei uns, er kam fast immer zum Abendessen. Das war dann schon 1978. Um die Ecke wohnten dann ja auch Iggy Pop und David Bowie. Die kamen ebenfalls vorbei. David Bowie kam mit der Idee, dass ich ein Plattencover für ihn mache.
Sie haben nun Ihre Sammlung der Zeichnungen von Tabea Blumenschein der Berlinischen Galerie geschenkt. Hatten Sie das so verabredet?



