„Ich könnte dich mit einem Fingerschnippen aus meinem Leben löschen.“ Das sagt die 25 Jahre alte Freddie zu ihrem Freund, sie sitzen auf der Rückbank eines Taxis. Draußen zieht das nächtliche Seoul vorbei. Was für ein Satz. Der Freund hat sie nach Korea begleitet, er ist ihr zur Seite gestanden, als sie dort ihre leibliche Familie getroffen hat, sie kommen vom Abendessen mit dem Vater, den Halbgeschwistern. Der Freund hat diesen Satz nicht verdient. Jetzt ist er starr vor Entsetzen, sprachlos.
Der Satz scheint aus dem Nichts zu kommen, aber eigentlich ist er ein Blick in den Abgrund eines Menschen, für den alles irgendwie zufällig ist. Denn Freddies Leben hätte auch ganz anders verlaufen können. Frédérique Benoit ist eines der Hunderttausenden koreanischen Kinder, die von Familien im Westen adoptiert worden sind, zu einer Zeit, als Südkorea noch das Land armer Bauern war. Oder armer Fischer, so wie Freddies Vater einer war. Für sie gibt es keine Sicherheit, keine Verbindlichkeit und sie gewährt auch keine, kann sie nicht gewähren. Der ursprüngliche Titel des Films lautet übersetzt „All die Menschen, die ich nie sein werde“. Hier schwingt mit, welche erschreckende biografische Beliebigkeit eine Adoption mit sich bringt.
Von Freddies Leben im ländlichen Frankreich erfährt man nicht viel. Außer, dass sie ein von den Adoptiveltern geliebtes Kind war, das Klavierstunden bekam, dem es an nichts fehlte. Doch man stellt sie sich auf dem Hof ihrer Schule in der kleinen Stadt vor, auf dem niemand so aussieht wie sie.
„Return to Seoul“: Eine fast rein europäische Produktion mit fast rein asiatischer Besetzung
„Return to Seoul“ heißt der Film des 39 Jahre alten französischen Regisseurs Davy Chou, „Die Rückkehr“ ist der deutsche Titel. Es ist eine fast rein europäische Produktion mit fast rein asiatischer Besetzung. Das ist eine Besonderheit. Und ein Wagnis. Wenn auch in der Originalfassung sehr viel französisch gesprochen wird.
Davy Chou ist in Frankreich geboren, sein Großvater Chan Vann war einer der wichtigsten Filmproduzenten Kambodschas in den 60er-Jahren, dem goldenen Zeitalter des kambodschanischen Films. In seinem bisherigen Filmschaffen hat sich Chou dem Land seiner Vorfahren gewidmet, sein letzter Film „Diamond Island“ aus dem Jahr 2016, der zugleich sein erster Spielfilm war, handelt von einem jungen Bauarbeiter auf eben diesem Diamond Island vor Phnom Penh, wo Vergnügungsstätten für reiche Kambodschaner entstanden sind.
Davy Chou hat damals mit Laienschauspielern gearbeitet, er tut es auch jetzt wieder. Seine Protagonistin Freddie heißt Park Ji-min, sie ist bildende Künstlerin und stand für den Film zum ersten Mal vor einer Kamera. Es ist ihr eine Dünnhäutigkeit zu eigen, für die sie keine Worte braucht, und die sie zu einer Idealbesetzung macht.
Davy Chou streift in „Return to Seoul“ alle Dilemmata einer Auslandsadoption
Davy Chou, der auch das Drehbuch geschrieben hat, streift alle Dilemmata einer Auslandsadoption. Freddie kommt in das Land, in dem alle so aussehen wie sie selbst, aber sie versteht die Sprache nicht. Sie erfährt erst mit 25 Jahren, welchen Namen ihr die Eltern gegeben haben, Yeon-hee. Sie erfährt, dass die Frau auf dem einzigen Babyfoto, das sie besitzt – es stammt aus ihrer Adoptionsakte – gar nicht ihre Mutter ist, wie sie all die Jahre annahm, sondern eine Kinderkrankenschwester aus der Adoptionsagentur, in der sie als Kind eine Zeit lang verbracht hat. Man könnte sagen, dass die Suche nach den Wurzeln im Land ihrer biologischen Eltern keine Gewissheiten bringt, sondern weitere Verunsicherung. Sie hätten das Beste für sie gewollt, sagt Freddies leibliche Großmutter bei der ersten Begegnung mit der fremden Enkelin. Wie kann man sich so irren.
Man kann „Return to Seoul“ als einen Film lesen, der sich mit den Problemen einer Adoption auseinandersetzt, aber er ist weit mehr als das. Davy Chou hat die Charakterstudie einer Frau angefertigt, die keinen Halt im Leben hat und deshalb ins Risiko stürzt, so als sei sie sich dessen gar nicht bewusst. Es ist faszinierend, ihr bei dieser schmerzhaften Suche nach Identität zuzusehen, die vergeblich scheint, aber was weiß man schon. Davy Chou psychologisiert nicht, in seinem Film wird oft geschwiegen. Und manchmal übernimmt die Musik die Kommunikation.
Ästhetisch ist dieser von Melancholie getränkte, auch stille und langsame Film mit seinen aufgeladenen Alltagsbildern höchst befriedigend. Er will den Zuschauer nicht überwältigen, aber er geht einem nicht mehr aus dem Kopf.


