Wenn vom großen Gefühlskino die Rede ist, denkt man meistens an Liebesgeschichten. Dabei endet einer der bekanntesten dieser Liebesfilme mit dem berühmten Satz: „Ich glaube, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“. Hier, am Ende von „Casablanca“, zeigte Hollywood sein wahres Gesicht: Ein Kuss am Ende ist eine feine Sache, doch wer weiß schon, wie es dann weitergeht? Eine echte Männerfreundschaft dagegen, wie, sagen wir, die von Laurel und Hardy, ist doch etwas ganz anderes, oder?
Colin Farrell und Brendan Gleeson spielen in „The Banshees of Inisherin“ ein solches Freundespaar. Das glauben wir ihnen gern sobald wir sie sehen, denn der britische Bühnen- und Filmautor Martin McDonagh „paarte“ sie (das sagt man in der Filmbranche wirklich) schon einmal unvergesslich – als Gangsterduo in der Tragikomödie „Brügge sehen … und sterben?“. Da sollte der eine den anderen umbringen und brachte es kaum übers Herz.
Finger ab bei Belästigung
Was wäre, wenn Hardy eines Tages zu Laurel gesagt hätte: „Ich will dich nicht mehr sehen?“ Und Laurel geantwortet hätte: „Aber warum denn? Habe ich vielleicht aus Versehen, als ich betrunken war, etwas Dummes zu dir gesagt? Ich glaube ja nicht, aber wenn, dann täte es mir wirklich leid“? Und Hardy nur erwidert hätte: „Nein, hast du nicht. Ich mag dich einfach nicht mehr“?
Genau das sagt – auf der malerischen, wenn auch fiktiven irischen Insel Inisherin – der von Gleeson gespielte Colm Doherty gleich am Anfang des Films zu seinem bis dahin engsten Freund Pádraic Súilleabháin. Farrell, der die erstaunliche Gabe hat, seine schwarzen Augenbrauen auf der Stirn in einem fast spitzen Winkel zu positionieren, tut genau das. Wie auch noch einige weitere Male im Laufe dieser ungewöhnlichen Trennungsgeschichte. Manche Dinge lassen sich einfach nicht in einer gutmütigen (wenn auch etwas treudoofen) Seele wie der dieses Pádraic Sùillebháin unterbringen. Tatsächlich gibt der etwas bärbeißige Folk-Musiker Colm auf Nachfrage genau diese Einfältigkeit als Trennungsgrund an. Abgesehen davon, dass er seine Zeit nicht mehr sinnlos vertun wolle. Er sei nicht mehr der Jüngste und würde die ihm verbliebenen Jahre lieber dem Komponieren widmen, um der Nachwelt etwas zu hinterlassen.
Das ist schon eine radikale Aussage in einem Kuhdorf, das außer seinem Pub, in dem die beiden wohl schon Jahre ihres Lebens zusammen verbracht haben, wenig zu bieten hat. Für den Verstoßenen macht es das nicht einfacher. Immer wieder fühlt er seinem ehemaligen Kumpel auf den Zahn, bis dieser zu einer handfesten Drohung greift: Bei der nächsten Belästigung werde er sich zur Bekräftigung einen seiner Geigenfinger der linken Hand abschneiden. Als Pádraic ihn kurz darauf mit einer Entschuldigung belästigt, wirft ihm Colm den ersten Finger an die Haustür.
Eine Insel im Bürgerkrieg
Es ist erstaunlich, dass sich ein so einfacher Konflikt wie der einer anlasslos aufgekündigten Freundschaft über eine Spielfilmlänge von zwei Stunden in so kraftvolle dramatische Steigerungen entwickeln lässt. Tatsächlich aber fällt einem beim besten Willen kein Film ein, der schon einmal etwas Ähnliches erzählt hätte. McDonagh erwähnte den Titel vor Jahren in einem Interview als eines von sieben Theaterstücken, die er allein im Jahr 1994 geschrieben habe. Alle seien auch aufgeführt worden, bis auf – wegen mangelnder Qualität - „The Banshees of Inisherin“. Tatsächlich sind es filmische Elemente, die das tragikomische Drama erst komplettieren.
Zunächst einmal sind es die Landschaften und das dörfliche Ambiente der Drehorte auf den Inseln Árainn und Acaill vor der irischen Westküste, zurückversetzt in die Spielzeit 1923. Wo auf der Welt könnten Männerfreundschaften noch heiliger sein und erst recht die Finger eines Fiedlers irischer Folklore? Gerade weil sich zur selben Zeit Landsleute einen blutigen Bürgerkrieg liefern.
Aber auch der absurd-anarchische und schließlich blutige Verlauf dieses Trennungsdramas hat viel mit dem Kino zu tun. Vielleicht wirklich auch mit dem von „Dick und Doof“: Niemand sonst drückte Gefühle physischer aus als die beiden Komiker, besonders wenn sie sich in absurde Vergeltungs-Kaskaden etwa mit einem Nachbarn stürzten. McDonagh macht etwas Geniales: Er nimmt ein solches, in seinem Temperament durch gemeinsame Lebenserfahrungen mental scheinbar synchronisiertes Gespann, und versetzt ihm einen Bruch aus heiterem Himmel. Es wäre nicht das erste Mal, dass sich männliche Trauer in Aggression artikulierte.
Was mag Little John für Robin Hood empfunden haben?
Für gewöhnlich sammeln Menschen eine gewisse Menge an Trennungserfahrungen im Laufe ihres Beziehungslebens. Pádraic hingegen scheint so etwas nie gesucht zu haben; er lebt mit seiner Schwester zusammen und widmet sich hingebungsvoll der Landwirtschaft und Käseherstellung. Seine Liebe gehört der Eselin Jenny, die tragischerweise und völlig unverschuldet den Trennungsstreit der Männer mit dem Leben bezahlt: Sie frisst einen von Colms abgeschnittenen Fingern und stirbt daran – was in Pádraic einen zerstörerischen Rachegeist entfesselt.
Die von Kerry Condon gespielte Schwester, Siobhán, bringt dabei einen eigenen, lebensvollen Realismus in die dramatische Konstruktion. Auch hierin mag man eine filmische Referenz erkennen. Spätestens seit John Fords Irland-Klassiker „The Quiet Man“ war Irland in Hollywood auch eine Insel unabhängiger Frauenfiguren. Ihre Initiative, der Provinz den Rücken zu kehren, hat indes auf ihren Bruder keine Wirkung.
Das zwischenzeitlich scheinbar versöhnliche Momente einen Frieden des getrennten Freundespaares suggerieren, macht die Situation für den Verstoßenen nur noch schlimmer. Einmal lädt ihn Colm zu sich nach Hause ein, um ihm seine erste Komposition vorzuspielen, „The Banshees of Inisherin“. Aber kann man das ertragen? Nicht mehr Freund sein dürfen, aber dafür Publikum?
Indem McDonagh eine asexuelle, offenbar disproportionale Männerliebe gleichsam ex-negativo definiert, durch den Trennungsschmerz des Verlassenen, schafft er auch Subtexten der Kulturgeschichte eine Bühne: Was mag Little John für Robin Hood, was Sancho Panza für Don Quijote empfunden haben? Man weiß es nicht, denn sie wurden nie verstoßen.
Nachzudenken also gibt es viel in diesem Film, nur ist man vermutlich zu gut unterhalten, um es zu tun: Man bestaunt die Fotografie von Ben Davis und Carter Burwells Musik, aber dies ist ja auch nicht die Sorte Film, die vorbei ist, wenn das Licht angeht. Wie „Brügge sehen … und sterben?“ ist er schon im Neuzustand ein Klassiker.


