Das Eis an den Polen schmilzt, dadurch steigt der Meeresspiegel. Die Folgen für die Welt sind noch gar nicht richtig absehbar. Der Regisseur Lars Ostenfeld begleitet für seinen Dokumentarfilm „Into the Ice“, der am 15. September ins Kino kommt, führende Gletscherforscher, die herausfinden wollen, was der Zustand des Eises über die Zukunft der Erde sagt. Manche riskieren dabei ihr Leben. Andreas Frege alias Campino, der Frontmann der Toten Hosen, fungiert in diesem Film als Erzähler. Warum er das tut, erklärt er in diesem Gespräch.
Sie haben eine sehr schöne Stimme.
Das Gespräch geht ja richtig gut los.
Wenn Sie singen, merkt man das gar nicht so.
Na großartig! Sich selbst sprechen oder singen zu hören, ist aber tatsächlich irritierend. Ich gehöre nicht zu den Menschen, die ihre Stimme gern hören.
Warum haben Sie dann als Erzähler für diesen Film fungiert?
Ich habe den Rohschnitt gesehen und dann keine Sekunde darüber nachgedacht, sondern direkt zugesagt. Die Produktion hofft, dass durch meinen Namen ein bisschen mehr Aufmerksamkeit auf das Thema gelenkt wird. Wenn das mein kleiner Beitrag sein kann, leiste ich ihn gerne.
Der Film entlässt einen mit einem ganz schön mulmigen Gefühl, oder?
Auf jeden Fall. Aber ich finde, dem sollten wir uns hin und wieder aussetzen. Der Mensch ist so konstruiert, dass er perfekte Verdrängungsmechanismen hat. Wir reden alle schon sehr lange über den Klimawandel und gewöhnen uns anscheinend auch an die größten Katastrophen. Abends sehen wir schockierende Bilder im Fernsehen, am nächsten Tag wachen wir auf, fahren zur Arbeit und alles scheint wie immer. So stumpfen wir ab, hören nicht mehr richtig zu. Da sind Filme wie dieser eine kleine Ohrfeige, ein Wachrütteln. Sie erinnern uns daran, dass das Problem immer noch da ist und rasant wächst.
Dieser Sommer war eigentlich auch eine Ohrfeige.
Natürlich. Er ist ein absolutes Indiz dafür, dass wir nicht so weitermachen können wie bisher. Aber ich will mich hier auch nicht als großer Ritter des Umweltschutzes aufspielen. Ich weiß am allerbesten, dass wir alle mit Inkonsequenz durchs Leben gehen. Das wäre auch gar nicht anders machbar.
In welcher Hinsicht sind Sie denn inkonsequent?
Ich habe als fanatischer Fußballfan die Schwäche, mein Lieblingsteam möglichst oft vor Ort spielen sehen zu wollen. Und das ist leider in England. Liverpool. Natürlich ist das klimatechnisch höchst fragwürdig, auch wenn ich jedes Mal meine Flug-Kompensationskosten verdopple. Aber ich bin noch nicht so weit, mir das nur im Fernsehen anzugucken.

Essen Sie noch Fleisch?
Deutlich weniger. Ich kann mich wochenlang vegetarisch ernähren, ohne dass ich das registriere. Für mich hat Fleischkonsum keine hohe Bedeutung. Ich weiß, dass da ein paar Nährstoffe drin sind, die mir manchmal guttun, aber ich kann auch den Preis für Fleisch aus dem Bioladen bezahlen. Ich finde es vermessen, dasselbe von Menschen zu verlangen, die ein geringeres Einkommen haben und auch mal ein Stück Fleisch essen wollen. Ich bin jedoch der festen Überzeugung, dass die Veränderung von Dingen, die uns nicht wehtun, schon mal ein Riesenschritt wäre. Unerträglich ist Gedankenfaulheit. Diese Trägheit, sich nicht mit Mülltrennung auseinanderzusetzen. Oder den Wasserhahn laufen zu lassen, wenn man kurz aus dem Badezimmer geht.
Aber diese kleinen Dinge reichen doch nicht mehr.
Sie reichen nicht, aber trotzdem wäre es gut, wenn das jeder einhalten würde. Aber klar: Ich spreche jetzt zu Ihnen in einem Land, das einen Verkehrsminister hat, der sich gegen das Tempolimit 130 stellt. Trotz des Klimawandels und trotz des Kriegs in der Ukraine.
Sie sind für das Tempolimit?
Natürlich! Wer kann denn im Ernst dagegen sein? Es gibt vielleicht Leute, die davon nicht begeistert wären, aber ich verspreche, man würde keine Demonstration dagegen zustande kriegen. Wenn die Leute jetzt nicht das Einsehen haben, in einer Situation, in der wir alle um Ressourcen kämpfen, nicht mehr nur aus umweltpolitischen Gründen, sondern weil es um unsere Lebensqualität im Winter geht – dann weiß ich auch nicht mehr weiter.
In den 1980er-Jahren dachte ich, ich will in diese Welt keine Kinder setzen, irgendwann habe ich es dann doch gemacht. Aber in diesem heißen Sommer ist mir der Satz wieder in den Sinn gekommen.
Das ist schon ein sehr drastischer Gedanke. Jeder, der auf die Erde kommt, ist zwar eine Belastung für die Umwelt, egal wie sehr wir versuchen, unseren Impact zu minimieren. Aber es wäre meiner Meinung nach vermessen zu sagen, dass man keine Kinder mehr bekommen möchte, weil man damit den Planeten zerstört.
Ich dachte weniger an die Belastung für die Erde, sondern an das, was den Kindern zugemutet wird, welche Zukunft sie vor sich haben.
Es ist eine hochkomplexe Frage zu beurteilen, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Da sind wir ganz schnell in einer moralisch-philosophischen Wertediskussion. Aus so einer moralischen Überlegung heraus zu entscheiden, ob man Kinder kriegt oder nicht, halte ich für schwierig.
Aber die haben schon eine ganz andere Jugend als wir, oder?
Ja, das war aber schon immer so. Und ob wir wollen oder nicht: Eine Generation wird die letzte sein. Aber ich sehe das noch nicht ganz so schwarz. Viele aus unserer Generation, wenn auch nicht die Mehrheit, bemühen sich ja, die Entwicklung aufzuhalten. Allerdings brauchen wir die jungen Menschen, um die Sache langfristig voranzutreiben. Zum Glück gibt es Bewegungen wie Fridays for Future. Frustrierenderweise haben wir in derselben Altersgruppe aber auch eine Horde von Idioten, die durch die edelsten Kaufhäuser laufen, nach irgendwelchen Produkten zu jagen, nur weil gewisse Influencer mitgeteilt haben, dass es ohne diese „Superitems“ nicht geht. Wir leben in einer Welt der Gegensätze und können nur der Seite den Rücken stärken, die wir für richtig halten.
Wenn Sie jung wären, würden Sie sich an ein Cranach-Gemälde kleben, wie es zwei Umweltaktivisten kürzlich in der Berliner Gemäldegalerie gemacht haben?
Ich verstehe die Argumentation, die besagt: Wenn ich das nicht tue, hört mir keiner zu. Das ist manchmal vielleicht überzogen, aber grundsätzlich möchte ich das nicht verdammen, auch wenn ich mich frage, warum dafür ein Kunstwerk in Mitleidenschaft gezogen wird. Beschädigen sollte man das nicht.
Im Film sprechen Sie den Satz: „Die Temperatur und der Meeresspiegel werden schon zu Lebzeiten unserer Kinder immer noch schneller ansteigen, bis die Welt möglicherweise nicht mehr wiederzuerkennen ist.“ Haben Sie noch Hoffnung?
Ich kann auch sehr gut zynisch werden und sagen: Wie vermessen ist diese Menschheit eigentlich, dass sie sich für so edel hält, dass sie sich unbedingt erhalten muss. Für die Erde wäre es wahrscheinlich am besten, wir verschwänden so schnell wie möglich. Denn wir beurteilen die Lage immer nur nach unserem Wertesystem, wenn wir sie verändern oder vermeintlich verbessern wollen. Durch unsere Handlungen lösen wir Kettenreaktionen aus, die wir nicht zu Ende gedacht haben. Als Spezies haben wir die Welt nicht wirklich nach vorne gebracht. Diese Erkenntnis ist so frustrierend, dass man sich daraus auch wieder befreien muss. Meine Empfehlung ist, möglichst wenig zu diesen rasanten Entwicklungen beizutragen – dann kann ich abends mit einem besseren Gewissen einschlafen. Was die Politik daraus macht, steht auf einem anderen Blatt. Jeder Einzelne von uns muss der Antrieb sein.
Die Toten Hosen haben kürzlich in Berlin gespielt, und das war ein Kreislauf-Konzert. Was ist das?
Jede Großveranstaltung ist in ökologischer Hinsicht eine Herausforderung. Wir haben uns gefragt, wie man den Schaden minimieren, was man anders machen kann. Dieses Konzert wurde hundertprozentig mit Ökostrom betrieben, das ist in Berlin eine Premiere. Außerdem gibt es zum Beispiel die Möglichkeit, die Fäkalien zu kompostieren, sie zu Humus zu verarbeiten. Wir haben auf dem Festivalplatz auch das Essensangebot umgestellt, das Verhältnis Fleisch–Vegetarisch ist bei uns 30 zu 70. Allein das hat immense Wassereinsparungen gebracht. Das geht beim Merchandising weiter: Unsere T-Shirts sind kompostierbar. Und wir bewegen uns vor allem mit der Bahn fort.
Sie sprachen auf der Bühne von einer Einsparung von Wasser von 50 Prozent im Vergleich zu einem normalen Konzert.


