Kino

Der Film „Wer wir waren“ fragt nach der Zukunft der Erde

Marc Bauder geht es in seinem von Roger Willemsen inspirierten filmischen Essay um die Kooperationsfähigkeit des Menschen als vielleicht letzte Rettung.

Szene aus Marc Bauders Filmessay „Wer wir waren“<br><br><br>
Szene aus Marc Bauders Filmessay „Wer wir waren“


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Der Wind zerrt an dürren Bäumen, die Hitze flirrt über Ufergewässern. Felwine Sarr, Ökonom, Autor und Philosoph, geht mit Begleitern an der senegalesischen Küste entlang. Innerhalb von drei Jahren verschlang das Meer hier zwanzig Meter Land, die vorgelagerten Inseln drohen zu verschwinden. Folgen der Klimaveränderung, deren Hauptverursacher Tausende von Kilometern entfernt leben? Afrikas Anteil an der weltweiten Emission von Treibhausgasen, sagt Sarr, betrage nur vier Prozent. Beim Weitergehen teilt er die Welt in ein „wir“ und ein „sie“. „Sie“ – das sind die Industrienationen, China und USA inbegriffen. „Wir“, das ist der afrikanische Kontinent. „Sie können so nicht weitermachen“, sagt er. „In diesem Jahrhundert wird sich alles ändern. Wenn sie sich nicht ändern wollen, ändert sich die Welt ohne sie.“ Aber Sarr geht es nicht um eine Umkehrung der Machtverhältnisse, sondern um die Frage: „Wie schaffen wir ein ‚Wir‘ mit Menschen, die das nicht wollen?“

Die Begegnung zwischen dem Filmteam aus Europa und Felwine Sarr ist eine der eindringlichsten Episoden aus Marc Bauders filmischem Essay „Wer wir waren“. Die Verbindung aus Ortsbesichtigung und dem allmählichen Verfertigen von Gedanken erweist sich durchweg als Mittel gegen apodiktisches Pathos, selbst in Fukushima. Die Technik-Philosophin Janina Loh bewegt sich in Schutzmontur durch eine Schule, die Kinderrucksäcke liegen noch auf dem Boden. Fast psalmodierend wiederholt Loh das Wort „erbärmlich“. Gemeint sind diejenigen, die sie zu den Hauptverantwortlichen der Katastrophe zählt. „Leute, die andere Interessen haben, sie haben gar kein Interesse an den Leuten hier.“ Ist es das, dieser Egoismus, der laut dem Mönch und Molekularbiologen Matthieu Ricard, nur „Lose-to-lose-Situationen“ hervorbringt? In einem buddhistischen Kloster erläutert er dem Ökonomen Dennis Snower, wie sich Hirnstrukturen durch Meditation verändern lassen. Ein Mittel gegen die Gier nach zerstörerischem Konsumverhalten?

Bauder, das zeichnet sich ab, geht es in seinem Film um das Voneinanderlernen, um die Kooperationsfähigkeit des Menschen als vielleicht letzte Rettung. Roger Willemsens Sätze aber intervenieren wie dunkle Akkorde.  „Ja, wir wussten viel und fühlten wenig“, schrieb er in einem seiner letzten Texte, seiner „Zukunftsrede“ vom Sommer 2015. Nach seinem Tod im Februar 2016 erschien sie unter dem Titel „Wer wir waren“, eine Betrachtung der Gegenwart des Menschen und des Zustands der Erde aus einer fiktiven Zukunft heraus. Die von Manfred Zapatka gesprochenen Textpassagen schaffen Atempausen, offenbaren aber auch Willemsens tiefe Melancholie und Dünnhäutigkeit. Die Bedrohung der Erde durch den Menschen quälte ihn. Nach Tschernobyl, Ende April 1986, damals Dozent an der Universität in München, weigerte er sich, die Routinen des Lehrbetriebs beizubehalten. Es war ihm ernst. Bauder nähert sich diesem Vermächtnis sorgsam und eigenständig zugleich. Man sollte sich mit ihm auf diese Reise begeben.