Der Reichsbahner Friedrich Wilhelm Georg Platow hat sich gerade zwanzig Jahre jünger gemacht. Er schlägt Räder, macht Klimmzüge, läuft im Kreis. Weil das Streckennetz elektrifiziert wird, fällt seine Planstelle als Schrankenwärter weg. Die Betriebsleitung will ihn altersbedingt aufs Abstellgleis schieben, dagegen wehrt er sich. Um an einem sechswöchigen Weiterbildungskurs teilnehmen zu können, nimmt er die Identität des eigenen Sohns an. Der Rollentausch gelingt, bringt aber jede Menge Verwicklungen mit sich.
Regisseur Siegfried Kühn drehte „Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow“ 1972, mitten im „kleinen Tauwetter“ nach der Machtübernahme durch Erich Honecker. Der neue SED-Chef wollte liberal erscheinen und ließ in der Kultur nun manches durchgehen, was unter Ulbricht keine Chance gehabt hätte. Dies erklärt die Existenz dieses ungewöhnlichen Defa-Films. Hier wurden neue Saiten angeschlagen, es wurde – wie schon kurz vorher bei Heiner Carows „Die Legende von Paul und Paula“ – ästhetisch und inhaltlich nach neuen Wegen gesucht.
Für Siegfried Kühn waren die Experimente nach dem Film vorbei
Mit ironischen Zwischenüberschriften versehen, sprunghaft-episodisch erzählt und unbekümmert zwischen Schwarzweiß und Farbe wechselnd, kommt dieser Film als augenzwinkernd-realsozialistische Moritat einher. Auf Handlungslogik wird wenig, auf Überraschungsmomente viel Wert gelegt. Der über 60 Jahre gezogene Rahmen setzt gekonnt Lücken, wechselt spielerisch die Milieus und lässt immer wieder Assoziationen aufblitzen. Diese collagenhafte Struktur spiegelt sich auch in szenischen Details, etwa wenn in einer spießigen HO-Gaststätte plötzlich auf engstem Raum die Puhdys auftreten – damals noch in ihrer Prog-Rock-Phase – und die Gäste in ekstatische Verrenkungen verfallen. So erweist sich der „Platow“-Film als eine Art Wundertüte, an der nicht nur Eisenbahn-Fans ihr Vergnügen haben werden, aber die natürlich auch.
Neben der für die sonst weitgehend bräsige Defa untypischen Verve wartet der Film mit einem weiteren Trumpf auf: seiner Besetzung. In Nebenrollen sehen wir u.a. Carmen Maja Antoni, Fred Delmare, Eberhard Esche, Hermann Beyer, Klaus Piontek, Gudrun Ritter, Rolf Hoppe oder Jürgen Holtz. Über allen thront Fritz Marquardt in der Titelrolle. Der Theaterregisseur und wackere Heiner-Müller-Kombattant wurde nur selten fürs Kino besetzt, seine Präsenz ist immens, sie füllt den kaum „realistischen“ Plot mit Leben und damit Glaubwürdigkeit.
„Platow“ könnte als Fingerübung gesehen werden, als ein Ausprobieren von Mitteln, eben als ein Beginn. Doch allzu bald bekamen die Honecker-Kulturfunktionäre wieder Angst. Sie setzten Drehbuchautor Helmut Baierl (alias IM „Flinz“) unter Druck, sich von dem Film zu distanzieren, verzögerten die Premiere, ließen diese dann ganz ausfallen. Auf die Leinwand schaffte es „Platow“ nur in wenigen Studio-Kinos. Für Regisseur Siegfried Kühn waren die Experimente vorbei. „Ich konnte diese Entwicklung in keinem anderen Film wiederholen oder fortsetzen“, erinnerte er sich 30 Jahre später.


