Politik

Ken Follett im Interview: „Ich will keine Medaillen. Ich will Millionen!“

Ken Follett, 68, mag große Zahlen. Sein neuer Roman „Fundament der Ewigkeit“ hat wieder mehr als 1000 Seiten und soll Millionen verkaufen – so wie schon die beiden anderen Kingsbridge-Romane. Nach „Die Säulen der Erde“ und „Die Tore der Welt“ kehrt Follett also zurück in diese von ihm erfundene Stadt. Wie gewohnt verwebt er Fiktion und Geschichte. Zum Interview lädt er nach Schottland, in einen kleinen Ort am Loch Leven, auf dessen Insel Mary Stuart 1567 in einer Burg gefangen gehalten wurde. Im Gespräch erklärt er, warum er Orte wie diesen besucht, was seine Bücher so erfolgreich macht und warum Margret Thatcher sich überraschend gut aufs Flirten verstand.

Mr. Follett, vor uns liegt Ihr neues Buch, über 1 000 Seiten dick und mit mehreren Dutzend Schlüsselfiguren. Wie fangen Sie an, ein solches Werk zu schreiben?

Mit einem einzigen Satz, nämlich einer zentralen Ausgangsposition, die mich interessiert.

Wie lautete der Satz in diesem Fall?

Es gab so viele Leute, die Königin Elisabeth I. umbringen wollten, dass diese sich zu ihrem Schutz ein Netzwerk an Spionen aufbauen ließ, eine Art Frühform des Secret Service. Das ist der Satz. Na ja, und danach wurde es persönlich.

Das heißt?

Ich habe mich gefragt: Was für Menschen haben als Agenten für die Königin gearbeitet? Es gab ja damals noch keine Spionageschule, also wird der englische Hof ein paar kluge und unauffällige Leute aus den Städten an den Königssitz geholt haben. Jemanden wie meinen Helden, Ned Willard aus Kingsbridge. Sehen Sie, und schon sind wir dem Roman ein gutes Stück näher gekommen. Es steckt schon eine Menge Arbeit dahinter, aus einem einzigen Satz ein derart dickes Buch zu machen, aber glauben Sie mir: Es ist kein Hexenwerk.

Alle Figuren aus Kingsbridge sind fiktiv wie diese Stadt, treffen im Buch aber auf historische Personen wie eben Königin Elisabeth. Worauf kommt es an, damit da nichts durcheinandergeht?

Wissen Sie, es gibt ein paar Regeln, die ich penibel beachten muss. Zum Beispiel dürfen die Persönlichkeiten, die es wirklich gegeben hat, nur das erleben, was sie auch wirklich erlebt haben. Ich kann etwa Elisabeth nicht einfach einen weiteren Liebhaber von Bedeutung andichten, dann würde das gesamte Konstrukt wackeln. Dennoch können meine fiktiven Figuren wichtige Aufgaben übernehmen und Rollen spielen. Nur eben nicht in exponierter Stellung. Ich darf Ned Willard daher nicht zum Chef des Secret Service machen, denn wir wissen, dass dieser Mann Francis Walsingham hieß. Aber ein Mitarbeiter unter Walsingham darf mein erfundener Protagonist durchaus sein.

Umberto Eco ist weiter gegangen, er hat seinem erfundenen „Baudolino“ gleich mehrere Taten in die fiktive Vita gedichtet: Er lässt die Gebeine der Heiligen Drei Könige nach Köln verlegen, schickt seinen Herrn Kaiser Barbarossa auf den Kreuzzug ...

Eco war ein Meister der Ironie. Das bin ich nicht. Es darf bei mir auch mal lustig zugehen, aber ironische Brüche sollte man von mir nicht erwarten.

Was erwarten Ihre Leser von Ihnen?

Was die Leser von mir erwarten? Unterhaltung. Spannung. Ein wenig historische Information.

Und Liebe.

Ja, Liebe muss auch sein.

Sex?

Wenn ich schon die Rolle eines allwissenden Erzählers einnehme, dann wäre es doch töricht, diese Perspektive genau dann aufzugeben, wenn es ans Eingemachte geht.

Im Roman liebt Ned Willard seine Margery, das ist die fiktive Lovestory ...

.. die ich übrigens nicht nur aufgebaut habe, damit ich ein paar Passagen über Sex schreiben kann. Die Liebe zwischen den beiden hat eine wichtige dramaturgische Funktion, denn ein Held, der geliebt wird, erhält vom Leser mehr Empathie.

Das müssen Sie erklären.

Stellen Sie sich vor, Sie lesen in der Zeitung die Geschichte einer Frau, die eine Stunde lang in einem brennenden Haus ausharren musste, bevor sie endlich von der Feuerwehr gerettet werden konnte. Ein Schicksal, ohne Frage. Zu einem Drama wird diese Geschichte aber erst, wenn Sie zusätzlich erfahren, dass bei den bereits Geretteten auch die drei Kinder der Frau warteten und dass bereits der geliebte Vater der Familie bei einem Feuer ums Leben gekommen ist. Nun denken Sie nicht mehr: „Hoffentlich wird die Frau gerettet ...“ Sie bestehen darauf: „Diese Frau muss gerettet werden!“ Die Bindung zwischen Ihnen und der Frau ist durch die Zusatzinformationen viel stärker geworden, und dieser Kitt setzt sich aus der Liebe ihrer Kinder und dem Tod des geliebten Mannes zusammen. Es gibt daher kaum einen erfolgreichen Roman, in dem nicht geliebt wird.

Ist Liebe auch eine politische Kraft?

Da muss ich überlegen. Es gibt andere Kräfte, die einen offensichtlicheren Einfluss auf das politische Geschehen nehmen. Dazu zählt die Religion, die schon immer von den Herrschenden als Grund missbraucht wurde, um Kriege zu beginnen oder Machtinteressen durchzusetzen. Aber die Liebe, ich weiß nicht. Kennen Sie ein Beispiel?

Fing das nicht schon bei Kleopatra an?

Wobei ihr von den Römern auch einiges aus Propagandazwecken angedichtet wurde. Natürlich, die Liebe verfestigte oder beendete in früheren Zeiten die Beziehungen zwischen den Reichen, zumal zur Zeit der Monarchien, als Hochzeiten zwischen den verschiedenen Königshäusern arrangiert wurden. Die Liebe wurde machtpolitisch missbraucht, das ist unbestritten. Ich glaube aber nicht, dass ich einer These zustimmen kann, wonach die Liebe eine wichtige Hauptmotivation für politisches Handeln sei. Ich denke eher, dass die Unfähigkeit zur Liebe von großer Bedeutung ist. Schauen Sie sich die grausamen Despoten und unfähigen Herrscher an – bei den meisten von ihnen habe ich den dringenden Verdacht, dass sie niemals wirklich geliebt haben. Ein gutes Beispiel dafür ist Heinrich der VIII., als ein zur Liebe fähiger König hätte er wohl kaum zwei seiner sechs Frauen hinrichten lassen.

Begegnen uns solche Herrschaftstypen heute wieder, in Gestalt von Leuten wie Donald Trump?

Schon, ja, es scheint, als sei auch er nicht in der Lage, andere zu lieben, weil er sich immer selbst im Wege steht. Er will so sehr geliebt werden, dass er selbst nicht zur Liebe fähig ist. Ein modernes Politdrama.

Was halten Sie in dieser Hinsicht von Ihrer Premierministerin Theresa May?

Ich kenne sie nicht gut genug, um sie in Herzensdingen einzuschätzen, möchte jedoch davor warnen, zu glauben, Frauen mit härteren politischen Bandagen seien in dieser Hinsicht automatisch untalentiert. Ein Gegenbeispiel ist Margret Thatcher, ich kenne ein paar erzkonservative unter den konservativen Politikern, die unserer früheren Premierministerin zu Füßen lagen – und das nicht nur wegen ihrer standfesten Prinzipien. Diese Herren sind der Meinung, Thatcher sei sehr gut im Flirten gewesen.

Schwer vorstellbar.

Für mich als Mitglied der Labour-Partei auch, aber es wird in den Kreisen der Tories andere Merkmale eines guten Flirts geben, als bei Ihnen und mir.

Auch Elisabeth I. verstand sich aufs Flirten.

Oh ja, sie war als Frau keine Schönheit im klassischen Sinn, aber sie verstand sich ausgezeichnet darin, die Männer in ihrer Umgebung einzuwickeln. Das war auch wichtig; wie gesagt: Viele wollten ihr an den Kragen.

Warum?

Sie war die protestantische Bastion im katholischen Europa. Die Königshäuser von Spanien und Frankreich waren ihre großen Widersacher, dazu auch der Papst und Rom, überall dort wusste man: Wenn Elisabeth I. fällt, dann fällt auch der europäische Protestantismus. Für den Papst und die katholischen Regenten war es daher unglaublich attraktiv, Elisabeth aus dem Weg zu räumen. Mit einem Schlag hätte der Katholizismus gewonnen.