Interview

Britische Autorin verrät, wie Sex wieder besser werden kann

Katherine Angel forscht und schreibt über Sex. Der sei aktuell „ziemlich schlecht“, besonders für Frauen. Im Interview verrät sie, wie sich das ändern lässt.

Autorin Katherine Angel
Autorin Katherine AngelStacey Yates

Berliner Zeitung: Frau Angel, Ihr Buch heißt „Morgen wird Sex wieder gut“. Wie schlecht ist er denn heute?

Katherine Angel: (lacht) Gute Frage. Wahrscheinlich ziemlich schlecht. Das legt zumindest auch die Forschung nahe. Lust und Vergnügen sind beim Sex auf jeden Fall ungleich verteilt. Frauen empfinden überproportional häufig Schmerzen und haben einfach kaum ein erfülltes Sexleben. Die Gefahr sexualisierter Übergriffe ist für Frauen hoch, macht sie beim Sex besonders verletzlich und beeinflusst so ihr Lustempfinden. Obwohl es natürlich auch viele Männer gibt, die Enttäuschung, Frustration oder Verwirrung beim Sex erleben. Auch viele Männer, die sexualisierte Gewalt durch andere Männer erfahren.

Glauben Sie aber, dass wir uns all diesen Gefühlen beim Sex auch bewusst sind? Dass wir eben merken, dass das gerade nicht besonders vergnüglich ist?

Sicherlich gibt es Gefühle, die wir direkt als unangenehm empfinden oder als schmerzhaft. Gleichzeitig wissen wir aber auch, dass es eine Weile dauern kann, bis Leute verstehen, was mit ihnen sexuell passiert. Wir müssen mehr über Machtverhältnisse nachdenken, darüber, dass Frauen ermutigt werden, männliche Lust über die eigene zu stellen.

Vermeiden es Leute, über Macht zu sprechen, wenn sie eigentlich über Sex sprechen wollen? Ist diese Art von Gespräch einfach nicht sexy?

Klar ist es unsexy, über komplizierte soziale Dynamiken zu sprechen, ungleiche Machtverhältnisse und wie sich diese auf sexuelle Erfahrungen der Menschen auswirken. Vielleicht glaubt man, dass Sex etwas Unausgesprochenes oder Mysteriöses sein soll. Es ist aber wichtig, über Sex nachzudenken und darüber, wie er beeinflusst wird. Aber ich verstehe die Angst, ihm etwas wegzunehmen, indem man versucht, Sex zu verstehen und greifbarer zu machen.

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Hanser
Person & Buch
Katherine Angel arbeitet an der University of London und beschäftigt sich in ihrer wissenschaftlichen und publizistischen Arbeit mit Themen rund um Sexualität, Feminismus und weibliche Sexualstörungen.

Sie veröffentlichte unter anderem Fachartikel in den Zeitschriften Independent und Prospect. 2013 erschien ihr Buch „Ungebändigt. Über das Begehren, für das es keine Worte gibt“ bei Klett-Cotta.

„Morgen wird Sex wieder gut“ greift aktuelle Diskurse über weibliche Sexualität, Macht und Verlangen auf. Akademisch beschreibt Katherine Angel in vier essayistischen Kapiteln Probleme unserer Sexualität, fordert einen neuen Blick auf unsere Einwilligungskultur und zeigt mahnend, wie komplex Intimität und sexualisierte Gewalt miteinander verwoben sind.

Am Ende steht die kaum neue Erkenntnis: Das Private bleibt politisch. Ein manchmal bitterer, wenn auch großer Lesegenuss!

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Konsens die nötigste Übereinkunft beim Sex ist. Ist Konsens also kaum mehr verführerisch?

Wir müssen vorsichtig sein, wenn wir über Konsens reden. Einerseits ist es immer auch ein juristischer Begriff, wir grenzen so ab, ob jemand einer Handlung zugestimmt hat oder nicht. Es ist absolut entscheidend, dass wir nur Sex mit Leuten haben, von denen wir wissen, dass sie auch Sex mit uns haben wollen. Das allernötigste Minimum eben. Es ist fast albern, das so sagen zu müssen.

Wir haben uns von dieser Idee leiten lassen, dass dieser Rechtsbegriff alle sexuellen Probleme lösen kann. Ich glaube aber nicht, dass das stimmt. Es gibt gleichzeitig viele Menschen, die Sex als schmerzhaft oder demütigend empfinden, obwohl sie ihm zugestimmt haben. Und dafür gibt es ganz verschiedene Gründe.

Zum Beispiel?

Vielleicht wurde ihr eigenes Vergnügen, ihr Empfinden nicht oder einfach zu wenig beachtet. Ich finde, dass wir zwar einerseits betonen müssen, dass die Einwilligung zum Sex absolut notwendig ist, aber dass das, was Sex eben gut macht, darüber hinausgeht. Menschen müssen sich sicher fühlen, um offen über Lust, auch Neugierde nachdenken zu können. Wir sollten beim Sex die Freiheit haben können, zu sagen, was wir wollen und auch, dass wir vielleicht selbst nicht wissen, was wir wollen. Es gibt natürlich immer auch einen Raum großer Ungewissheit. Ob Konsens aber sexy ist oder nicht, darum geht es nicht. Sondern wir müssen vielmehr außerhalb dieses legalen Rahmens nachdenken.

Wenn wir selbst aber kaum wissen, was uns gefällt, was wir wollen, wie können wir am Ende dann noch wissen, ob Sex einvernehmlich ist – und auch bleibt?

Das Problem bei der Betonung von Konsens ist eben auch, dass es Menschen ein falsches Sicherheitsgefühl gibt. Wir wissen, wir müssen uns die Zustimmung einholen, klar, aber darüber hinaus sehen viele das Problem nicht. Wir müssen Leuten beibringen, sich mehr auf die Signale anderer einzustellen. Ist unser Gegenüber mit dem, was ich tue, einverstanden?

Wenn wir selbst aber kaum wissen, was uns gefällt, wie sollen wir dann fremde Signale lesen können?

Selbstverständlich ist das extrem schwer. Auch deshalb erleben viele Frauen, zumindest laut Studien, Sex, bei dem sie nicht wirklich Spaß empfinden. Es ist kein leicht lösbares Problem. Dazu kommt ein gesellschaftlicher Doppelstandard: Frauen sollen weniger über ihr eigenes sexuelles Begehren sprechen, dadurch wird es für sie schwer, zu wissen, was ihnen gefällt.

Aber glauben Sie nicht auch, dass es für Männer – auch mit den an sie gestellten Erwartungshaltungen – schwer ist, guten Sex zu haben?

Ja, absolut. Es ist sehr, sehr interessant, wie wir über Männer und Frauen in Bezug auf Sex denken. Frauen bräuchten länger, um in Stimmung zu kommen, Männer könnten aber eben immer. Zumindest empirisch gesehen, scheint das auch zu stimmen.

Frauen müssen darauf achten, sexuell nicht zu aktiv zu sein, ansonsten könnten sie für erlebte sexualisierte Übergriffe verantwortlich gemacht werden. Gleichzeitig werden sie aber dazu aufgefordert, sexuell selbstbewusst zu sein, angstfrei. Es ist einfach paradox und auch schmerzhaft, diese Botschaften zu verstehen. Heterosexuelle Männer dagegen müssen diesem extremen sexuellen Erfolgsdruck standhalten. Auch das ist schmerzhaft. Wenn wir uns als Gesellschaft vom Einfluss dieser extremen Männlichkeitsbilder verabschieden könnten, könnten auch Männer Sex mehr genießen, wären weniger frustriert, Frauen gegenüber weniger gewalttätig.

Aber gibt es für guten, gleichberechtigten Sex in einer patriarchalen Gesellschaft, die nun ja auf die eben genannten Rollenmuster baut, dann überhaupt noch Hoffnung?

Klar ist es interessant, darüber nachzudenken. Aber was würde es bedeuten, das Patriarchat abzuschaffen? Welche Bedeutung hätte das für unsere intimen Beziehungen? Bei der ungleichen Stellung der Frauen in der Gesellschaft kann man das eine nicht ohne das andere betrachten. Sexualisierte Ausbeutung, und mit ihr schlechter Sex, entsteht immer dann, wenn es soziale Ungleichheit gibt. Wir müssen deshalb an verschiedenen Fronten gleichzeitig tätig werden: unbezahlte Care-Arbeit, sexuelle Doppelstandards, ungleiche Bezahlung. Unsere kulturellen Vorstellungen von Sexualität und Geschlecht tragen auch zu dieser Ungleichheit bei. Es ist fast unmöglich, zu sagen, wo man anfangen müsste, alles ist miteinander verbunden. Es ist wie ein Stoff, ein patriarchalischer Stoff, der zusammengewebt wurde.

Wie verletzbar macht Sex Frauen dann aber in einer ungleichen Welt? Auch darüber schreiben Sie im Buch.

Frauen sind statistisch überproportional häufig von sexualisierter Gewalt betroffen. Sie leben also ziemlich riskant. Und manchmal wird diese Angst vor sexualisierter Gewalt genutzt, um Frauen zu kontrollieren. Frauen wird Angst gemacht, ihnen würden praktische Freiheiten genommen.

Was meinen Sie konkret?

Ein einfaches Beispiel wäre, dass Frauen nachts kaum allein im Park spazieren gehen, aus Angst vor Übergriffen. Wir müssen uns durch diese komplizierte Welt durchnavigieren. Wir fürchten uns deshalb schnell vor allen Männern, weil wir wissen, dass uns ein Mann allein verletzen könnte. Das wirkt sich auch auf unser Sexualleben aus.

Beim Sex geht es immer um Menschen, die sich in einem sehr verletzlichen Zustand treffen. Es ist ja immer ein Zustand der Entblößung, des Verlangens, der Sehnsucht. Man ist dadurch sehr verwundbar, weil man eben etwas für sich selbst will. Und wenn man bestimmte Dinge nicht zur Verfügung stellen kann oder will, kann das beängstigend, auch demütigend sein. Im Buch versuche ich zu zeigen, dass wir diese Realitäten von Gewalt und Angst als Teil unseres Sexlebens anerkennen müssen. Je mehr wir das anerkennen, desto mehr Raum gibt es für Lust.

Was ich aber noch immer nicht ganz verstehe, ist, wie die Gefahr sexualisierter Gewalt unser eigenes, tägliches Sexleben beeinflusst.

Natürlich kann man das schwer verallgemeinern. Aber klar ist, dass die Idee „Nein heißt Nein“ in diesem Kontext schwierig zu äußern ist. Frauen haben Angst vor der direkten Reaktion, weil sie eben die Gefahren möglicher kommender Gewalt kennen. Der Mann könnte wütend werden, sich empören, weil sie ihn „verführt“ habe oder es eben ja noch wollte. Das hält Leute davon ab, Nein zu sagen. Die Frau ist lieber passiv, als etwas Gefährliches zu riskieren.

Auch ein begeistertes Ja ist schwierig. Einerseits mag das den einen Mann zwar befriedigen, aber es könnte einen anderen auch dazu bringen, sie zu verachten. Oder andere Menschen. Frauen wissen mindestens unterbewusst, dass ein aktives Sexualleben in Vergewaltigungsprozessen gegen sie verwendet werden könnte. Mit dieser Doppelbotschaft – Ja und Nein ist schwierig – ist es für Frauen schwer, Sex wirklich genießen zu können. Sie wissen ja kaum, wie sie sich verhalten sollen.

Mit all dem, was Sie jetzt wissen, was ist der eigentliche Schlüssel für ein erfülltes Sexleben?

Ich glaube, miteinander zu reden, ist wirklich wichtig. Das funktioniert oft ja auch indirekt. Wir können wahnsinnig guten Sex mit Leuten haben, mit denen wir kaum ein Wort sprechen. Lust und Verlangen und Spaß beim Sex baut aber immer auch auf Vertrauen. Wir müssen uns sicher fühlen. Wir können uns natürlich auch mal riskanten Situationen aussetzen, in denen wir vielleicht beim Sex entdeckt werden könnten, aber auch da müssen wir uns mit dem Gegenüber sicher fühlen können, um es wirklich genießen zu können. Aber verallgemeinern will ich da nichts. Sex ist eine ganz individuelle Sache.

„Morgen wird Sex wieder gut“ heißt Ihr Buch. Wann kommt dieses „Morgen“?

Morgen ist immer noch einen Tag entfernt.