Interview

Festival-Teilnehmer: „Die Bild-Kampagne gegen Matondo Castlo ist rassistisch“

KiKa-Moderator Matondo Castlo geriet nach einem Bild-Text zu seiner Teilnahme an einem Festival in Palästina in die Kritik. Über Hintergründe sprachen wir mit Teilnehmenden.

Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Farkha-Festivals (v. l. n. r.): Kerem Schamberger, Bafta Sarbo, Nicole Schöndorfer, Simin Jawabreh, Matondo Castlo.
Teilnehmer und Teilnehmerinnen des Farkha-Festivals (v. l. n. r.): Kerem Schamberger, Bafta Sarbo, Nicole Schöndorfer, Simin Jawabreh, Matondo Castlo.

In der Bild-Zeitung wurde jüngst ein Text veröffentlicht, der den KiKa-Moderator und Schauspieler Matondo Castlo (28) dafür kritisierte, dass er kurz zuvor an einem vermeintlich „israelfeindlichen“ Jugend-Festival im palästinensischen Farkha teilgenommen hatte. In einem Begleit-Video über Castlo wurde dabei auch an die deutsch-palästinensische Journalistin und Ärztin Nemi El-Hassan erinnert, die aufgrund einer ähnlich tendenziösen Springer-Kampagne letztes Jahr kurz vor ihrer Anstellung als WDR-Moderatorin ihren Job verlor. Der Text zu Castlo, der ebenfalls bei den Öffentlich-Rechtlichen angestellt ist, wirkte, als wollte Bild hier nun ein ähnliches Ergebnis erwirken. Skandalisiert wurde unter anderem, dass Castlo – angeblich an der Seite „radikaler Steinewerfer“ – gegen Siedlungen im Westjordanland demonstriert habe. Das Festival habe zudem Terrorismus verherrlicht.

Wer sich „mit Israelhass und Antisemitismus“ gemeinmache, kommentierte daraufhin der FDP-Bundestagsabgeordnete Max Mordhorst, habe „in einer öffentlich finanzierten Institution wie dem ÖRR nichts zu suchen“. CDU-Politiker Philipp Amthor sagte: „Wer anscheinend keinen Anstoß daran nimmt, dass Kinder für Israelhass instrumentalisiert werden, erscheint mir nicht geeignet, in Deutschland den gebührenfinanzierten Bildungsauftrag zu erfüllen.“

Matondo Castlo selbst äußerte sich in einem Instagram-Post: Seine Reise zum Farkha-Festival sei „nicht politisch motiviert“ gewesen. Die schwierige Lage der Kinder und Jugendlichen vor Ort habe ihn stark emotionalisiert, sodass er spontan der Einladung gefolgt sei, an einer Demonstration gegen Gewalt teilzunehmen. „Ich hasse niemanden“, betonte Castlo. „Meine Mission ist es, Verbindendes zu suchen und Brücken zu bauen.“ Neben Castlo selbst waren auf dem Farkha-Festival aus Deutschland unter anderen der Aktivist und Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger, die Sozialwissenschaftlerin im Vorstand der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland, Bafta Sarbo, sowie der Vorsitzende des Vereins Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Wieland Hoban angereist. Wir sprachen mit ihnen via Zoom über die Hintergründe des Farkha-Festivals sowie der Bild-Kampagne.

Berliner Zeitung: In der Bild-Zeitung wurde letzte Woche ein Text veröffentlicht, der Ihre Teilnahme am palästinensischen Farkha-Festival und an einer Demonstration nahe einer israelischen Siedlung in den besetzten palästinensischen Gebieten skandalisiert. Was sagen Sie dazu?

Kerem Schamberger: Die Bild-Zeitung spricht davon, dass wir auf einer Veranstaltung einer Terrororganisation waren. Das ist lächerlich. Wir waren auf einer allwöchentlichen Demonstration in einem kleinen Dorf, dessen Felder akut von einer Erweiterung einer Siedlung bedroht sind. Der Protest wird von der Dorfbevölkerung getragen. Wir sind mit etwa 150 Leuten hingegangen, Ältere und Jüngere und haben friedlich demonstriert. Nach kurzer Zeit wurden wir mit Tränengas und Gummigeschossen beschossen. Ein paar Jugendliche haben dann auch Steine geworfen.

Bafta Sarbo: Es ist auch wichtig, die Asymmetrie zu betonen, die hier vorherrscht. Es kann ja sein, dass Jugendliche Steine warfen. Aber das, wogegen Steine geworfen wurden, steht dazu in keinem Verhältnis: schwer bewaffnete Soldaten, die die Erweiterung einer völkerrechtswidrigen Siedlung verteidigten. Zudem ging die Aggression nicht von den Jugendlichen aus.

In dem Bild-Text heißt es, das Farkha-Festival, auf dem Sie alle waren, verherrliche Terrorismus. Was ist dran an diesem Vorwurf? 

Kerem Schamberger: Das Farkha-Festival findet seit den 90er-Jahren statt, organisiert wird es von der Palestinian Peoples Party (PPP), der Schwesterpartei der Kommunistischen Partei Israels in den besetzten palästinensischen Gebieten. Das Festival ist eine Zusammenkunft progressiver Linker in Palästina. Jugendliche tauschen sich hier aus. Nicht nur über die israelische Besatzung, sondern auch über die Herrschaftsverhältnisse in Palästina. Hier war zum Beispiel auch eine Theatergruppe aus Ramallah vor Ort, die zu Sexismus in der palästinensischen Gesellschaft arbeitet und auch die autokratischen Verhältnisse in der palästinensischen Autonomiebehörde kritisiert. Die Gruppe wird von der Fatah verfolgt. Es kommen immer auch internationale Gäste, dieses Jahr etwa aus Italien, Dänemark, Kurdistan. Aus Deutschland waren Gruppen wie der SDS, die Jüdische Stimme, Migrantifa und andere vertreten.

Wieland Hoban: Es ist eine einzigartige Veranstaltung in der Weise, wie sie verschiedene Ebenen und Gruppen verbindet: gemeinschaftliche Freiwilligenarbeit, politische Vorträge und Kulturveranstaltungen.

Kerem Schamberger: In Palästina ist das Festival auch deshalb umstritten, weil islamistische Kräfte es schlecht finden, wenn Männer und Frauen gemeinsam arbeiten, diskutieren und feiern.

Kommen auch Personen aus Israel dazu?

Kerem Schamberger: Ja, vor allem Vertreter:innen und Genoss:innen von Maki, der Kommunistischen Partei Israels.

Die Bild-Zeitung rekurrierte in einem Video, in dem sie Matondo Castlos Teilnahme skandalisierte, auch auf Nemi El-Hassan, die letztes Jahr vom WDR vorauseilend gekündigt wurde. Glauben Sie, dass in der Zwischenzeit ein gesellschaftliches Bewusstsein gewachsen ist für die Problematik derartiger Kampagnen?

Bafta Sarbo: Es gibt eine Dynamik, wie diese Kampagnen ablaufen, das konnte man an dem Beispiel Nemi El-Hassan ja gut sehen. Da wird von Rechten etwas aufgegriffen, das dann durch die Springer-Presse läuft und später von anderen bürgerlichen Medien übernommen wird, wodurch dem auch eine allgemeine Relevanz verliehen wird. Ja, es kommt insgesamt viel Hass. Aber gleichzeitig gab es sehr viele positive Rückmeldungen über unsere Berichte und Posts.

Sie meinen Rückmeldungen auf Ihre Social-Media-Berichte?

Bafta Sarbo: Ja, viele reagieren schockiert. Die Authentizität der Inhalte wurde anders als sonst oft kaum angezweifelt. Ich glaube, dass viele einen Einblick in die Lebensrealität von Palästinenser:innen erhalten haben und dass ihnen das auch erleichtert hat, zu verstehen, worum es in dem Konflikt eigentlich geht. In Deutschland sind palästinensische Lebensrealitäten ja kaum sichtbar. Palästinenser:innen tauchen in der deutschen Öffentlichkeit in der Regel gar nicht erst auf.

Jemand wie Matondo Castlo wirkt ungleich vulnerabler, zumal er an eine öffentlich-rechtliche Institution angebunden ist. Worin besteht in Ihren Augen das Ziel der Agitation seitens Bild?

Kerem Schamberger: Matondo Castlo kam über sein sozialpädagogisches Interesse zum Farkha-Festival. Er arbeitet in Berlin auch mit palästinensischen Kindern und wollte die Lebensrealität von Jugendlichen in Palästina verstehen. Er war nicht hier, weil er Kommunist ist oder linker Aktivist. Die Bild-Zeitung verfolgt in meinen Augen drei Ziele. Erstens: Futter zu sammeln für ihre Kampagne gegen öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten. Zweitens: Rassismus. Matondo ist der erste und einzige Schwarze Moderator beim KiKa-Sender. Drittens geht es um Antikommunismus, sprich um die Delegitimierung linker Stimmen, die wagen, sich kommunistisch zu nennen. Auch innerhalb des Festival würden sich keineswegs alle so bezeichnen. Was konkret auf dem Festival passiert, interessiert die Bild-Zeitung natürlich nicht. Es geht ihr um Hetze.

Wieland Hoban: Zur Behauptung, dass es sich um ein antisemitisches Festival handle, sei auch gesagt, dass wir auch eine Veranstaltung auf dem Festival hatten, auf der ich für den Verein Jüdische Stimme über die verzerrte Ineinssetzung von Israel und Juden und Jüdinnen gesprochen habe. Das wurde hier in Farkha sehr herzlich aufgenommen. Der Festival-Leiter und andere PPP-Mitglieder haben an dem Abend erwähnt, dass sie auch enge israelisch-jüdische Genoss:innen haben.

Während Sie vor Ort waren, wurde Gaza bombardiert. Aus Gaza wurden darauf Raketen auf Israel abgefeuert. Zahlreiche Zivilist:innen in Gaza kamen ums Leben. Wie schätzen Sie die Lage vor Ort ein?

Kerem Schamberger: Als ich mit einem Genossen in Israel gesprochen habe, meinte der: Kein Wunder, in Israel stehen wieder Wahlen an. Auf dem Festival gab es sehr viel Empörung über die Situation.

Der Vorwurf, auf einem Festival zu sein, wo Terrorismus verherrlicht würde, schien jetzt auch deshalb schwer zu wiegen, weil die jüngste Eskalation zwischen Israel und dem Islamischen Dschihad in Palästina entbrannte. 

Bafta Sarbo: Die Linke ist schwach, nicht nur in Palästina, sondern global. Dass islamistische Gruppen in der palästinensischen Bevölkerung Zustimmung erfahren, liegt auch daran, dass die linke Bewegung hier sehr geschwächt wurde. Was wir mit dem Festival auch versuchen, ist, sie zu stärken. Wogegen die Genossen hier arbeiten, ist neben der Besatzung auch die Vorherrschaft islamistischer Inhalte. Sie versuchen, das zu leben, was den Islamisten am meisten zuwider ist. Gerade der Austausch mit den Genossinnen der Frauenbewegung hat gezeigt: Sie müssen hier einen doppelten Kampf führen. Gegen Besatzung, aber auch gegen patriarchale Strukturen in ihren Gesellschaften. Man entzieht diesen Frauen Solidarität, wenn man sie einfach mit denen vermengt, gegen die sie ankämpfen. Da findet eine unheimliche Dehumanisierung statt.

Mit welchem Gefühl gehen Sie jetzt zurück nach Deutschland?

Bafta Sarbo: Für uns war wichtig, die Lebensrealität der Leute nachzuvollziehen und zu verstehen, dass das Bild, das in Deutschland gezeichnet wird, sehr verzerrt ist. Ich würde Leuten in Deutschland raten, sich das selbst anzusehen, mit Leuten vor Ort zu sprechen.

Wieland Hoban: Was ich mitnehme ist, wie viel den Menschen hier unsere Solidarität bedeutet. Auch wenn es uns manchmal so vorkommt, als hätten unsere Aktivitäten wenig Wirkung. Sie haben immer wieder betont, wie sehr diese Unterstützung hilft.

Kerem Schamberger: Dieser Shitstorm war ärgerlich, aber wenn man hier durch Checkpoints fährt und die Realität der Besatzung sieht, setzen sich Dinge ins Verhältnis. Dagegen, was Menschen vor Ort hier täglich erleben, ist so ein kleiner Shitstorm nichts.