Berlin-Wenn da doch nur welche von einem anderen Stern zu uns kämen. Vielleicht waren ja schon mal Außerirdische bei uns zu Besuch, die Erde ist doch eine Oase, eine Wasserstelle im Weltenraum. Von einem Stern dürften sie aber nicht kommen, Sterne sind einfach zu heiß, und so intelligente Wesen, die es auf einer Sonne aushielten, die blieben dann wohl auch dort, wo sie sich pudelwohl fühlen.
Ob sie nun in Pudelgestalt, als Amphibien, als Schleim in Dosen, als intelligenter Bakterienschwarm zu uns kommen würden, für sie und durch sie würden wir zur Menschheit werden. Egal, wie sie uns dann nennen würden, und vielleicht grunzen sie ja auch, oder pfeifen in so hohen Tönen, dass wir sie gar nicht hören können, oder sie fassen sich nur an den Kopf, so sie denn einen Kopf haben, und die Menschheit wäre für sie mit einer Geste bezeichnet, die auch ihnen bedeutet, dass wir völlige Idioten sind, die Menschheit ein Totalausfall, zum Verzweifeln.
Der Mensch ist das Maß all seiner Dinge. Bleiben wir also bei unserem Leisten. Und leisten wir uns diesen Gedanken an die Menschheit, was einige Menschen ja manchmal tun, aber auch sie bekommen dann irgendwann Hunger und müssen was essen, dann bleiben diese Gedanken, weil menschlich, allzu menschlich, höchst zweifelhafte Gedanken. Meist sehr unvollständige Gebilde.
Die Menschheit ist für den einzelnen Menschen, ja, für die Menschheit insgesamt, eine Gedankenspielerei, eine gefährliche, eine oftmals für Menschen tödliche. Eine Konstruktion, die oft destruktiv wirkt. Eine intellektuelle Höchstleistung, zu der wir uns nur mit Mühe aufschwingen können, denn die Menschheit müsste ja nicht nur all die Menschen umfassen, die derzeit auf Erden leben – von den meisten von ihnen haben wir doch nicht mehr als nur eine vage Ahnung –, die Menschheit müsste auch all die mit einbeziehen, die schon gelebt haben, von den Anfangsgründen menschlichen Lebens an, und nicht nur diese Geschichte ist eine doch sehr vage, mehr eine Sache von Vermutungen, auch die, die wir aufgrund von Dokumenten in sehr unvollständigen Archiven nachvollziehen können. Und dann auch das noch, dass der Begriff der Menschheit niemals zu einer Definition werden kann, es erst am Ende unserer Tage zu definieren sei: Was ist die Menschheit denn … gewesen, und diese Erkenntnis nützt dann niemandem mehr.
Vielleicht überraschen wir Menschen uns ja noch, vielleicht kommen wir dahin, friedlich zusammenzuleben, vielleicht lauern in uns noch bisher ungeahnte Abgründe, und wir sind zu Scheußlichkeiten fähig, die wir uns nach so vielen Scheußlichkeiten bisher doch nicht zutrauen würden. Vielleicht läuft es auf einen Selbstmord der Menschheit hinaus, vielleicht naht das Rettende doch, und es kommt aus uns heraus, es steckt schon in uns, obgleich es so gar nicht danach aussieht.
„Möcht ich ein Komet sein? Ich glaube wohl.“ Friedrich Höderlin
Ich nicht, ich möchte kein Komet sein, ich will Mensch bleiben.
Doch auch ein Komet, der auf seiner Bahn auf unsere Erde zurast, würde uns Erdlinge, Erdenbewohner zur Menschheit machen. Aber uns von dieser Perspektive betrachten zu müssen, darauf würden wir wohl gerne verzichten, auch wenn einige Wissenschaftler behaupten, es wäre dies, weil unvermeidlich, genau das, worauf wir uns als Menschheit vorbereiten müssten, wie da Abhilfe zu schaffen wäre. Auch der dritte, dann mit Atombomben ausgetragene Weltkrieg besäße diese Qualität, aus den vielen Menschen dieser Erde eine Menschheit zu schaffen, wenn auch erst im letzten Moment, im Untergang. Der kann sich aber auch zeitlich etwas hinziehen, im Klimawandel, wenn er denn zur Klimakatastrophe wird. Im Tode sind wir alle gleich, der Tod ist der große Gleichmacher.
Unter uns, wenn wir uns begegnen, im menschlichen Maßstab miteinander zusammenleben, fällt uns nicht das auf, worin wir uns alle gleich sind, Menschen zu sein, es fällt eher das auf, worin sich der eine Mensch vom anderen unterscheidet. Es gibt die Erwachsenen und sie haben Kinder, es gibt die Alten, deren Kräfte nachlassen, es gibt Frauen und Männer, und eine kann gut kochen, der andere gut mit Pfeil und Bogen umgehen, wieder andere verstehen sich gut auf die dekorativen Künste, und dann gibt's da jemanden, der kann gut singen, gut Geschichten erzählen, gut einen Streit schlichten.
Etwas gut zu können, heißt hier erstmal, bevor sich Menschen auf eine allgemeingültige, von allen anerkannte Werteskala geeinigt haben: besser als andere, im Vergleich besser, wodurch wir es wieder mit den Unterschieden zu tun haben. Der eine kann etwas besser als andere, aber auf einem anderen Gebiet unterscheidet er sich in seinen Fähigkeiten nicht von anderen, manche können auch nur eine Sache wirklich gut, auf allen anderen Gebieten versagen sie. Und damit sind wir in der Betrachtung bei dem Prestige angelangt, das bestimmte Tätigkeiten innerhalb einer Gemeinschaft genießen. Und auch bei den Tätigkeiten, die keine weitere Beachtung finden, bei weiteren Unterschieden also, die dann Auswirkungen auf die Stellung von Menschen in der Gemeinschaft, zu der sie gehören, haben. Abhängig sicher auch von den Problemen, die es innerhalb einer Gemeinschaft gibt, die eine Gruppe mit anderen hat, von den Konflikten, die irgendwie bewältigt werden müssen.
Der eine Mensch fällt dadurch auf, dass es ihm gut gelingt, Feste zu organisieren, die die Gruppe als Gemeinschaft zusammenbringen. Ein anderer ist ein guter Handwerker, und mit dem, was der dann produziert, lassen sich im Austausch mit anderen Gruppen gute Geschäfte machen, und das mag dann auch noch zu einem friedlichen Zusammen- oder Nebeneinanderleben mit diesen anderen führen, mit denen es bis dahin nur die Konkurrenz um begrenzte Ressourcen gegeben hat. Im Konfliktfall tun sich dann die Krieger hervor, die körperlich stärkeren, die listenreichen, diejenigen, die ihr Gewaltpotenzial mobilisieren und gezielt einsetzen können.
Erfolge, auf welchem Gebiet auch immer, verschaffen dem, der sie erzielen kann, Prestige, das dann auch andauern kann, wiederum in seinen Auswirkungen davon abhängig, was einer Gemeinschaft wichtig erscheint. Und damit sind wir dann in unserer Betrachtung, die mehr ein Gedankenmodell ist, bei dem angelangt, wie es kommt, dass in einer Gesellschaft einige Menschen mächtiger werden als andere, bei der Macht, die das Lexikon als Gesamtheit der Mittel und Kräfte, die jemandem oder einer Sache andern gegenüber zur Verfügung stehen, definiert, als Einfluss, den jemand auf andere hat.
„Das Hauptwort Macht kann auf zwei ähnlich lautende indogermanische Wurzeln zurückgeführt werden: mag- (kneten, pressen, formen, bilden) oder magh- (machen – im Sinne von können, vermögen, fähig sein). Die erste Wurzel weist noch auf einen unmittelbaren Werkzeugbezug hin. Die zweite Wurzel weist bereits auf den sozialen Kontext einer möglichen Verfügung über sich und andere sowie eine Ausrichtung auf die Zukunft hin. Auch im heutigen Sprachgebrauch schwingt oft noch eine Verdinglichung und Personalisierung von Macht mit und verstellt vielfach den Blick darauf, dass Macht in menschlichen Gesellschaften prinzipiell als „relationaler Begriff“ verstanden werden muss.“ Wikipedia zur Etymologie des Begriffs Macht
Wenn in einer kleinen Gemeinschaft einer ist, der das eine gut kann, besser als die anderen, dann ist das ja vielleicht kein Problem, sondern nur erfreulich. Einer kann ja auch nicht alles besser als alle anderen, das wäre doch wirklich ein Wunder, wäre es so, und da es nicht so ist, gleicht sich's dann wieder aus. Der eine kann das besser, der andere etwas anderes, irgendetwas wird sich doch für jeden finden, und sei es, dass da einer ist, der ein geschickter Hühnerdieb, Halunke oder Spaßmacher ist. Es ergänzt sich, und es kann auch schon arbeitsteilig werden, ohne dass sich die Gruppe in Untergruppen teilt, aber die Idylle, die wir uns so gut vorstellen können, sie hat ja dann doch meist keinen Bestand und findet sich in der Empirie nur sehr selten.
Der Krieg ist der Vater aller Dinge, und wenn auch vielleicht nicht aller, doch der, dass sich die guten Krieger auch schon in den kleinsten Gemeinschaften nicht nur hervor-, sondern auch zusammentun. Sie müssen gut für den Kampf genährt und ausgerüstet sein, ihre Wunden müssen gepflegt werden, sie müssen wieder zu Kräften kommen, dass sie dann einfach so wie alle anderen wieder mitarbeiten, das kann von ihnen nicht verlangt werden, und verlangt man es von ihnen doch, dann werden sie sauer, werden sie böse, und man weiß ja nicht, sie neigen doch zur Gewalt, also nimmt man besser Rücksichten auf sie. Und schwups, eh man sich versieht, hat man eine Aristokratie, den Adel der Edlen, und sind so edel dann doch nicht, und niemand ist nur edel, dann hat man es mit einer Oligarchie zu tun, die sehr auf Eigennutz bedacht ist, und meist geht es so durcheinander, und aus dem, was wir ihnen ob ihres Edelmuts gerne zugestanden haben, werden Privilegien, die sie verlangen, Vorrechte, auf die sie glauben, ein Anrecht zu haben.
Wir haben es mit einer sich verfestigenden, verstetigenden Macht zu tun, mit Herren, die sich zur Herrschaft berufen fühlen und an ihr auch festhalten wollen, die ganze Scheiße ist da, eine kleine Gruppe bestimmt, herrscht über die ganze Gruppe, und diese Teilung der Gemeinschaft ist dann nicht mehr nur eine funktionale, sondern eine zwischen Obenauf und denen, die sich den Oberen unterwerfen, und damit zu Unten werden, zu einer den Wenigen untergeordneten Mehrheit, die sich's gefallen lässt.
Ehre, wem Ehre gebührt – Adel verpflichtet
Was eben auch heißt: Den vielen anderen gebührt die Ehre nicht, sie sind nicht satisfaktionsfähig. Und als dies können sie auch gelten, sind sie's intellektuell nicht. Adel verpflichtet dann auch zur Höflichkeit des Hofes, zu einer bestimmten Verhaltensweise, zu einer Art der Ansprache, und uns mag's nicht mehr verständlich sein, was den Unterschied zwischen Hochwohlgeboren, Durchlaucht und Euer Ehren ausmacht, zu früheren Zeiten sind Männer im Duell mit Waffen aufeinander losgegangen, passierte einem von ihnen ein Fehler, oder war es als eine gezielte Beleidigung und Herabwürdigung herauszuhören.
Elite – das Wort fehlt hier ja noch. Auch: elitär, das Schimpfwort. Die Auslese, die Auserwählten – nur von wem ausgewählt? Von einem blutrünstigen Heerführer, dem Gremium einer Akademie, grauen Parteifunktionären, die nach Ihresgleichen als Nachwuchs suchen, oder es bleibt dies Gott, den Göttern überlassen – was für einen Atheisten wie mich bedeutet: Man hat sich da was ausgedacht, um sich über andere zu erhöhen.
Euphorion: Wenn ich von Thessalischen Hexen rede, dann glaub ich, hab ich was gesagt. Goethe, Faust II.
Und so glaube ich hier auch, ich hätte was zu sagen, zum Adel zu vermelden. Ich habe blaues Blut im roten Blut. Alter Adel, uralter Adel, preußischer Amtsadel: meine Mutter, eine geborene von Bamberg, verwitwet von Trotha, die Mutter meiner Mutter eine derer von Ascheberg, und diese Familie lässt sich bis auf Widukind, den Führer der Sachsen gegen den Karl den Großen verfolgen, die Mutter meines Vaters, Elsa von Schönfeld – wenn nur nicht der Havemann wäre, der alle Vons zunichte gemacht hat.
Aber Havemann, das war doch nicht weniger Adel, das war neuer Adel, der Rote Adel, der sich im Kampf gegen die Nazis seine Meriten erworben hatte. Aber ganz wie der alte Adel Privilegien beanspruchte, auf die unter ihnen stehenden, die blöden Nazi-Deutschen hochmütig herabsah, aber auch in völliger Verkennung seiner Lage auf die über ihnen stehenden, die dumm-beschränkten Partei-Funktionäre.
„Alle Menschen dieser Erde, voll drauf, auf Totalbeschwerde.“ Nina Hagen
Sie war eine zauberhafte alte Dame mit weißen Kringellocken, meine Oma Inge, die dritte, die, die ich von meinen Omas am meisten mochte, Ingeborg, geborene von Tettenborn, mit einem schrecklichen von Trotha verheiratet, einem Polizeioffizier, den sie im Krieg verlassen hatte, der dann bei einem Bombenangriff elendig in seiner Wohnung verreckt war. Sie kam uns aus dem Westen besuchen, sie blieb oft Monate, sie lebte in Düsseldorf, in Kaiserswerth, einem Vorort vom reichen Düsseldorf, und als ich nach meiner Flucht in den Westen vor dem Haus mit der Adresse, an die ich so viele Briefe geschrieben hatte, stand, war ich erstaunt, wie klein es war, ein Mietshaus mit mehreren Briefkästen.
Die adlige Dame bewunderte den Kommunisten Robert Havemann, bei sich zu Hause im Westen wählte sie Konrad Adenauer. Die CDU, die mochte sie nicht so sehr, die war ihr zu bigott und moralisch verlogen, aber Adenauer, den ich nur als die Karikatur vor Augen hatte, die es in unseren Ost-Zeitungen zu sehen gab, so sagte es meine Oma, eine bemerkenswerte Frau, der sieht gut aus, ein ernster, nobler Mann. Sie hatte ihre eigenen Maßstäbe.
In einem unserer vielen Gespräche sagte sie zu mir: Sprich doch nicht immer vom Ausbeuten, nenn es: Ausnutzen. Ausbeutung, das ist so ein hässliches Wort. Als tapferer Jung-Marxist von 11 Jahren erwiderte ich besserwisserisch: Nicht das Wort ist hässlich, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist es. Die Beute ist das durch Plünderung Erworbene, die Kriegsbeute also, und auch die Industrie eines eroberten Landes kann zur Beute werden, die Naturvorkommen, die Kunstschätze. Und also hatte meine Oma Inge vielleicht ja doch recht, dass Ausnutzen das richtigere Wort wäre – wenn auch nicht in dem Sinne, dass es weniger hässlich sei, wenn da Menschen von anderen Menschen ausgenutzt werden, benutzt, nutzbringend in ihrer Arbeitskraft ausgenutzt. Wenn es also nur um den Ertrag geht, den Gewinn, den Profit, den Vorteil.
Aber was muss ich denn erst so klassenkämpferisch werden, der Kampf um das richtige Wort, er begann ja bei mir schon früher: 1. Klasse, der Abc-Schütze wird von seiner von-Bamberg-Mutter aus der Schule abgeholt, es hat ein kurzes Gespräch zwischen Mutter und Lehrerin gegeben, der von mir so hochverehrten Frau Busse, und auf dem Nachhauseweg ein Erziehungsgespräch zwischen Mutter und Sohn: Frau Busse hat mir gesagt, dass es dir nicht gut ging, und dass du dich gemeldet und gesagt hast, du willst mal auf die Toilette, weil du kotzen musst. Exakt. So war es gewesen. Die Mami: Aber das sagt man so nicht. Der rebellische Sohnematz: Aber, Mami, ich musste doch kotzen. Vergeblich. Die Mami streng: Man sagt, ich muss mich übergeben. Elternhaus und Schule, im erzieherischen Zusammenwirken.
„Eine falsche Erklärung ist besser als keine Erklärung.“ Claude Levi-Strauss
Brasilien, Mitte der 30er-Jahre des vorigen Jahrhunderts: ein damals sehr junger, später sehr berühmter Mann der Völkerkunde, mit seiner damaligen Frau, einer Kollegin, auf Forschungsreise in den traurigen Tropen, und diese beschwerliche Expedition führt ihn, nachdem er schon mehrere andere Indianerstämme besucht, ihre Sitten, ihre Lebensweise, ihre Kunst, ihre Mythen erforscht hat, zu einem weit abgeschiedenen Dorf, in dem nur das nackte Elend zu entdecken war, zu einem Stamm, dessen Leben auf das nackte Überleben reduziert ist. Aber auch in diesem Stamm gibt es eine Aristokratie.
In nichts unterscheiden sich die Mitglieder der Aristokratie von den anderen, ihr Leben ist genauso ärmlich wie das aller anderen, es gibt nichts, worauf diese Herren und ihre Damen einen besonderen Anspruch erheben könnten, weil da einfach nichts vorhanden ist, das ungleich verteilt werden könnte. Aber auch diese Aristokratie besitzt ein von ihnen eifersüchtig gehegtes Privileg: Sie, und nur sie allein, können an die Worte, die auch alle andere verwenden, eine komplizierte Endung anfügen. Mehr war's nicht, was sie zu Aristokraten machte.
Das folgende nur als Modell, um es sich klarzumachen. Sagte der einfache Indianer dieses Stammes zum Beispiel zu seiner Frau: Kuchen schmeckt gut, womit er ihr auf höfliche Weise andeuten wollte, sie solle doch wieder mal was Leckeres backen – typisch Patriarchat eben. Wobei ich jetzt nicht meine Hand dafür ins Herdfeuer legen kann, ob diese Beispiele in ihrem Elend überhaupt wussten, was Kuchen ist, und wie ihn backen, wenn kein Dr.-Oetker-Backpulver vorhanden, und wahrscheinlich werden sie sich auch nicht der deutschen Muttersprache bedient, sondern sich indianisch sondersprachlich ausgedrückt haben. Aber. Alles egal. Ethnologische Märchenstunde.
Der traurige Tropenreisende ist weit gereist, sein Geist ist längst verwirrt vom Ritt auf dem schwankenden Esel, die Sonne hat ihn verdampfen lassen – was wissen wir, ob er denn das, was er zu hören bekam, exakt lautlich wiedergegeben hat. Wollte der edel-adlige Vertreter dieser indianischen Ethnie zu seiner Frau sagen: Kuchen schmeckt gut, dann sagte er es so: Kuchendowskitrotzkitortorowitsch schmeckilileckili gutabastallabaster. Möglich, dass sich da bei meiner Reproduktion des Modells eine Silbe zu viel eingeschlichen hat, wodurch es dann einen vielleicht etwas übertriebenen Eindruck vermittelt. Aber ich denke, es wird verständlich, was gemeint ist – nein?
Der kommunikative Austausch mit diesen hohen Herren und ihren hochherrschaftlichen Damen war natürlich etwas schwierig, er zog sich dann auch schon bei den einfachsten Gesprächsthemen sehr lang hin, und untereinander im sprachlichen Verkehr wurde es ja dann doppelt lang. Man gab es auf, mit ihnen zu reden, auch sie verstummten und vermieden es, irgendetwas sprachlich zum Ausdruck bringen zu wollen. Ein Versailles im Dschungel, im Elend, ein Versailles aus Sprache. Pompös, glanzvoll, verschnörkelt. Und Versailles war ja dann auch das noch: ein goldener Käfig für den französischen Adel.
Wie man sich zu benehmen und auszudrücken hatte, die ganzen Titel, die zu beachten waren, wer wem vorauszugehen hatte, wie tief die Verbeugung sein musste, die Eifersüchteleien, der Hof-Klatsch. Geturtelt, gepickt und gevögelt durfte von diesen schrägen Vögeln und hübschen Vogelscheuchen dann natürlich ganz unnatürlich den lieben langen langweiligen Tag lang auch werden, dann waren sie beschäftigt und konnten keine Intrigen gegen den König spinnen.
Kapiert, was ich damit sagen will? Dann auf in die Gegenwart. Ganz aktuell aristokratisch.
„Zusätzlich finden sich zahlreiche inhaltliche Fehler. Während in dem Zitat der Grünen-Politikerin Ulle Schauws korrekterweise von Transgeschlechtlichkeit gesprochen wird, benutzt Martin Lau unbeirrt weiter den veralteten Begriff Transsexualität.“ Linus Giese
So stand es hier in der Berliner Zeitung vor ein paar Wochen zu lesen, und ich erlaube mir, dieses Zitat aus seinem wohlmeinenden Zusammenhang zu reißen, es geht mir ums Prinzip: Ist das nun eine Haarspalterei? Linus Giese, der hier bei mir zwei Häuser weiter in dem bekannt gewordenen Buchladen „She said“ am Kottbusser Damm arbeitet, in dem meine „Speedy“ nicht verkauft wird, obwohl der Roman dort hingehört, und Genoss/Innen werden's wahrscheinlich für hochbedeutsam halten.
Man/frau/dazwischen muss schon in die Mysterien der Gender-Theorie eingeweiht sein, um sich nicht zwischen Geschlechtlichkeit und Sexualität zu verirren. Und * muss immer up to date sein, um nicht als veraltet zu gelten. Aus aristokratischer Sicht ist die Annahme, die Sprache diene einfach der Verständigung, ja sowieso ein inhaltlicher Fehler, sie sei ebenso ein Mittel der Distinktion.
„Man muss aufpassen, dass man durch Gendern keine neue ‚Hofsprache‘ kreiert. Im Sinne von ‚Ich bin gebildet und verstehe den Satz: Der/die jeweilige Wählende hat seine/ihre Stimme bei dem/der Wahlleitenden abgegeben, um damit seine:n/ihre:n Bundespräsident:inkandidat:in zu wählen.‘ Gerade Nicht-Muttersprachler und keine hochgebildeten Personen tun sich mit solchen Satzungeheuern schwer. Es besteht also die Gefahr, wieder Menschen durch Sprache auszugrenzen.“ Freiburgerjung, Kommentar aus der ZEIT.
