Die Ausgeladene sprach in den sozialen Medien von Cancel Culture: Am Freitag vergangener Woche beklagte die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot auf Twitter und Facebook, man habe sie aus der Jury für den NDR Sachbuchpreis ausgeschlossen. Tatsächlich hatte der Sender Guérot diese Entscheidung einen Tag zuvor mitgeteilt. Bei der Anfrage zur Mitarbeit in der Jury sei nicht hinreichend berücksichtigt worden, dass Guérot sich mit öffentlichen Äußerungen von den Werten der wissenschaftlichen Gemeinschaft und des NDR Sachbuchpreises deutlich entfernt hat, hieß es in dem Transparenzhinweis, den der NDR auf seiner Webseite veröffentlichte. Um welche Werte und welche öffentlichen Äußerungen es sich handelt, blieb offen.
Am Montagabend schickte das NDR Sachbuchpreis-Team in einer E-Mail folgende Erläuterung an die Berliner Zeitung: „Ausschlaggebend für diese Entscheidung sind keineswegs Einschätzungen und Analysen oder persönliche inhaltliche Auffassungen, die Frau Prof. Ulrike Guérot im öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs zu verschiedenen Themen beiträgt. Im Gegenteil: Diese haben, entsprechend dem Gebot der Meinungspluralität und der journalistischen Fairness, in zahlreichen Medien ausführlich Platz - auch im Programm der ARD.“
Im Gegensatz zum Programm des NDR sei die Jury des NDR Sachbuchpreises jedoch kein passender Ort für öffentlichen gesellschaftlichen Streit, sie habe eine andere Aufgabe, nämlich zu entscheiden, welche der Wettbewerbseinreichungen mit dem NDR Sachbuchpreis ausgezeichnet werden.
Abgrenzung zwischen Tatsache und Behauptung
Den notwendigen Rahmen für die innere Zusammenarbeit der Jury, für ihre Diskurs- und Entscheidungsfähigkeit zu schaffen und zu erhalten, sei die Aufgabe der Jury-Vorsitzenden, heißt es in der E-Mail weiter. „Dazu gehören neben Vertraulichkeit und Sachlichkeit jene Grundwerte wissenschaftlicher Praxis, für die der NDR Sachbuchpreis und seine Jurymitglieder persönlich stehen: wissenschaftliche Sorgfalt, Wahrheit und Wahrhaftigkeit, die klare Abgrenzung zwischen Tatsache und Behauptung, zwischen These und Beleg. Gegen Frau Prof. Ulrike Guérot sind vonseiten der wissenschaftlichen Community ernstzunehmende Vorwürfe des unsachgemäßen Vorgehens im Rahmen ihrer eigenen Publikationen erhoben worden.“ Die Jury-Vorsitzende - es ist die NDR-Programmdirektorin Katja Marx -habe deshalb entschieden, dass eine Mitwirkung von Ulrike Guérot diesem notwendigen Rahmen der Juryarbeit nicht zuträglich wäre.
Worauf sich diese Stellungnahme bezieht, sind die Plagiatsvorwürfe, die der Politikwissenschaftler Markus Linden von der Universität Trier Anfang Juni in zwei FAZ-Artikeln gegen Guérot erhob. Es geht um die Bücher „Wer schweigt, stimmt zu“ von 2022 und „Warum Europa eine Republik werden muss“ aus dem Jahr 2016. Ulrike Guérot selbst spricht von Flüchtigkeitsfehlern, für die sie sich längst entschuldigt habe.
