Liebe & Sex

Sex, Poesie, Geld: Wie ein israelischer Soldat seine Erfüllung als Gigolo fand

Schöne Frauen bezahlen Mosche für Sex, nachts schreibt er Gedichte darüber. Doch manchmal reißt der Job auch alte Wunden auf.

„Sowohl als Gigolo als auch als Soldat frage ich mich ständig: Kann ich weiter gehen, als ich denke?“
„Sowohl als Gigolo als auch als Soldat frage ich mich ständig: Kann ich weiter gehen, als ich denke?“Sun Bai

Er, der einst Postbote, Bäcker und Armeekommandant war, ist heute Sexarbeiter. Seit einem Jahr schläft Mosche für Geld mit Frauen. Sie können ihn im Internet unter dem Begriff  „Tantramassage“ finden. Dort verspricht er ihnen dann „das ganze Spektrum“.

„Ich habe nach einer Einnahmequelle gesucht, um meine Großmutter zu unterstützen, aber auch als Inspiration für meine Gedichte. Jetzt bin ich ein Gigolo.“ Lange bevor er dafür Geld verlangte, hatte Mosche sich zum Tantramasseur ausbilden lassen, einfach so, aus Leidenschaft an der Sache. Er ist gut im Bett – das weiß er. Viele der Frauen, mit denen er schläft, wollen ihn immer wieder treffen.

Die ersten Anrufe, erinnert sich Mosche, waren unseriös. Aber irgendwann rief ein Paar an und lud ihn zu sich nach Hause ein. Er sollte mit der Frau schlafen, während ihr Mann ihm zusieht. Sie war Kindergärtnerin, blond und zügellos. „Sie entjungferte mich quasi in meiner neuen Rolle.“ Der Ehemann stand währenddessen daneben. „Ich spürte, wie die Situation ihn überfordert. Er wurde eifersüchtig“. Als er dann für kurze Zeit das Zimmer verlässt, küsst Mosche seine Kundin auf den Mund. Er ist verliebt, ohne ihren Namen zu kennen. Sie sehen sich nie wieder.

Mit Mosche war der Sex einfach anders

Etwa die Hälfte seiner Kunden sind Paare, die andere Hälfte 30 bis 50 Jahre alte Singlefrauen. Seine jüngste Kundin war gerade erst 18. Zuvor hatte sie nur eine einzige sexuelle Erfahrung, die enttäuschend war. Mit Mosche war es dann anders. Zumindest behauptet er das.

Manchmal sehen die Frauen aus wie Models. „Ich finde es wahnsinnig sexy, dass diese Schönheiten mich bezahlen.“ Es ist diese Fantasie – „Wer wird sie heute sein?“ –, die ihn immer weiter antreibt. Das Adrenalin, das Herzrasen, wenn er an die Zimmertür im Hilton-Hotel an der Tel Aviver Strandpromenade klopft, hinter der sich dann eine unbekannte Frau verbirgt.

Nach dem Adrenalinschub tritt bei Mosche Leere ein. Ein nagendes Gefühl von Wertlosigkeit. Die meisten Frauen wollen eben nur Sex, Liebe sucht niemand. Manche sind in Beziehungen und bekommen von ihrem Partner nicht, was sie sich wünschen. Andere sind einsam. Dann geht es um Intimität. Um Kuscheln, ums Küssen. Diese Begegnungen findet Mosche am schönsten.

Sexarbeit als Mittel, um Missbrauch aufzuklären

Einmal rief ein Mann mit unterdrückter Nummer an und bat Mosche, mit seiner Frau zu schlafen. Als Mosche zustimmte, fragte der Mann, ob ihre 15-jährige Tochter zuschauen und vielleicht sogar mitmachen könne. Im ersten Moment war er zu schockiert und lehnte sofort ab. Aber: „Dann wurde mir klar, wenn ich ja sage, kann ich die Polizei dort hinlotsen und ihn hinter Gitter bringen.“ Mosche wollte dem Mädchen helfen, den Missbrauch aufklären. Doch der Mann war misstrauisch geworden, weil Mosche seine Meinung so schnell geändert hatte.

Letztendlich wurde nichts aus dem Treffen. Der Vorfall machte Mosche traurig. „Ich schämte mich, dass ich zu einem Menschen geworden war, der solche Anrufe erhält. Irgendwann wird dieser Perverse jemanden finden, der für genug Geld alles tun wird.“ Es war das einzige Mal, dass er Scham verspürte wegen seines Jobs.

Andere Begegnungen sind erniedrigend. Mal wird er angespuckt, mal verflucht oder zum Sklaven gemacht. „Ich kann in dem Moment nicht sagen, ich möchte das nicht. Ich hatte doch das ganze Spektrum versprochen.“ Die Frau, die ihm das antat und ihn zu immer weiteren Treffen drängte, könnte vom Alter her seine Mutter sein. Auch diese verprügelte ihn als Kind regelmäßig, bis sie aus seinem Leben verschwand – da war er ein Teenager. Trotz der Wunden, die solche Erfahrungen aufreißen können, hat er Ehrfurcht vor seiner Sexarbeit. Hier kommt eben alles zusammen: Sex, Poesie, Geld.

Mosches Arbeit trägt poetische Früchte

Nachts, wenn Stille einkehrt, feilt Mosche an seinen Gedichten. Dort spürt er die Früchte seiner Arbeit am stärksten. Wenn du über Gott sprechen willst, musst du seine geheimen Orte auffinden und ertasten, sagt er. Sexarbeit ist für Mosche transzendent. Das Offensichtliche hingegen ödet ihn an.

Die Ängste und eigenen Grenzen, die er tagsüber erfährt, werden auf dem Papier zur Inspirationsquelle. Er fühlt sich dann lebendig. Die Wörter tanzen, die Strophen reihen sich fast von selbst aneinander. Sie alle führen auf die eine oder andere Weise zurück zu seiner Mutter. „Dafür schulde ich ihr viel. Sie war eine schlechte Mutter, aber sie brachte mir das freie Denken bei.“

Draußen im Park kreischen die Nachbarskinder beim Fangspiel. Mosches Handy vibriert. Eine Kundin ist dran, er drückt sie ungeduldig weg. Kurz darauf vibriert es wieder. Das alte, aufklappbare Nokia ist nur eins seiner vier Telefone und Pseudonyme. Für jeden dieser Kontakte hat Mosche eine andere Preiskategorie vereinbart.

In der Ecke seines Zimmers steht ein großer grüner Rucksack. Am Folgetag wird Mosche zu einem einwöchigen Reservedienst in der israelischen Armee aufbrechen, den junge Männer in Israel auch nach ihrer Entlassung aus der Armee leisten müssen. Die letzten Monate haben ihn geschliffen, sogar ausgebrannt. Aber er kann nicht aufhören. Der Adrenalinkick, den seine Arbeit ihm verschafft, ist für ihn zu einer Art Sucht geworden.

Wird sich je wieder eine Frau in ihn verlieben können?

Bevor der Dienst beginnt, will Mosche noch seine Großmutter besuchen, die in einem Dorf an der Grenze zum Gazastreifen lebt. Seit Jahren beschießt die radikalislamische Hamas ihr Zuhause mit Raketen. Er hat sich an die Bedrohung gewöhnt, Angst hat er keine. Hier zog seine Großmutter ihn auf, nachdem seine Mutter ihn verlassen hatte. Er liebt sie mehr als alles andere auf der Welt. Wenn er von Safta, der Großmutter spricht, werden Mosches Züge weich. Der kleine Junge in ihm kehrt zurück. Jeden Monat überweist er ihr tausend Shekel zum Lebensunterhalt, umgerechnet 250 Euro. Woher das Geld kommt, soll sie niemals erfahren.

„Sowohl als Gigolo als auch als Soldat frage ich mich ständig: Kann ich weitergehen, als ich denke?“ Seinen Militärdienst sieht er nicht als Dienst fürs Land. Beim Thema Politik zuckt er gleichgültig die Achseln, die interessiere ihn nicht. Gewählt hat er noch nie.

Sobald Mosche vom Reservedienst zurückkommt, will er sich nach einer neuen Arbeit umschauen. Die Frauen haben ihn zur Maschine gemacht. „Manchmal denke ich, welche Frau wird sich in mich verlieben, solange ich diesen Job mache?“ Wenn Mosche so spricht, sieht er traurig aus.