„Eine Bild sagt mehr als Tausend Worte“, meinte der Spiegel einmal zur Bild. Deutschlands größtes Boulevard-Blatt lockt mit Sprachfinesse und Schlagzeilen-Galanz. „Diese Affenhitze – werden wir jetzt alle Afrikaner?“, zum Beispiel. Solche Rassismus-Streiche stellen Kriegstreiber-Titel wie „Massen-MÖRDER Putin“ fast in die Ecke. Und die Folgen? Egal. Hauptsache sensationsverwöhnte Leser:innen „bilden sich ihre Meinung!“.
„Wir sind doch Boulevard“, meinen Bild-Mitarbeiter:innen. Boulevard heiße nun mal Überspitzung und Emotionalisierung. Volker Lilienthal nennt das die „besondere Redaktionskultur“ der Zeitung – von oben diktiert, liege eine Kein-Problem-Boulevard-Attitüde in der DNA des Blattes. Lilienthal muss es wissen, der Wissenschaftler untersuchte die Medienethik bei Bild. Ein Paradox? Nicht für den Professor.
Lilienthal erforschte, wie Bild-Mitarbeiter:innen über ihre Arbeit denken. 43 Interviews und viele Redaktionssitzungen später ist sein Fazit: „Die bei BILD arbeitenden Menschen sollte man nicht voreilig gleichsetzen mit dem, was BILD produziert.“ Hört, hört! Tatsächlich gebe es bei der Bild-Zeitung nämlich Medienethik. Das heißt, die Mitarbeiter:innen diskutierten über Grenzen der Berichterstattung und wägten sie ab. Und am Schluss? In den „meisten Fällen“, so Lilienthal, setze „sich eben doch das Programm Boulevard durch“ und ethische Grenzen würden überschritten.

Das klingt fast, als sei das „Programm Boulevard“ eine höhere Gewalt – wie die Hand Gottes erlaubt es kein Entkommen. Aber Programme sind von Menschen gemacht und werden von ihnen durchgesetzt. Bei der Bild, so Lilienthal, geschehe das vor allem durch die Chefredaktion. Sie treibe „das Programm“ bis an die Grenzen und stelle wiederholt „Absatzinteressen vor Medienethik“. Ganz nach dem Motto: Emotionen vor Fakten und alles fürs Geld. Das ist der Bild-Kosmos. Wer für die Zeitung arbeitet, weiß das vor Jobantritt.
Bild-Mitarbeiter:innen sind klug, differenziert und denkend
Trotzdem sind Bild-Mitarbeiter:innen klug, differenziert und denkend. Laut Studie hätten viele „persönliche Moral“, ein „feines Sensorium“ und teilweise „persönlich andere Präferenzen“. Blinde Lemminge schockierten weniger. Denn im Rückschluss heißt das ja: Bild-Mitarbeiter:innen wissen, was sie tun. Sie produzieren in vollem Bewusstsein, was menschlich schockiert und gesellschaftlich zersetzt – nicht nur Überspitzung und Emotionen, sondern auch Unwahrheiten und Hetzkampagnen. Keine andere Zeitung erhält so viele Rügen vom Presserat. Fast 30 Prozent der seit 1991 ausgesprochenen 900 Rügen gingen auf das Konto der Bild. Auch das ist Bild-Programm und Teil ihrer DNA.
Kurz, Schlagzeilen wie „Massen-MÖRDER Putin“ kommen nicht von irgendwo. Sie sind das Produkt redaktioneller Arbeit – und nicht der Chefredaktion allein. Auch die Bild-Mitarbeiter:innen tragen das Programm Boulevard. Dieses Programm mag ihnen als Freifahrtschein für Regelbrüche dienen; für eine Abschiebung der Verantwortung reicht es aber nicht. Denn Bild-Mitarbeiter:innen treffen Entscheidungen und setzen Prioritäten, am Ende für die Marke Bild. Auch so glänzt Ethik durch Abwesenheit.




