Filmkolumne „Das fliegende Auge“

Achill strauchelt: Griechische Filme im Kino Babylon

Massenhaft trotzige Energie: Die achte Ausgabe des Griechischen Filmfestivals bietet Einblicke in ein Land zwischen Krise und Katharsis. 

Szene aus dem griechischen Film „Where we live“ (2022)
Szene aus dem griechischen Film „Where we live“ (2022)The Greek Film Festival

Thanos Tokakis tourt mit seiner neuen One-Man-Show durch die griechische Provinz. Als einstiger TV-Comedian namens Achill ist er hier noch relativ bekannt. Doch kaum jemand will sein aktuelles, ironisch angelegtes Programm sehen. So durchläuft er einen Horrortrip durch die abgestumpfte Realität seiner Heimat, wird mit Vulgarität, Ignoranz und allen Spielarten toxischer Männlichkeit konfrontiert. Nachts hockt er in billigen Hotelzimmern und leckt seine Wunden.

Er strampelt sich weiter ab, kommt aber nicht dahinter, welches Spiel die Götter mit ihm treiben. Tokakis verkörpert in dem Kurzfilm „Tokakis“ sich selbst, er gleicht die antike Mythenwelt mit der schäbigen Gegenwart ab. Seine Bilanz fällt ernüchternd aus, setzt aber trotzige Energien frei.

Ähnliche auto-regenerative Effekte sind auch aus anderen Beiträgen des „Greek Film Festival“ ablesbar. Befindet sich Griechenland heute in einer Dauerschleife der Krise oder in einer der Katharsis? Oder hängt beides, eng umschlungen, miteinander zusammen?

Der Überlebenswille ist noch lange nicht erschöpft

Die 35 kurzen und langen Filme des aktuellen Festivals liefern für diese Fragen keine Antworten. Sie geben aber seltene Einblicke aus erster Hand. In „Dignity“ (Würde) von Dimitris Katsimiris wird die Begegnung dreier Geschwister am Krankenbett des Vaters zum Impuls, lange verdrängte Konflikte anzugehen. In der Dokumentation „5 1/2 Years“ gehen Myrto Symeonidou und Ioanna Papaioannou der Frage nach, wie es dazu kommen konnte, dass die drittstärkste Partei des Landes unter dem euphemistischen Namen „Goldene Morgenröte“ ihre kriminellen und menschenverachtenden Machenschaften ungehindert entfalten konnte.

Und mit „Magnetic Fields“ inszeniert der einstige Comic-Künstler Giorgos Gousis sein ironisches Road Movie auf einer kleinen Insel, auf der alle Fluchtwege zwangsläufig immer wieder zum Anfang führen. Nein, es gibt keine sicheren Rückzugsgebiete mehr, weder in der Natur noch in der Familie, von der Politik ganz zu schweigen. Auf der anderen Seite ist der Überlebenswille noch lange nicht erschöpft.

Am deutlichsten werden diese Energien im Eröffnungsfilm spürbar. Ausgerechnet an seinem Geburtstag nimmt das Hamsterrad für den gerade noch jungen Anwalt Antonis immenses Tempo auf. Aus Gutmütigkeit übernimmt er das aussichtslose Mandat für einen alten Schulfreund. Der Termin vor Gericht wird für ihn zum Ausgangspunkt einer weitverzweigten Odyssee, in deren Verlauf wir seine getrennten Eltern, seine Ex-Frau und jede Menge windige Gestalten kennenlernen.

Ganz Griechenland erscheint als abgewrackte Kulisse: Alle sind verschuldet, alle versuchen, untereinander Geld einzutreiben. Sinnbild dafür ist die Taverne, mit der sein Vater einst das große Geld machen wollte. Nun versucht er sein Glück mit der albanischen Mafia – was natürlich nicht gutgehen kann. Und Antonis' letzte Hoffnung, durch eine Berufung zur Europäischen Union noch einmal die Kurve zu kriegen, rückt in immer weitere Ferne. Aber egal, zuletzt liegen sich die Freunde und Familienmitglieder dann doch wieder in den Armen. Irgendwie geht es weiter.

Griechisches Filmfestival Berlin. 29. März bis 2. April, Kino Babylon (Mitte)