Was für ein Gemetzel: 1985 wurde der Friedrichstadtpalast am Schiffbauerdamm abgerissen. Hans Poelzig hatte die einstige Markthalle 1919 für den Theaterkönig Berlins, Max Reinhardt, zum Großen Festspielhaus umgebaut, 1980 war es geradezu panikartig von den DDR-Baubehörden wegen Einsturzgefahr geschlossen worden. Für den Bau des Charité-Hochhauses hatten sie das Grundwasser so weit abgesenkt, dass die Holzpfähle des Poelzig-Baues an die Luft gerieten und verfaulten. Ein Fehler, der in der DDR nicht repariert werden konnte - vielleicht auch nicht werden sollte. Poelzig war zu dieser Zeit noch nicht wirklich als Großer der frühen Moderne entdeckt worden, seine exaltierte Kunst sah, zumal wenn sie etwas angegangen war vom Zahn der Zeit, für viele wohl nur dekadent aus mit hohen Stalaktitgewölben über dem Theatersaal und weit auskragenden Lichtschirmen im Foyer. Doch andererseits gab es offenkundig auch das Gefühl, dass hier etwas einzigartiges fallen würde, der Symbolbau einer expressiven, emotional ausschweifenden Moderne schlechthin, theatergeschichtlich genau so bedeutsam wie architekturhistorisch.Und so gelang es dem Japaner Ryuji Miyamoto, Aufnahmen während des Abbruches zu machen, melancholische Abgesänge auf ein Kunstwerk ganz aus Stuck und Rabitz. Sie sind derzeit in der umfassenden Ausstellung zum Lebenswerk Hans Poelzigs in der Akademie der Künste zu sehen. In aller Breite wird hier der Nachlass des 1869 in Berlin geborenen Architekten gezeigt. Neugotische Jugendarbeiten sind zu entdecken und Villen, die vom Einfluss des Werkbundes und von Hermann Muthesius' Feier des englischen Landhauses als Vorbild modernen bürgerlichen Lebensstils zeugen. Vieles überrascht, etwa die neuexpressionistischen Gemälde Poelzigs, die selbst mit dem Abstand von achtzig Jahren eher als Hobbyschöpfungen erscheinen, aber interessant sind als Teil der Persönlichkeit des Architekten. Oder seine faszinierenden Porzellanentwürfe, die jede Rokoko-Exaltiertheit leicht überflirren.Es gab kaum eine Entwurfsaufgabe, vor der Poelzig zurückschreckte, vom Umbau des mittelalterlichen Rathauses in Löwenberg und monumentale Ehrentempel für die Reichseinigung, einem Entwurf für das Schiffshebewerk in Niederfinow über Orgelprospekte, das Haus des Rundfunks - dessen Foyer nun wohl wieder von den jüngsten Theken-Einbauten befreit wird (siehe Berliner Zeitung vom 30.11.2007) - bis hin zu Tankstellen, Grabanlagen, die chemische Fabrik in Luban bei Posen oder Schrebergartenhäusern. Große Stadtplanungen entstanden wie das Ausstellungsgelände in Breslau, in dem er die klassische Form der dorischen Säule gotisierte, oder die Stadtsanierung am Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin mit Wohngebäuden und dem Kino Babylon, sinnlicher als die meisten Bauten des Bauhauses, aber eben dennoch den Formen des Neuen Bauens verpflichtet.Dennoch wurden nur Poelzigs expressionistischen Festspielhausvisionen in den Kanon der Klassischen Moderne aufgenommen. Wenn diese Ausstellung sich nicht nur auf sein Werk konzentrierte, sondern auch Vergleichsmaterial zeigte, sähe man, warum. Dann würde deutlich geworden sein, dass Poelzigs Hochhausentwurf an der Friedrichstraße mit gleichzeitigen Arbeiten der Hamburger Backsteinexpressionisten Fritz Schumacher und Fritz Höger konkurrierte, seine Talsperre Klingenberg in Sachsen Teil des "teutonischen" Monumentalismus eines Peter Behrens oder German Bestelmayer ist. Offenkundig versuchte Poelzig wie diese, den als nordisch empfundenen "Geist der Gotik", wie ein 1917 erschienenes populäres Buch Karl Scheffler hieß, zur Grundlage einer nationaldeutschen Moderne zu machen. Deutlich wäre aber auch, warum Poelzig das Ausnahmetalent geblieben ist, und sei es nur wegen seiner kraftvollen Zeichnungen, die alleine schon den Besuch dieser Ausstellung lohnend machen.Ausstellung: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, Di-So 11-20 Uhr, Eintritt 6/4 ¤, bis 20. 1.Begleitbuch: Wolfgang Pehnt, Matthias Schirren (Hrsg.), Hans Poelzig. Architekt, Lehrer, Kunstler, Deutsche Verlags-Anstalt 2007, 268 S., 39,90 Euro.------------------------------Foto: Selbst im Abbruch zeigte sich das 1919 von Poelzig gestaltete Große Schauspielhaus 1985 noch als außergewöhnliches Kunstwerk.