Berlin-In der Stadt ist viel unterwegs. Dazu gehören auch wild lebende Wesen, die mehr als zwei Beine haben, zum Beispiel Füchse, Waschbären und Marder. Sie nutzen die Chance, in den Städten relativ einfach an Nahrung heranzukommen: etwa in Gärten und Mülltonnen. Doch wie spielen sich die Interaktionen zwischen Wildtieren und Stadtbewohnern ab, zu denen ja neben den Menschen zum Beispiel auch Hauskatzen gehören? Das wollten Wissenschaftler des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (Leibniz-IZW) wissen, das direkt am Berliner Tierpark angesiedelt ist.
Die Forscher haben zehntausende Fotos von etwa 150 Wildtierkameras ausgewertet, die im Rahmen des bürgerwissenschaftlichen Projekts „Wildtierforscher in Berlin“ von 2018 bis 2020 in Gärten installiert wurden. Diese zeigen, „wie Füchse, Waschbären, Marder und Hauskatzen in der Stadt miteinander umgehen und wie gut sie mit dem Menschen auskommen“, heißt es in einer Mitteilung des Leibniz-IZW. Die Ergebnisse wurden im Journal of Animal Ecology veröffentlicht.
Städtische Gärten als Orte wilden Lebens
Im Projekt „Wildtierforscher in Berlin“ arbeiteten Wissenschaftler des Leibniz-IZW mit Berliner Bürgern zusammen. Es hatte insgesamt 800 Teilnehmer und zählte zu den deutschlandweit etwa 130 Projekten, in denen sich Bürger an Forschung beteiligen können, zu finden auf dem Portal buergerschaffenwissen.de. Als Untersuchungsstandorte seien städtische Gärten ausgewählt worden, „weil sie auf Wildtiere sowohl anziehend als auch abweisend wirken können“, schreibt das Leibniz-IZW. Zum einen seien sie mit Kompost, Gemüsebeeten, Obstbäumen oder Haustierfutter eine wichtige Nahrungsquelle für Wildtiere. Zum anderen seien sie Orte, an denen unerwünschte Begegnungen drohten – mit Menschen und Haustieren.

Das Projektteam teilte Berlin in fast 300 Zellen ein, Größe zwei mal zwei Kilometer. Bürger, die sich mit ihren Gärten für das Projekt bewarben, wurden so ausgewählt, dass sie sich möglichst gleichmäßig über das gesamte Raster verteilten. In den Gärten wurden Wildtierkameras installiert. Es gab fünf sogenannte Feldphasen von je einem Monat. Herausgefunden werden sollte, wie präsent Füchse, Waschbären, Marder und Katzen in den Gärten sind.
„Das heißt, wir wollten wissen, ob sie dieselben Orte nutzen, und wenn ja, ob sie sich aus dem Weg gehen, indem sie zum Beispiel zu unterschiedlichen Tages- oder Nachtzeiten kommen“, sagt Julie Louvrier, die Erstautorin der Studie. Sie ist Gastwissenschaftlerin am Leibniz-IZW und Stipendiatin an der Technischen Universität (TU) Berlin. Außerdem ging es um den Umgang mit der Präsenz des Menschen. Diese änderte sich während der Corona-Zeit. Der zusätzliche Lockdown-Effekt wurde ebenfalls untersucht. In jeder sogenannten Feldphase wurden 2200 bis 3000 Fotos von Katzen, 300 bis 1200 von Rotfüchsen, 250 bis 1000 von Waschbären und 50 bis 300 von Mardern geschossen. Dazu kamen viele Fotos von anderen Säugetieren – von kleinen Mäusen bis zum Wildschwein. Insgesamt ergab die Aktion 300.000 Fotos.
Junge Füchse müssen sich behaupten
Unter anderem stellten die Wissenschaftler fest, dass es eindeutige Jahreszeiten-Unterschiede gibt. Berliner Füchse, Waschbären, Marder und Katzen sind vor allem im Herbst aktiv, weniger im Frühling. Das hat verschiedene Gründe. Der Herbst stelle unter anderem die Jahreszeit dar, „in der Fuchs-, Waschbär- und Marder-Jährlinge beginnen, sich auszubreiten und nach neuen Territorien zu suchen“, schreiben die Wissenschaftler. Sie erkundeten somit auch neue Gärten. Bei den Füchsen werden zum Beispiel die Jungtiere, die im Mai geboren wurden, zwischen September und November von ihren Eltern vertrieben, erklärte vor einiger Zeit der Berliner Wildtierbeauftragte Derk Ehlert. In dieser schwierigen Phase suchten die jungen Rotfüchse intensiv nach Futter. Und kämen den Menschen oft sehr nahe.
Auch Waschbären nähern sich menschlichen Siedlungen vermehrt, wenn es draußen kälter und das Futter knapper wird. Ursprünglich aus Nordamerika stammend, brachte man diese invasive Art einst als Pelzlieferant nach Deutschland. Waschbären suchen in Komposthaufen und Mülltonnen nach Futter, verstecken sich in Schuppen und auf Dachböden. Auch der Marder ist mit der Wintervorbereitung beschäftigt und sucht sich gern warme Plätze. Im Frühjahr wiederum stellten Gärten „aufgrund der geringen Produktivität zu dieser Jahreszeit möglicherweise keine Hauptnahrungsquelle dar“, schreiben die Forscher.

Im Lockdown beobachteten die Forscher insgesamt mehr Füchse, Marder und Waschbären in den Gärten – wahrscheinlich, weil weniger Menschen im städtischen Raum unterwegs waren. Zugleich hielten sich mehr Menschen in jener Zeit auf ihren Grundstücken auf. Die Folge: Die Wildtiere, die oft schon in der Dämmerung umherstreifen, konzentrierten ihre Aktivitäten auf die Nacht, wenn die Menschen schliefen. „Alle untersuchten Wildtierarten tolerieren zwar bis zu einem gewissen Grad die Anwesenheit von Menschen, vermieden aber echte Begegnungen mit ihnen“, heißt es in der Mitteilung zu der Studie. Auch wenn ihr Leben vom Menschen nicht direkt bedroht sei, wie die Forscher erklären.
Hauskatzen sind die dominierende Spezies
Doch wie kommen die Tiere untereinander aus? Und wie verhalten sie sich, wenn Hauskatzen auftauchen? Die Wissenschaftler beobachteten, dass das Auftreten der Wildtiere sich ähnelte. Wenn insgesamt mehr Füchse da waren, gab es auch mehr Waschbären und Marder – und andersherum. „Sie gehören der gleichen ökologischen Gilde an und nutzen die gleichen Ressourcen in einer vom Menschen überformten Umgebung wie der Stadt“, heißt es zur Erklärung. Gleichwohl gingen sich die Arten aus dem Weg. Ihr Auftreten geschah mit einer „systematischen Zeitverzögerung“, wobei die Hauptzeiten zwischen 18 Uhr abends und sechs Uhr morgens lagen.
Während des Lockdowns verkürzte sich diese Zeitverzögerung – außer bei den Mardern, von denen es aber insgesamt sehr wenig Fotos gibt. Weil die Menschen ihre Grundstücke mehr nutzten, wurden auch die Zeitfenster kleiner, in denen die einzelnen Arten sich in den Gärten aufhielten – wohl weil alle nun die Nachtstunden nutzen mussten.
Die Hauskatzen seien ein Sonderfall, schreiben die Forscher. Sie erschienen nicht nach einer bestimmten Regel und zu bestimmten Zeiten, sondern offenbar, wann sie wollten, hauptsächlich am Tage, aber auch oft in der Nacht. Sie seien die dominierende Spezies, schreiben die Forscher. Obwohl das Körpergewicht von Katzen im Durchschnitt unter dem von Füchsen und Waschbären liege, hätten Katzen „kein zeitliches Vermeidungsmuster gegenüber den anderen Arten“ gezeigt. Kurz: Sie kümmerten sich kaum darum, ob auch andere Tiere da waren, die möglicherweise größer und stärker sind.
Waschbären orientieren sich an Katzen
Interessant ist jedoch: Wo insgesamt mehr Katzen fotografiert wurden, gab es auch mehr Waschbären. Diese invasive Art, größer als Katzen, nutzten die Anwesenheit von Hauskatzen offenbar als Hinweis auf Nahrungsquellen – vor allem auf Haustierfutter in Gärten, auf dem Kompost und im Müll. Marder und Füchse tauchten allerdings nicht öfter auf, wenn es Katzen auf den Grundstücken gab. Generell würden die Wildtiere Katzen meiden, so die Forscher, obwohl eine frühere Studie ergeben habe, dass Füchse Hauskatzen in städtischen Gebieten töten könnten.
„Unsere Untersuchung gewährt neue Einblicke in die Regeln, die den Interaktionen in einer Gemeinschaft mittelgroßer Beutegreifer in einer städtischen Umgebung zugrunde liegen“, sagt Julie Louvrier. Der Mensch spiele die Rolle einer „Super-Schlüsselart“, und seine Haustiere übten eine Dominanz auf die lokale Tierwelt aus – selbst auf Arten, die relativ gut mit menschlicher Präsenz in vom Menschen überformten Landschaften zurechtkämen.


