Cambridge-Seit in den 1990er-Jahren der erste Planet außerhalb unseres Sonnensystems entdeckt wurde, sind etwa 4800 Planeten hinzugekommen. Sie gehören zu etwa 3500 Sternsystemen. Man nennt sie Exoplaneten. Nahezu täglich werden weitere entdeckt. Und mit manchen verbinden Astronomen die Hoffnung, dass sie Leben beherbergen könnten. Nun haben britische Astronomen eine neue Klasse möglicher lebensfreundlicher Exoplaneten beschrieben. Sie nennen sie Hycean-Planeten: eine Zusammensetzung aus hydrogen (Wasserstoff) und ocean (Ozean).
Es geht um heiße Ozeanplaneten, die vollständig mit Wasser bedeckt sind und eine dichte Wasserstoffatmosphäre haben. „Von den Tausenden heute bekannten Exoplaneten sind die allermeisten massearme Planeten mit Größen von ein bis vier Erdradien“, schreiben die Forscher. Von der Größe und Beschaffenheit lägen sie zwischen den sogenannten terrestrischen Planeten – Gesteinsplaneten wie die Erde, die meist einen Schalenaufbau aufweisen – und den Gas- und Eisriesen des Sonnensystems. Diese Planeten werden vorwiegend als Supererden oder Mini-Neptune bezeichnet.
Große Mengen flüssigen Wassers
Hycean-Planeten könnten nun – je nach Planetendichte – felsige Supererden sowie Mini-Neptune enthalten und würden voraussichtlich zahlreich in der Exoplaneten-Population vorkommen, schreiben die Forscher um Nikku Madhusudhan von der britischen University of Cambridge im Fachmagazin The Astrophysical Journal.
Als möglicherweise bewohnbar (habitabel) gelten Planeten, wenn ihre mittlere Temperatur größere Mengen flüssigen Wassers zulässt. Diese Temperatur ist vor allem abhängig von der Strahlungsintensität des jeweiligen Sterns und der Entfernung des Planeten von diesem Stern. Man spricht auch von der habitablen Zone.
In unserem Sonnensystem gibt es zum Beispiel vier terrestrische (erdähnliche) Planeten – Gesteinsplaneten mit Schalenaufbau: Merkur, Venus, Erde und Mars. Im äußeren Sonnensystem befinden sich die gasreichen Riesenplaneten. Nur die Erde liegt mitten in der habitablen Zone. Auf den anderen Planeten unseres Sonnensystems ist es für flüssiges Wasser zu heiß oder zu kalt.
Wie sieht es aber aus, wenn man weiter hinausgeht ins All? Unter den bisher entdeckten 4800 Exoplaneten in unserer Milchstraße befinden sich nur sehr wenige in der habitablen Zone. Der „Habitable Exoplanets Catalog“ der Universidad de Puerto Rico in Arecibo enthält genau 60 potenziell bewohnbare Planeten, darunter 23 in Erdgröße, 36 in Über-Erdgröße (Supererden oder Mini-Neptune) und einer in Marsgröße. Die Entfernungen reichen von 4,2 bis zu 4973 Lichtjahren.
Allerdings vermuten Astronomen, dass es viel mehr potenziell bewohnbare Planeten gibt. Allein in der Milchstraße könnten es viele Milliarden sein, schätzten Forscher bereits vor Jahren. Es soll sich dabei um felsige Planeten handeln, nicht viel größer als unsere Erde, die ausnehmend häufig in den habitablen Zonen um schwach leuchtende rote Zwergsterne zu finden seien. Allerdings wirken vermutlich energiereiche Strahlungsausbrüche dieser Sterne einer Entstehung von Leben auf den Planeten entgegen.
Trügerische Hoffnungen
Dennoch richten sich auf Exoplaneten einige Hoffnungen. „Ich glaube nicht, dass wir weitere tausend Jahre überleben, wenn wir diesem zerbrechlichen Planeten nicht entkommen“, sagte einst der Astrophysiker Stephen Hawking, der 2018 starb. Dabei muss man aber bedenken, dass wohl keiner dieser Planeten in absehbarer Zeit für die Menschheit erreichbar ist. Der erdnächste – Proxima Centauri b – kreist um den roten Zwergstern Proxima Centauri in etwa 4,2 Lichtjahren Entfernung. Mit herkömmlichen Raumschiffen bräuchte man Zehntausende von Jahren, um ihn zu erreichen.
Es gibt zwar Überlegungen, chipgroße Minisatelliten auf ein Fünftel der Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen, um sie innerhalb von wenigen Jahrzehnten zum nächsten Exoplaneten zu schaffen. Aber mit dem milliardenteuren Unternehmen hätte man noch nichts erreicht, außer dass einige Funksignale zur Erde zurückgesandt werden. Für die aktuellen irdischen Probleme bilden Exoplaneten wohl keine Lösung.
Eine riesige Vielfalt an Welten
Für Astronomen ist es vor allem interessant, die Vielfalt der fernen Welten kennenzulernen und immer mehr Wissen über das Universum zu sammeln. Aufgespürt werden Exoplaneten mithilfe verschiedenster Methoden – auf indirektem Weg, denn sehen kann man sie meist nicht. Um sie zu entdecken, werden minimale Sternbewegungen, regelmäßige Sternverdunklungen und das Lichtspektrum von Sternen analysiert. Auf diese Weise konnten bereist viele interessante Erkenntnisse gewonnen werden.
Vor allem zeigt sich, dass die meisten Planetensysteme um ferne Sterne anders aussehen als das uns bekannte Sonnensystem. So kreisen zum Beispiel riesige Planeten, die halb so groß sind wie der Gasgigant Jupiter, so dicht um ihre Sterne, dass sie sie in vier Tagen umrunden. Astronomen fanden Planeten mit einer Dichte geringer als Kork, lavabedeckte Gesteinsplaneten mit Wolken aus verdampften Metallen sowie ganze Wasserwelten mit dichter, heißer Atmosphäre. Viele Planeten gehören zu Mehrfachsystemen, werden zum Beispiel von vier Sonnen regiert.
Bei der neu beschriebenen Klasse der sogenannten Hycean-Planeten handelt es sich um Wasserwelten, die viel häufiger auftreten als Felsplaneten mit flüssigem Wasser, wie die Astronomen um Nikku Madhusudhan von der University of Cambridge schreiben. Sie hatten zuvor einen Exoplaneten namens K2-18b untersucht, der 2015 mit dem Weltraumteleskop Kepler entdeckt worden war. Er befindet sich im Sternbild Löwe, etwa 124 Lichtjahre von der Erde entfernt. Der Planet ist etwa achtmal so schwer wie die Erde und sein Radius etwa 2,5-mal so groß. In seiner Atmosphäre wurde neben Wasserstoff auch Wasser nachgewiesen.
Leben auch bei hohem Druck und Hitze
Sogenannte Hycean-Planeten können den Astronomen zufolge nicht nur häufig auftreten, sondern auch Leben beherbergen, obwohl auf K2-18b wohl ein hoher Druck und hohe Temperaturen herrschen. Aber die Forscher verweisen auf die Organismen, die auf der Erde an Thermalquellen in den Tiefen des Ozeans lebten. Diese könnten mehr als 80 Grad und sehr hohen Wasserdruck aushalten.
„Unsere Ergebnisse demonstrieren, dass das Potenzial für habitable Bedingungen nicht notwendigerweise auf erdähnliche Gesteinsplaneten beschränkt ist“, erklärten die Forscher um Nikku Madhusudhan bereits in einer Studie, die im Februar 2020 erschien. Die durchschnittlichen Oberflächentemperaturen eines bewohnbaren Planeten könnten ihrer Meinung nach deutlich höher sein als auf der Erde.
Lebensfreundliche Bedingungen könnten auch auf Planeten mit einer gebundenen Rotation herrschen, die also dem Stern immer dieselbe Seite zuwenden – so wie ja auch vom Mond immer dieselbe Seite zu sehen ist. Bei diesen Planeten ist die ständige Tagseite nicht lebensfreundlich, die ständige Nachtseite könnte es aber sein, wenn es keinen effizienten Wärmeausgleich zwischen Tag- und Nachtseite gibt. Auch bei sternfernen Planeten, die kaum wärmende Strahlung erhalten, könnte eine Wasserstoffatmosphäre mit dem tausendfachen Druck der Erdatmosphäre das Wasser an der Oberfläche flüssig halten.
Das Team um Madhusudhan untersuchte auch, welche chemischen Stoffe Hinweise auf Leben geben könnten. Dabei setzen sie weniger auf jene Substanzen, die auf der Erde in großen Mengen auf Lebewesen zurückgehen, wie etwa Sauerstoff, Methan und Lachgas. Sie konzentrieren sich auf Gase, die aus sekundären Stoffwechselprozessen von Mikroorganismen freigesetzt werden, zum Beispiel Chlormethan, Dimethylsulfid, Kohlenstoffsulfid oder Carbonylsulfid.
Diese Substanzen dürften nur als Spurengase in der Atmosphäre eines bewohnten Planeten zu finden sein. Aber die Forscher sind zuversichtlich, dass man diese mit dem neuen James-Webb-Weltraumteleskop, das im Herbst 2021 ins All gebracht werden soll, entdeckt kann. Unter anderem auch, weil sogenannte Hycean-Planeten größer sind als Felsplaneten. Der Astrophysiker Nikku Madhusudhan erklärt: „Wir müssen offen dafür sein, wo wir Leben erwarten und welche Form dieses Leben annehmen könnte, da uns die Natur immer wieder auf unvorstellbare Weise überrascht.“
Zweifel an der These der habitablen Zone
Astronomen haben auch bereits die These von der habitablen Zone selbst infrage gestellt. Auch außerhalb der wohltemperierten Zone um einen Stern könnten sich Nischen für die Entwicklung von Leben finden, lautet die Auffassung mancher Forscher. Beispiele dafür finden sie etwa auf der Erde, wo sich Mikroorganismen nicht nur in die Tiefsee, unter höchstem Druck und in absoluter Dunkelheit fänden, sondern auch kilometertief in der Erdkruste, wo sie ihre Energie direkt aus dem Gestein gewönnen. Bausteine des Lebens könnten fast überall zusammenkommen, lautet die These: in großer Hitze, in eisiger Kälte, unter immensem Druck, in Gasriesen und Eisplaneten.




