Berlin-Zurzeit scheint das Coronavirus in Deutschland Pause zu machen. Die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz ist gering. Mediziner und Politiker verweisen aber auf eine sich in Deutschland langsam ausbreitende neue Variante von Sars-CoV-2, die sogenannte Delta-Variante. Wir groß ist die Gefahr, dass diese uns den Sommer verhagelt und im Herbst vielleicht ernsthafte Probleme macht?
Zunächst: Die Delta-Variante ist eine von unzähligen Varianten des Coronavirus, die seit Beginn der Pandemie weltweit entstanden sind, und zwar aus Mutationen – Kopierfehlern im Virus-Erbgut. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht darunter weltweit vier „besorgniserregende“ Varianten, die sich stärker ausbreiten als andere und vielleicht auch den Immunschutz unterlaufen könnten. Zu ihnen gehört die „indische“ Delta-Variante (B.1.617.2), die Ende 2020 zuerst im indischen Bundesstaat Maharashtra nachgewiesen wurde. Sie besitzt zwei Mutationen, die die Antikörperantwort und die zelluläre Antwort des Immunsystems unterdrücken.

Sie ist ansteckender als andere – auch als die „britische“ Alpha-Variante (B.1.1.7), die zurzeit in Deutschland dominiert. Doch um wie viel infektiöser ist sie? Statt acht Prozent (bei der Alpha-Variante) stecken sich bei der Delta-Variante zwölf Prozent der Menschen an, die in engen Kontakt mit Infizierten kommen. Das ergab jüngst eine Datenanalyse der britischen Behörde Public Health England (PHE). Das Risiko, Angehörige des eigenen Haushalts zu infizieren, sei um etwa 60 Prozent höher.
Junge, meist ungeimpfte Menschen am meisten betroffen
Allerdings beruht das Ergebnis auf einer kleineren Testgruppe. Und grundsätzlich ändert sich offenbar nichts: dass Infizierte unterschiedlich infektiös sein können, dass es Cluster und Hotspots gibt und dass Vorsicht – mit Masken und Abstand – vor allem in Innenräumen gewahrt werden sollte. Es zeigt sich, dass es noch nicht an der Zeit ist, all diese Regeln fallenzulassen. Denn die aus Indien stammende Delta-Variante breitet sich – über Reisende nach Europa gekommen – zunehmend aus.
In Großbritannien findet sie sich bereits bei 90 Prozent aller Neuinfektionen. Die Auswertung von 110.000 Schnelltests habe gezeigt, dass sich die Zahl der Fälle zwischen dem 20. Mai und dem 7. Juni alle elf Tage verdoppelte, teilte das Gesundheitsministerium in London mit. Schwerpunkt sei Nordwestengland. Die portugiesische Hauptstadt Lissabon verzeichnete innerhalb von 24 Stunden 928 neue Infektionen – ausgelöst durch die Delta-Variante. Und auch Moskau erlebt rasant steigende Infektionszahlen.
In Deutschland wiederum lag deren Anteil längere Zeit nur bei etwa zwei Prozent in den untersuchten Proben. Im jüngsten Bericht des Robert-Koch-Instituts (RKI) vom 16. Juni liegt er schon bei 6,2 Prozent. Auch hier gibt es die ersten Delta- Hotspots. Bis zum Herbst werde die Variante auch in Deutschland dominieren, erwarten Virologen. Doch wie besorgniserregend ist das überhaupt?
Von der Delta-Variante seien bisher vor allem junge und meist ungeimpfte Menschen betroffen, ist aus Großbritannien zu hören. Vor allem von hier stammen die ersten Erkenntnisse zu dieser neuen Variante. Die meisten Fälle fänden sich in der „Altersgruppe zwischen zehn und 36 Jahren“, sagte die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek im NDR-Corona-Podcast. Ein großer Teil der älteren Briten ist ja auch bereits geimpft. Und die bisherigen Impfstoffe wirken gut gegen die Delta-Variante, wie Studien zeigen.
Kein Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns mehr
Die vollständige Impfung schütze bei Infektionen zu 92 Prozent (Astrazeneca) und 96 Prozent (Biontech) vor einer Krankheitseinweisung, heißt es in der britischen PHE-Datenanalyse. Bei nur einer Impfdosis sei der Schutz allerdings deutlich geringer – vor allem beim Impfstoff von Astrazeneca. In Deutschland sind bis dato 29,6 Prozent der Menschen vollständig geimpft, wie am Freitag mitgeteilt wurde.
Solange die Saisonalität wirkt, besteht offenbar die größte Chance, der neuen Variante zu begegnen, in möglichst vielen Impfungen von Erwachsenen. Wie eine neue Studie der University of Oxford zeigt, ist die Saisonalität beim Coronavirus generell sehr ausgeprägt. Unabhängig von Faktoren wie Kontaktbeschränkung oder Maskentragen sei das Infektionsrisiko im Sommer um bis zu 42 Prozent geringer als im Winter, schreiben die Forscher nach der Auswertung von 143 Regionen in Europa.
Bei den Erkrankten löst die Delta-Variante eine etwas andere Symptomatik aus als das bisherige Virus. Betroffene sollen vermehrt über Kopfschmerzen, eine laufende Nase und eine raue Kehle klagen. Der Verlust des Geschmacks- oder Geruchssinns tritt offenbar nicht mehr auf. Das Risiko einer Krankenhauseinweisung sei bei Infektionen mit der Delta-Variante etwa doppelt so hoch wie bei der Alpha-Variante, behauptet eine Studie aus Schottland, die im Fachjournal Lancet erschienen ist. Wobei das Risiko besonders „Personen mit fünf oder mehr relevanten Komorbiditäten“ betreffe.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hat bereits darauf verwiesen, „dass von infizierten Kindern in England ein Prozent so schwer erkranken, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen“. Dies sei „keine Kleinigkeit“. Doch angesichts besorgter Eltern haben Kinderärzte dies bereits relativiert. Sie warnen vor Panik.

