Kolumne zum umstrittenen Wehen-Mittel Cytotec

„Als ob ein Stier in mir wütete“

Seit einigen Tagen wird viel über die Wirkung des umstrittenen Medikaments Cytotec geredet. Auch unsere Autorin hat es bei der Geburt ihres ersten Kindes genommen. Über Risiken wurde sie nicht informiert. Ein Erfahrungsbericht

Berlin-Große Aufregung gibt es im Moment um das Medikament Cytotec, das zur Einleitung von Geburten in vielen Krankenhäusern eingesetzt wird. „Kleine Pille, großes Risiko“, schrieb die Tagesschau. „In vielen deutschen Kliniken wird das Medikament Cytotec von Ärzten verwendet, um Wehen einzuleiten, obwohl es dafür gar nicht zugelassen wird“, schrieb die Süddeutsche Zeitung. Oft käme es zu schweren Nebenwirkungen, wie Gebärmutterriss. Es klang nach einem neuen Medikamenten-Skandal. In den sozialen Medien fingen Frauen an, ihre zum Teil traumatischen Erfahrungen mit dem Medikament zu berichten.

Das Medikament Cytotec wird zur Beschleunigung der Geburt eingesetzt.
Das Medikament Cytotec wird zur Beschleunigung der Geburt eingesetzt.dpa

Ich erinnerte mich daran, dass ich bei der Geburt meines ersten Kindes auch Cytotec erhalten habe. Das war im Urban-Krankenhaus in Kreuzberg, ich hatte eine schlaflose Nacht in der Klinik hinter mir, mit einem Gürtel um den Bauch, der die Herztöne überwachte. Am Abend zuvor war die Fruchtblase geplatzt, aber ich hatte keine Wehen. Das Fruchtwasser war grün, das deutet meist darauf hin, dass das Kind im Bauch unter Stress steht. Am Morgen standen die Hebammen und Ärztin um mich herum und machten ernste Gesichter.

Einleiten oder Not-Kaiserschnitt

Falls keine Wehen kommen, müssen wir einleiten, sagte die Ärztin. Falls das nichts bringt: Not-Kaiserschnitt. Ich zuckte zusammen. Während der Schwangerschaft lernte man in Vorbereitungskursen, den Kaiserschnitt zu fürchten, eines der Horrorszenarien, die auf keinen Fall passieren dürften. Anästhesie, Messer, Neonlicht, das ultimative Versagen als Frau.

Die Ärztin erklärte mir, wie das Medikament Cytotec funktioniert und dass es sich um einen Medikament handelt, das für Magengeschwüre eingesetzt wurde. Irgendwann habe man entdeckt, dass es auch die Gebärmuttermuskulatur anrege. Deshalb spreche man von „Off-Label-Use“. In der Berichterstattung heißt es, dass Cytotec zweckentfremdet verwendet werde, aber Off-Label-Verfahren sind in der Medizin weit verbreitet, ein prominentes Beispiel ist Viagra, als Herzmittel erfunden.

Die Geburt ist eine Black Box

Über die Risiken wurde ich vielleicht aufgeklärt, so genau erinnere ich das nicht mehr. Es klagen jetzt viele Frauen über mangelnde Aufklärung. Und das muss man ernst nehmen. Aber wie viel nimmt man in so einem verletzlichen Moment auf? Wie viel Stress herrscht grad in der Klinik? Die Geburt ist eine Black Box, hatte meine Yogalehrerin gesagt. Man weiß nie, was kommt. Ich war müde, unerfahren und in Sorge um mein Baby. Einen Kaiserschnitt wollte ich vermeiden.

Meine Hebamme riet mir zu Cytotec, es wirke sanfter als der klassische Wehentropf. Ich schluckte eine halbe Tablette Cytotec und wenig später kamen die Wehen in Gang. Ich empfand sie als sehr stark, es war, als ob kein Baby, sondern ein Stier in meinem Unterleib wütete und sich wand. Aber es war mein erstes Kind, ich hatte keinen Vergleich, wie schmerzhaft Wehen sein sollen. Ich hatte auch das Glück, das mich die ganze Zeit eine Hebamme kompetent und freundlich begleitete.

Nach sechs Stunden war mein Sohn da. Objektiv betrachtet hatte ich eine perfekte Geburt, ohne medizinische Intervention, mit gesundem Kind und ohne Verletzungen. Doch meine Gefühle passten nicht dazu. Als die Hebamme mir meinen Sohn auf den Bauch legte, fühlte ich nichts. Ich war nur erleichtert, dass es vorbei war. Es dauerte, bis ich mich auf mein Kind einlassen konnte. Im Nachhinein, wenn ich die Berichte lese, frage ich mich, ob das, was ich erlebt habe, ein Wehensturm war. Ich hatte ein Nachgespräch mit der Hebamme, aber Cytotec spielte dabei keine Rolle.